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Wintergedichte klassischer Autoren

Schöne Wintergedichte mehr oder weniger bekannter Klassiker

Klassische Lyrik zur Winterzeit

Winterlandschaft
Bild: Peggychoucair / pixabay.com

Wintergedichte klassischer Autoren - von A - Z

Am Kamin
Adolf Friedrich von Schack

Baum im Winter
Alfons Petzold

Blumengeister
Luise Otto

Da wechselt um die alten Inselränder
Rainer Maria Rilke

Das Dorf im Schnee
Klaus Groth

Das Wunder kommt
Otto Julius Bierbaum

Der blaue Schnee
Georg Heym

Der Eislauf
A. H. Hoffmann von Fallersleben

Der erste Schnee
Johannes Brassel

Der erste Schnee
Friedrich Güll

Der erste Schnee
Julie Katharina von Hausmann

Der Schneefall
Franz Werfel

Der Winter
Matthias Claudius

Dezembermorgen
Wilhelm Holzamer

Die Wintersonne an die Südländer
Elisabeth Kulmann

Ein Lied hinterm Ofen zu singen
Matthias Claudius

Ein milder Wintertag
Annette von Droste-Hülshoff

Ein winterliches Gedicht
Alexander Puschkin

Eines Morgens Schnee
Konrad Weiß

Erster Schnee
Ernst Goll

Es schneit
Gustav Falke

Flugzeug am Winterhimmel
Joachim Ringelnatz

Ganz still zuweilen wie ein Traum
Cäsar Flaischlen

Gestern
Alexander Puschkin

Hoffnung
Emanuel Geibel

Im Schnee
Hedwig Lachmann

Im Winter
Justinus Kerner

Im Winter
Franz Lechleitner

Im Winter
Betti Paoli

November
Reinhold Fuchs

Nun treiben wir den Winter aus
Guido Görres

Schnee
Francisca Stoecklin

Schneeflocken
Alfons Petzold

Schneemann (Satire)
Heinrich Federer

Sehnsucht nach dem Frühling
A. H. Hoffmann von Fallersleben

Spät im Jahr
Hedwig Lachmann

Unterm Schnee
Maria Janitschek

Vom Büblein auf dem Eis
Friedrich Wilhelm Güll

Vom Kirschbaum
Ferdinand Avenarius

Winterabend
Richard Koppin

Winteranfang
Martin Greif

Winterbild
Johannes Brassel

Wintergedanken (Sonett)
Johannes Brassel

Wintergrüne Fichte
Friedrich Rückert

Winterlied
Johann Gaudenz von Salis-Seewis

Winterlied
Joseph von Eichendorff

Winterlied
Hermann Rollett

Wintermorgen
Johann Ludwig Uhland

Winternacht
Reinhold Fuchs

Winterstille
Johannes Trojan

Winters Flucht
A. H. Hoffmann von Fallersleben

Wintertraum
Betty Paoli

Wintertrost
Martin Greif

Winterwärme
Richard Dehmel

 

Hier findet hier neuzeitliche Wintergedichte in klassischer Form! 

Rainer Maria Rilke 1875 - 1926
(Da wechselt um die alten Inselränder)

Da wechselt um die alten Inselränder
das winterliche Meer sein Farbenspiel
und tief im Winde liegen irgend Länder
und sind wie nichts. Ein Jenseits, ein Profil;

nicht wirklicher als diese rasche Wolke,
der sich das Eiland schwarz entgegenstemmt.
Und da geht einer unterm Insel-Volke
und schaut in Augen und ist nichts als fremd.

Und schaut, so fremd er ist, hinaus, hinüber,
den Sturm hinein; zwar manchen Tag ist Ruh;
dann blüht das Land und lächelt noch. Worüber?
Und die Orangen reifen noch. Wozu?

Was müht der Garten sich ihn zu erheitern
den Fremden, der nichts zu erwarten schien,
und wenn sich seine Augen auch erweitern
für einen Augenblick —: er sieht nicht ihn.

Wenn er vom Vorgebirge in Gedanken
des Meeres winterliches Farbenspiel
und in den Himmeln ferner Küsten Schwanken
manchmal zu sehen glaubt: das ist schon viel.
 

August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798 - 1874)
Sehnsucht nach dem Frühling

O wie ist es kalt geworden
und so traurig, öd' und leer!
Rauhe Winde wehn von Norden,
und die Sonne scheint nicht mehr.

Auf die Berge möcht' ich fliegen,
möchte sehn ein grünes Tal,
möcht' in Gras und Blumen liegen
und mich freun am Sonnenstrahl.

Möchte hören die Schalmeien
und der Herden Glockenklang,
möchte freuen mich im Freien
an der Vögel süßem Sang.

Schöner Frühling, komm doch wieder,
lieber Frühling, komm doch bald,
bring uns Blumen, Laub und Lieder,
schmücke wieder Feld und Wald!


Betty Paoli (1814-1894)
Im Winter

Wiesengrund und Bergeshöh'
Liegen wie begraben,
Auf dem schimmernd weißen Schnee
Tummeln sich die Raben.

Mag die Sonne auch ihr Licht
Fernehin entsenden,
Es erquickt und wärmet nicht,
Kann nur schmerzlich blenden.

Dicht vor meinem Fenster steht
Eine schlanke Linde,
Mit Demanten übersä't
Stöhnet sie im Winde.

An die Scheiben pocht sie leis',
Leis' wie Glöckchen läuten;
Was sie sagen will, ich weiß
Mir es wohl zu deuten.

Arme Linde! Tag und Nacht
Scheinst du mir zu klagen:
»Dürft ich doch, statt todter Pracht,
Wieder Blüthen tragen!«

Quelle: http://www.wortblume.de/dichterinnen/

Georg Heym (1887-1912)
Der blaue Schnee

Der blaue Schnee liegt auf dem ebenen Land, 
das Winter dehnt. Und die Wegweiser zeigen 
einander mit der ausgestreckten Hand 
der Horizonte violettes Schweigen.

Hier treffen sich auf ihrem Weg ins Leere 
vier Straßen an. Die niedren Bäume stehen 
wie Bettler kahl. Das Rot der Vogelbeere 
glänzt wie ihr Auge trübe. Die Chausseen

verweilen kurz und sprechen aus den Ästen.
Dann ziehn sie weiter in die Einsamkeit 
gen Nord und Süden und nach Ost und Westen, 
wo bleicht der niedere Tag der Winterzeit.

Ein hoher Korb mit rissigem Geflecht 
blieb von der Ernte noch im Ackerfeld. 
Weißbärtig, ein Soldat, der nach Gefecht 
und heißem Tag der Toten Wache hält.

Der Schnee wird bleicher, und der Tag vergeht. 
Der Sonne Atem dampft am Firmament, 
davon das Eis, das in den Lachen steht 
hinab die Straße rot wie Feuer brennt.


Winterlandschaft Baum im Schnee
Bild: hansbenn / pixabay.com

Maria Janitschek (1859-1927)
Unterm Schnee

Halt ich sacht auf weißem Felde,
Märchen sinnend, stillerlauschten,
Ist`s , als ob zu meinen Häupten
Nahe Flügelschläge rauschten.

Ist es mir, als ob der Schneewind
Warme Blumendüfte brächte.
Blumenduft von tausend Beeten,
Aus der Glutpracht fremder Nächte.

Behend eil`ich in den Garten,
Wo die Bäume silbern stehn,
Um in zitterndem Erwarten
Nach den Zweigen aufzuseh`n.

Streif den Schnee von ihnen zärtlich
Der sie in sein Weiß versteckt,
Und erblick, o lieblich Wunder,
Junge Äuglein, schlafbedeckt.

Frühling! Nach des Sommers Abschied
Nahst du schon mit leisen Küssen,
Und es gibt gar keinen Winter,
Und kein kaltes Sterbenmüssen.

Streift den Schnee nun von den Dingen,
Drunter grünen neue Triebe,
Und ihr spürt des Lebens Jugend
Und die Urkraft seiner Liebe.

Emanuel Geibel (1815-1884)
Hoffnung

Und dräut der Winter noch so sehr
Mit trotzigen Gebärden,
Und streut er Eis und Schnee umher,
Es muss doch Frühling werden.

Und drängen die Nebel noch so dicht
Sich vor den Blick der Sonne,
Sie wecket doch mit ihrem Licht
Einmal die Welt zur Wonne.

Blast nur, ihr Stürme, blast mit Macht,
Mir soll darob nicht bangen,
Auf leisen Sohlen über Nacht
Kommt doch der Lenz gegangen.

Da wacht die Erde grünend auf,
Weiß nicht, wie ihr geschehen,
Und lacht in den sonnigen Himmel hinauf
Und möchte vor Lust vergehen.

Sie flicht sich blühende Kränze ins Haar
Und schmückt sich mit Rosen und Ähren
Und lässt die Brünnlein rieseln klar,
Als wären es Freudenzähren.

Drum still! Und wie es frieren mag,
O Herz, gib dich zufrieden;
Es ist ein großer Maientag
Der ganzen Welt beschieden.

Und wenn dir oft auch bangt und graut,
Als sei die Höll' auf Erden,
Nur unverzagt auf Gott vertraut!
Es muss doch Frühling werden.


Friedrich Rückert (1788 - 1866)
Wintergrüne Fichte

Wintergrüne Fichte,
Bricht dein schlankes Reis
Unter dem Gewichte
Nicht von Schnee und Eis?
In den kalten Tagen,
Was erhält so kühn
Dich, wo alle zagen,
Fichte wintergrün!

Wintergrüne Fichte,
Wenn in Sturmes Wehn
Winters Strafgerichte
Ob der Flur ergehn,
Wenn nicht Baum noch Pflanze
Grünen darf noch blühn,
Bleibest du im Kranze
Ficht wintergrün.

Wintergrüne Fichte,
Wovon lebest du?
Strömt vom Himmelslichte
Dir die Nahrung zu?
Unter Frostes Kloben
Starrt der Erde Glühn;
Doch du lebst von oben
Fichte wintergrün.

Wintergrüne Fichte,
Weil vom Himmelsduft
Du mit Weltverzichte
Lebest auf der Gruft,
Darum schmückt dein Schimmer,
Deiner Lichter Sprühn,
Weihnachtliche Zimmer,
Fichte Wintergrün.

Wintergrüne Fichte,
An der Statt wo ich
Mir dies Haus errichte,
Siehe, pflanz´ich dich:
Wo einst Ruh ich habe
Von des Lebens Mühn,
Schatte meinem Grabe,
Fichte wintergrün!

*Quelle: Gedichte für einen Wintertag / dtv Verlag

Johann Gaudenz von Salis-Seewis (1762-1834)
Winterlied

Das Feld ist weiß, so blank und rein,
Vergoldet von der Sonne Schein,
Die blaue Luft ist stille;
Hell, wie Kristall
Blinkt überall
Der Fluren Silberhülle.

Der Lichtstrahl spaltet sich im Eis,
Er fimmert blau und rot und weiss,
Und wechselt seine Farbe.
Aus Schnee heraus
Ragt, nackt und kraus,
Des Dorngebüsches Garbe.

Von Reifenduft befiedert sind
Die Zweige rings, die sanfte Wind´
Im Sonnenstrahl bewegen.
Dort stäubt vom Baum
Der Flocken Pflaum
Wie leichter Blütenregen.

Tief sinkt der braune Tannenast
Und drohet, mit des Schnees Last
Den Wandrer zu beschütten;
Vom Frost der Nacht
Gehärtet, kracht
Der Weg, von seinen Tritten.

Das Bächlein schleicht, von Eis geengt;
Voll lautrer blauer Zacken hängt
Das Dach; es stockt die Quelle;
Im Sturze harrt,
Zu Glas erstarrt,
Des Wasserfalles Welle.

Die blaue Meise piepet laut;
Der muntre Sperling pickt vertraut
Die Körner vor der Scheune.
Der Zeisig hüpft
Vergnügt und schlüpft
Durch blätterlose Haine.

Wohlan! auf festgediegner Bahn,
Klimm ich den Hügel schnell hinan,
Und blicke froh ins Weite;
Und preise den,
Der rings so schön
Die Silberflocken streute.


Matthias Claudius (1740 - 1815)
Der Winter

Der Winter ist ein rechter Mann,
kernfest und auf die Dauer;
sein Fleisch fühlt sich wie Eisen an
und scheut nicht süß noch sauer.

War je ein Mann gesund, ist er's;
er krankt und kränkelt nimmer,
weiß nichts von Nachtschweiß noch Vapeurs
und schläft im kalten Zimmer.

Er zieht sein Hemd im Freien an
und läßt's vorher nicht wärmen
und spottet über Fluß im Zahn
und Kolik in Gedärmen.

Aus Blumen und aus Vogelsang
weiß er sich nichts zu machen,
haßt warmen Drang und warmen Klang
und alle warmen Sachen.

Doch wenn die Füchse bellen sehr,
wenn's Holz im Ofen knittert,
und um den Ofen Knecht und Herr
die Hände reibt und zittert;

wenn Stein und Bein vor Frost zerbricht
und Teich' und Seen krachen;
das klingt ihm gut, das haßt er nicht,
dann will er sich tot lachen.

Sein Schloß von Eis liegt ganz hinaus
beim Nordpol an dem Strande;
doch hat er auch ein Sommerhaus
im lieben Schweizerlande.

So ist' er denn bald dort, bald hier,
gut Regiment zu führen.
Und wenn er durchzieht, stehen wir
und sehn ihn an und frieren.

Annette von Droste-Hülshoff (1797 - 1848)
Ein milder Wintertag

An jenes Waldes Enden,
Wo still der Weiher liegt
Und längs den Fichtenwänden
Sich lind Gemurmel wiegt;

Wo in der Sonnenhelle,
So matt und kalt sie ist,
Doch immerfort die Welle
Das Ufer flimmernd küßt:

Da weiß ich, schön zum Malen,
Noch eine schmale Schlucht,
Wo all die kleinen Strahlen
Sich fangen in der Bucht;

Ein trocken, windstill Eckchen,
Und so an Grüne reich,
Daß auf dem ganzen Fleckchen
Mich kränkt kein dürrer Zweig.

Will ich den Mantel dichte
Nun legen übers Moos,
Mich lehnen an die Fichte,
Und dann auf meinen Schoß

Gezweig' und Kräuter breiten,
So gut ich's finden mag:
Wer will mir's übel deuten,
Spiel ich den Sommertag?

Will nicht die Grille hallen,
So säuselt doch das Ried;
Sind stumm die Nachtigallen,
So sing' ich selbst ein Lied.

Und hat Natur zum Feste
Nur wenig dargebracht:
Die Lust ist stets die beste,
Die man sich selber macht.

Klaus Groth (1819 - 1899)
Das Dorf im Schnee

Still, wie unterm warmen Dach,
Liegt das Dorf im weißen Schnee;
In den Erlen schläft der Bach,
Unterm Eis der blanke Schnee.

Weiden steh´n im weißen Haar,
spiegeln sich in starrer Flut;
alles ruhig, kalt und klar
Wie der Tod, der ewig ruht.

Weit, so weit das Auge sieht,
keinen Ton vernimmt das Ohr.
Blau zum blauen Himmel zieht
Sacht der Rauch vom Schnee empor.

Möchte schlafen wie der Baum
Ohne Lust und ohne Schmerz;
Doch der Rauch zieht wie im Traum
Still nach Haus mein Herz.

Alexander Puschkin (1799 - 1837)
Gestern

Erst gestern war es, denkst du daran?
Es ging der Tag zur Neige.
Ein böser Schneesturm da begann
und brach die dürren Zweige.
Der Sturmwind blies die Sterne weg,
die Lichter, die wir lieben.
Vom Monde gar war nur ein Fleck,
ein gelber Schein geblieben.
Und jetzt? So schau doch nur hinaus:
Die Welt ertrinkt in Wonne.
Ein weißer Teppich liegt jetzt aus.
Es strahlt und lacht die Sonne.
Wohin du siehst: Ganz puderweiß
geschmückt sind alle Felder.
Der Bach rauscht lustig unterm Eis,
nur finster stehn die Wälder.


Johann Ludwig Uhland (1787 - 1862)
Wintermorgen

Ein trüber Wintermorgen war`s,
als wollt` es gar nicht tagen,
Und eine dumpfe Glocke ward
Im Nebel angeschlagen.

Und als die dumpfe Glocke bald,
Die einzige verklungen,
Da ward ein heisres Grabeslied,
ein einz`ger Vers gesungen.

Es war ein armer, alter Mann,
Der lag gewankt am Stabe,
Trüb, klanglos, wie sein Lebensweg,
So war sein Weg zum Grabe.

Nun höret er in lichten Höhn
Der Engel Chöre singen
Und einen schönen, vollen Klang
Durch alle Welten schwingen.

Adolf Friedrich von Schack (1815 - 1894)
Am Kamin

Stürme, Dezember, vor meinem Gemach,
Hänge, Zapfen von Eis an das Dach;
Nichts doch weiß ich vom Froste;
Hier am wärmenden, trauten Kamin
Ist mir, als ob des Frühlings Grün
Rings um mich rankte und sprosste.

All das Gezweig, wie es flackert und flammt,
Plaudert vom Walde, dem es entstand,
Redet von seligen Tagen,
Als es, durchfächelt von Sommerluft,
Knospen und Blüten voll Glanz und Duft,
Grünende Blätter getragen.

Fernher hallenden Waldhornklang
Glaub´ ich zu hören, Drosselgesang,
Sprudelnder Quellen Schäumen,
Tropfenden Regen durchs Laubgeäst,
Der die brütenden Vögel im Nest
Weckt aus den Mittagsträumen.

Stürme denn, Winter, eisig und kalt!
An den Kamin herzaubert den Wald
Mit der Flammen Geknister,
Bis ich bei Frühlingssonnenschein
Wieder im goldgrün schimmernden Hain
Lausche dem Elfengeflüster.


Friedrich Wilhelm Güll (1812 - 1879)
Vom Büblein auf dem Eis

Gefroren hat es heuer
Noch gar kein festes Eis.
Das Büblein steht am Weiher
Und spricht so zu sich leis´:
„Ich will es einmal wagen,
Das Eis, es muss doch tragen.“ 
Wer weiß?
 
Das Büblein stampft und hacket
Mit seinem Stiefelein.
Das Eis auf einmal knacket,
Und krach! schon bricht’s hinein.
Das Büblein platscht und krabbelt
Als wie ein Krebs und zappelt
Mit Arm und Bein.
 
„O helft, ich muss versinken
In lauter Eis und Schnee!
O helft, ich muss ertrinken
Im tiefen, tiefen See!“
Wär nicht ein Mann gekommen,
Der sich ein Herz genommen,
O weh!
 
Der packt es bei dem Schopfe
Und zieht es dann heraus,
Vom Fuß bis zu dem Kopfe
Wie eine Wassermaus.
Das Büblein hat getropfet,
Der Vater hat’s geklopfet
Es aus, zu Haus.

Matthias Claudius (1740-1815)
Ein Lied hinterm Ofen zu singen

Der Winter ist ein rechter Mann,
Kernfest und auf die Dauer;
Sein Fleisch fühlt sich wie Eisen an,
Und scheut nicht süß noch sauer.

War je ein Mann gesund wie er?
Er krankt und kränkelt nimmer,
Er trotzt der Kälte wie ein Bär
und schläft im kalten Zimmer.

Er zieht sein Hemd im freien an
und läßt's vorher nicht wärmen
und spottet über Fluss im Zahn
und Grimmen in Gedärmen.

Aus Blumen und aus Vogelsang
weiß er sich nichts zu machen,
Haßt warmen Drang und warmen Klang
und alle warmen Sachen.

Doch wenn die Füchse bellen sehr,
wenn's Holz im Ofen knittert,
und um den Ofen Knecht und Herr
die Hände reibt und zittert;

Wenn Stein und Bein vor Frost zerbricht
und Teich und Zehen krachen:
Das klingt ihm gut, das haßt er nicht,
dann will er tot sich lachen.-

Sein Schloß von Eis liegt ganz hinaus
Beim Nordpol an dem Strande;
Doch hat er auch ein Sommerhaus
im lieben Schweizerlande.

Da ist er denn bald dort, bald hier;
gut Regiment zu führen;
und wenn er durchzieht, stehen wir
und sehn ihn an und frieren


Joseph von Eichendorff (1788-1857)
Winterlied

Mir träumt`, ich ruhte wieder
Vor meines Vaters Haus
Und schaute fröhlich nieder
Ins alte Tal hinaus,
Die Luft mit lindem Spielen
Ging durch das Frühlingslaub,
Und Blütenflocken fielen
Mir über Brust und Haupt.

Als ich erwacht, da schimmert
Der Mond vom Waldesrand,
Im falben Scheine flimmert
Um mich ein fremdes Land,
Und wie ich ringsher sehe:
Die Flocken waren Eis,
Die Gegend war vom Schnee,
Mein Haar vom Alter weiß.

Francisca Stoecklin (1894 - 1931)
Schnee

Schnee, zärtliches Grüßen
der Engel,
schwebe, sinke -
breit alles in Schweigen
und Vergessenheit!
Gibt es noch Böses,
wo Schnee liegt?
Verhüllt, verfernt er nicht
alles zu Nahe und Harte
mit seiner beschwichtigenden
Weichheit, und dämpft selbst
die Schritte des Lautesten
in Leise?
Schnee, zärtliches Grüßen
der Engel,
den Menschen, den Tieren! -
Weißeste Feier
der Abgeschiedenheit.


Alexander Puschkin (1799 - 1837)
Ein winterliches Gedicht

Erst gestern war es, denkst du daran?
Es ging der Tag zur Neige.
Ein böser Schneesturm da begann
und brach die dürren Zweige.

Der Sturmwind blies die Sterne weg,
die Lichter, die wir lieben.
Vom Monde gar war nur ein Fleck,
ein gelber Schein geblieben.

Und jetzt? So schau doch nur hinaus:
Die Welt ertrinkt in Wonne.
Ein weißer Teppich liegt jetzt aus.
Es strahlt und lacht die Sonne.

Wohin du siehst: Ganz puderweiß
geschmückt sind alle Felder,
der Bach rauscht lustig unterm Eis.
Nur finster stehn die Wälder.

Hedwig Lachmann (1865-1918)
Im Schnee

Schneegeriesel. Flocken über Flocken.
In der weichen Luft zerfließt der Schaum,
Und kein Windhauch weht die Erde trocken.

Aber, wenn im Frost erstarrt der Flaum,
Reift er schnell zu glitzernden Kristallen
Und blinkt dann am Boden und am Baum.

Nasser Schnee ist auf mein Haar gefallen .
In den Bergen türmt er sich zu Eis
Und zu donnernden Lawinenballen.

Von den Dächern tropft es leise, leis,
Und dazwischen gleiten und verschwimmen
Fern und ferner, kaum dass ich es weiß,

Dämmernde Gedanken, leise Stimmen
Wie Erinnern, wie ein Atem bloß,
Einer Sehnsucht aufgescheuchtes Glimmen.

Alles fließt der Erde in den Schoss.
Dieses Lebens gleitende Gesichte,
Ungezählte Tropfen, Los um Los,

Einen Augenblick beglänzt vom Lichte -
Oder in der rauen Luft gereift,
Und nun auf der harten Erde dichte
Sternkristalle, bis ein Wind sie streift.


Joachim Ringelnatz (1883 - 1934)
Flugzeug am Winterhimmel

Ich fliege im Flockengewimmel.
Ach, guter Himmel, laß das doch sein!
Ich Flugriese bin nur klein Vögelein
Gegen dich, schüttender Himmel.

Sag Schneegestöber, ich bäte es sehr,
Ein wenig nachzulassen.
Denn meine Flügel tragen schon schwer
An sechs ganz dicken Insassen.

Die spielen Karten in meinem Leib
Und trinken, weil sie so frieren.
Und wollen nach Zoppot, um Zeitvertreib
Und Örtliches zu studieren.

Und käme ich dort nicht pünktlich hin,
Die würden es niemals verzeihen.
Lieber Himmel, wenn ich gelandet bin,
Dann darfst du gern wieder schneien.

August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874)
Der Eislauf

Der See ist zugefroren
Und hält schon seinen Mann.
Die Bahn ist wie ein Spiegel
Und glänzt uns freundlich an.

Das Wetter ist so heiter,
Die Sonne scheint so hell.
Wer will mit mir ins Freie?
Wer ist mein Mitgesell?

Da ist nicht viel zu fragen:
Wer mit will, macht sich auf.
Wir geh'n hinaus ins Freie,
Hinaus zum Schlittschuhlauf.

Was kümmert uns die Kälte?
Was kümmert uns der Schnee?
Wir wollen Schlittschuh laufen
Wohl auf dem blanken See.

Da sind wir ausgezogen
Zur Eisbahn alsobald,
Und haben uns am Ufer
Die Schlittschuh angeschnallt.

Das war ein lustig Leben
Im hellen Sonnenglanz!
Wir drehten uns und schwebten,
Als wär's ein Reigentanz.


Hedwig Lachmann (1865-1918)
Spät im Jahr

Der Herbst verflog. Der erste Nachtfrost kerbt
Die Felder, drauf die Spätfrucht abgeräumt,
Der Waldesboden ist kahl und entfärbt,
Der Wegrand rissig und mit Reif besäumt.

In klarer Luft fliegt hoch am Horizont
Die Krähe und entspannt die Flügel weit,
Die Welt ist nur von ferne noch besonnt,
Man spürt: es währt nicht lange, bis es schneit.

In einem Meer von grauen Nebeln rinnt
Der Tag ins Dunkel und lang wird die Nacht;
Es scheint, das Leben feiert oder sinnt,
Wie eine alte Mutter, die vollbracht

Ihr Tagwerk und nur noch der Kinder denkt,
Und einzig nur von ihrem Glücke zehrt,
In ihre fernste Zukunft sich versenkt,
Und die doch einsam ist und abgekehrt.

Justinus Kerner (1786-1862)
Im Winter

Als meine Freunde,
Die Bäume, noch blühten,
Rosen und Feuer-
Lilien glühten,
Waren die Menschen
All mir bekannt,
War mir die Erde
Lieb und verwandt.

Jetzt, wo die Freunde,
Die Bäume, gestorben,
Jetzt, wo die Lieben,
Die Blumen, verdorben,
Stehen die Menschen
Kalt auf dem Schnee,

Und was sie treiben,
Macht mir nur weh.


Cäsar Flaischlen (1864-1920)
Ganz still zuweilen wie ein Traum

Ganz still zuweilen wie ein Traum
klingt in dir auf ein fernes Lied...
Du weißt nicht, wie es plötzlich kam,
du weißt nicht, was es von dir will...
und wie ein Traum ganz leis und still
verklingt es wieder, wie es kam...

Wie plötzlich mitten im Gewühl
der Straße, mitten oft im Winter
ein Hauch von Rosen dich umweht,
wie oder dann und wann ein Bild
aus längst vergessenen Kindertagen
mit fragenden Augen vor dir steht...

Ganz still und leise, wie ein Traum...
Du weißt nicht, wie es plötzlich kam,
du weißt nicht, was es von dir will,
und wie ein Traum ganz leis und still
verblasst es wieder, wie es kam.

Alfons Petzold (1882-1923)
Baum im Winter

Es steht ein Baum vor meinem Haus -
Armseligstruppiges Geäst
Hebt sich aus seinem Stamm heraus
Und hält ihn an das Leben fest.

Im Sommer hat die schnelle Faust
Des Blitzes seinen Stamm zersägt,
Und Sturmwind, der im Herbst gebraust,
Die letzte Kraft hinweggefegt.

Die andern Bäume stehen stark
Und kühn um diesen Krüppel her.
In ihnen singt gesundes Mark
Und macht ihr Dasein tatenschwer.

Doch wenn ein Ast im Winde bebt
An seinem Leibe, glaubt auch er,
Daß er noch für den Frühling lebt,
Wie seine Brüder ringsumher.


Ferdinand Avenarius (1856-1923)
Vom Kirschbaum

Ist alles ganz kahl und still,
Nicht mal im Grase sichs regen will,
Steht alles geduckt,
Klappert im Frost und muckt
Mit dem Winter. Der putzt es mit Rauhreif auf,
Aber keines gibt was drauf.

Doch im Garten
Sagt einer: Ich kann warten.
Ist jemand, du kennst ihn wieder kaum,
So dünn ist er worden: der Kirschenbaum.
Schläft er nicht?
Trau einer dem Wicht!
Heute mittag um Uhre eins
Gabs mal ein Pröbchen Sonnenscheins:
Darin – ich habe
Das deutlich gesehn –
Mit seinen Knospen
Fingerte der alte Knabe,
Ein wenig vorsichtig und geziert,
Wie man Badewasser probiert.
Und über seine Runzeln
Ging ein Schmunzeln.

Otto Julius Bierbaum (1865-1910)
Das Wunder kommt

Schwarz ist die Nacht; es kracht das Eis;
Die ganze Welt ist eingeschneit;
Es steht kein Stern am Himmel,
Am Himmel.

Da sieh: es blitzt ein zitternd Licht,
Ein Stern blitzt aus dem Schwarz heraus,
Ein roter Stern von Golde,
Von Golde.

So hat dereinst der Stern geblitzt,
Nach dem die heiligen Drei gereist
Mit Weihrauch und mit Myrrhen,
Mit Myrrhen.

Den Heiland hat der Stern gebracht;
In dieser Nacht zerbrach das Eis;
Das Wunder kommt: Der Frühling,
Der Frühling.


Richard Dehmel (1863-1920)
Winterwärme

Mit brennenden Lippen,
unter eisblauem Himmel,
durch den glitzernden Morgen hin,
in meinem Garten,
hauch ich, kalte Sonne, dir ein Lied.

Alle Bäume scheinen zu blühen;
von den reifrauhen Zweigen
streift dein Frühwind
schimmernde Flöckchen nieder,
gleichsam Frühlingsblendwerk;
habe Dank!

An meiner Dachkante hängt
Eiszapfen neben Zapfen, starr,
die fangen zu schmelzen an,
Tropfen auf Tropfen blitzt,
jeder dem andern unvergleichlich,
mir ins Herz.

Gustav Falke (1853-1916)
Es schneit

Der erste Schnee, weich und dicht,
Die ersten wirbelnden Flocken.
Die Kinder drängen ihr Gesicht
Ans Fenster und frohlocken.

Da wird nun das letzte bisschen Grün
Leise, leise begraben.
Aber die jungen Wangen glühn,
Sie wollen den Winter haben.

Schlittenfahrt und Schellenklang
Und Schneebälle um die Ohren!
– Kinderglück, wo bist du? Lang,
Lang verschneit und erfroren.

Fallen die Flocken weich und dicht,
Stehen wir wohl erschrocken,
Aber die Kleinen begreifens nicht,
Glänzen vor Glück und frohlocken.


Martin Greif (1839-1911)
Winteranfang

Kommet ihr wieder,
Spinnende Nebel,
Füllend mit trübem
Wehen die Luft?

Wo sich geöffnet
Blume an Blume,
Liegt nun, errötend,
Schauernder Duft.

Ach, und ihm wehret
Kaum mehr die Sonne,
Wie es noch gestern
Sichtbar geschah.

Abend und Morgen
Scheinen im Dämmer
Nahe verwoben –
Winter ist da.

Martin Greif (1839-1911)
Wintertrost

Welche Wandlung über Nacht
Hat den Wald beschlichen,
Braun noch gestern, sieht erwacht
Er sein Haar verblichen.

Eis mit langen Zapfen hängt
Rings von allen Ästen,
Weiss der Silberbart sich mengt
Mit des Laubes Resten.

Wohl, Natur in solchem Bild
Mahnt sie an das Alter,
Wäre nicht der Winter mild
Auch ein Welterhalter.

Lasse dort die Eiche, grau,
Näher dich belehren:
Rieselt erst des Frühlings Tau,
Wird das Grün ihr kehren.


Konrad Weiß (1880-1940)
Eines Morgens Schnee

Was man gelebt, was immer mehr geblieben,
stets mehr gelesen, um so dunkler nur,
was man im Lichte schon wie aufgeschrieben
vorfand und ging auf unstörbarer Spur,
was man mit Sinn erreicht, was man mit Lieben
doch nie vollbringen konnte, – deine Flur
wird dir, du Mensch von Ernte niemals satt,
mit eines Morgens Schnee ein reinstes Blatt.

Es ist kein Trost; und nun der Sonne Scheinen
teilt alles nur noch weiter vor dir aus,
so spurlos steht die Zeit, du willst sie einen
gleich einer Träne dort am letzten Strauß,
du horchst auf einen Laut, nun hörst du keinen,
der Schnee macht nur ein regungsloses Haus, –
geh fort, und wie es dir im Busen klopft,
fühlst du den Schnee, der kalt vom Baume tropft.

Du fühlst nicht Nähe mehr, nur noch dies Pochen,
das dir die kalte Wange seltsam näßt,
das Land scheint dir so weit und ganz zerbrochen,
die weißen Berge gleich dem schweren Rest
von einem Himmel, den du nie besprochen,
und der, je mehr du sprichst, dich werden läßt
gleich einer Spur, die sich aus ihm verlor,
und die du kennst, wenn dir im Herzen fror.

So geh nun fort, und was umsonst bestritten
du Tag und Nacht, was schon im Licht verdorrt,
was du gelebt, was du dir selbst inmitten
gelöst, du Mensch, im stets zerbrochnen Wort,
auf dunkler Spur mit unhörbaren Schritten
gewinnt die Zeit ihr Licht, geh mit ihr fort,
noch blüht zur stillen Nacht die Spur so frisch
wie alle Ernte auf dem Ladentisch.

Friedrich Güll (1812-1879)
Der erste Schnee

Ei, du liebe, liebe Zeit,
ei, wie hat's geschneit, geschneit!
Rings herum, wie ich mich dreh',
nichts als Schnee und lauter Schnee.
Wald und Wiesen, Hof und Hecken,
alles steckt in weißen Decken.

Und im Garten jeder Baum,
jedes Bäumchen voller Flaum!
Auf dem Sims, dem Blumenbrett
liegt er wie ein Federbett.
Auf den Dächern um und um
nichts als Baumwoll' rings herum.

Und der Schlot vom Nachbarhaus,
wie possierlich sieht er aus:
Hat ein weißes Müllerkäppchen,
hat ein weißes Müllerjöppchen!
Meint man nicht, wenn er so raucht,
daß er just sein Pfeifchen schmaucht?

Und im Hof der Pumpenstock
hat gar einen Zottelrock
und die ellenlange Nase
geht schier vor bis an die Straße.
Und gar draußen vor dem Haus!
Wär' nur erst die Schule aus!

Aber dann, wenn' s noch so stürmt,
wird ein Schneemann aufgetürmt,
dick und rund und rund und dick,
steht er da im Augenblick.
Auf dem Kopf als Hut 'nen Tiegel
und im Arm den langen Prügel
und die Füße tief im Schnee
und wir rings herum, juhe!

Ei, ihr lieben, lieben Leut',
was ist heut' das eine Freud'!


Franz Werfel (1890-1945)
Der Schneefall

O langsames Fallen des Schnees,
Unendliches schleierndes Treiben!
Wär' doch mein Auge geistesgestählt,
Ihm könnte verborgen nicht bleiben,
Daß jede Flocke des weißen Gewehs
Gewußt ist, gewogen, gezählt.

O Flocken, die tanzend sich drehn,
Ihr klein beseelten Persönlichkeiten,
Vertragen von Schwere, Leichte und Wind,
In eurem Kommen und gehen
Seh ich die Schicksale niedergleiten,
Die ihr beginnt, vollendet, beginnt ...

Die eine fällt wollig und weich,
Die andre voll Trotz und kristallen,
Die dritte von Widerständen geballt.
Doch löst sich morgen das bleiche Reich,
So stirbt nicht eine von allen
Und die reinsten tauen zur Tropfengestalt.

Richard O. Koppin (1879-1939)
Winterabend

Schneeluft hängt in allen Gassen,
bleiche Dämmerfinger fassen
nach den flackernden Laternen,
die schon müde ihre blassen
Strahlen senden in die Fernen.

Dichter an den Kirchturm rücken
Stadttor schon und Bachtalbrücken,
und die trauten Giebeldächer,
draus mit weichen Kerzenblicken
grüßen rings die Schlafgemächer.

Und am Markt der alte Bronnen,
schneeverhängt und still versonnen,
träumt von lichten Frühlingszeiten,
wie er dann durch Blütenwonnen
plätschernd würde talwärts gleiten.


August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874)
Winters Flucht

Dem Winter ward der Tag zu lang,
ihn schreckt der Vogel Lustgesang;
Er horcht und hört's mit Gram und Neid,
Und was er sieht, das macht ihm Leid.

Er sieht der Sonne milden Schein,
Sein eigner Schatten macht ihm Pein.
Er wandelt über grüne Saat
Und Gras und Keime früh und sprach:
»Wo ist mein silberweißes Kleid,
Mein Hut, mit Demantstaub bestreut?«

Er schämt sich wie ein Bettelmann
Und läuft, was er nur laufen kann.
Und hinterdrein scherzt Jung und Alt
In Luft und Wasser, Feld und Wald;
Der Kiebitz schreit, die Biene summt,
Der Kuckuck ruft, der Käfer brummt;
Doch weil's noch fehlt an Spott und Hohn,
So quakt der Frosch vor Ostern schon.

Guido Görres (1805-1852)
Nun treiben wir den Winter aus

Nun treiben wir den Winter aus,
Den alten, kalten Krächzer;
Wir jagen ihn zum Land hinaus,
Den Brummbär und den Ächzer,
Und laden uns den Frühling ein
Mit Blumen und mit Sonnenschein,
Juhei! juhei, juhei!
O komm herbei!
O Mai, o Mai!

Das leere Stroh,
Das dürre Reis
Und alles, was vermodert,
Das geben wir dem Feuer preis,
Dass hoch die Flamme lodert,
Und laden uns den Frühling ein
Mit Blumen und mit Sonnenschein;
Juhei! juhei, juhei!
O komm herbei!
O Mai, o Mai!


Heinrich Federer (1866-1928)
Schneemann (Satire)

Er ist ein heller sicherer Mann,
Nur fehlen die Augensterne,
Womit er das Leben mustern kann,
Wie es gaukelt von nahe und ferne.
Sonst sähe keiner so tief und fein
In die Siebensachen der Welt hinein.

Er ist ein frischer, verwegener Mann,
Nur kann er die Arme nicht rühren,
Doch wenn er nur einen recken kann,
So krachen des Dörfleins Türen,
So trägt er den Kirchturm mit allen Glocken,
Und dürfen noch Pfaff und Küster drauf hocken.

Und lustig ist er, voll Lied und Spaß,
Doch leider taubstumm geboren.
Sonst, weit' ich, er hörte und plauderte bass
Wie tausend Lippen und Ohren.
Er schilderte euch so drollige Sachen,
Die totesten Toten müssten lachen.

Auch wär' er ein rühmlicher Wanderheld,
Wenn die Füße nicht steifgefroren,
Er wandelte, wie wir auf Nachbars Feld,
Zu den Eskimos oder den Mohren.
Er überholte die hurtigsten Pferde,
Zwei Schritte, er wäre am Rand der Erde.

Meines Schneemanns stille Majestät,
Wenn sie nur einmal wollte,
Was sich so faul am Globus dreht,
Hei, wie das tollte und trollte!
Doch solche Genies kann die Welt nicht ertragen,
Drum bleibt er Genie im Schnee und Entsagen.

Wilhelm Holzamer (1871-1907)
Dezembermorgen

Am Fenster steh ich. — Eine Ecke des Himmels,
Mattblau wie Seide,
Mit zarten, weißen, glänzenden Flocken
Hebt sich wie ein Baldachin
Über das Dunkel waldiger Berge.

Und wie von verborgenem Lichte
Breitet sich strahlende Helle,
Glänzig werden die Flocken,
Wie frischer Eierschaum,
Wie schillernde Opale.

Und ich ahne, die Sonne kommt,
Und schaue,
Bis mich ein Strahl trifft,
Ein siegender, leuchtender, warmer Strahl
Ich schaue und schaue . . .

Fern, weit fern
Fliegt unter dem Himmel ein Rabe,
Und mir ist,
Als hör ich sein höhnendes Krächzen.
Aber ich schaue und schaue
Und wart auf die Sonne.- -

Die schaumigen Flocken fliegen zusammen,
Es ballt sich ein grauer Haufen,
Und der graue Haufen
Verschüttet die blaue Seide... 
Und —
Ich schaue und schaue
Und wart auf die Sonne ...


Julie Katharina von Hausmann (1826-1901)
Der erste Schnee

Wenn die ersten Flocken fallen
Nieder von dem Himmel leis',
Breitend über Wald und Felder
Eine Decke silberweiß —

Glänzen alle Kinderaugen,
Denn nun ist der Winter da;
Und sie wissen's wohl, die Kleinen,
Dann ist's Christkindlein auch nah'

Christkind mit den schönen Gaben
Und dem hellen Weihnachtsbaum,
Den sie seit dem letzten Feste
Oft geseh'n in süßem Traum.

Wir, die Alten, Klugen, denken
Jagend an die Winterzeit —
Kinder singen Weihnachtslieder,
Wissen nichts von Sorg' und Leid.

Und ich will's euch nur gestehen,
Auch ich freu' mich wie ein Kind,
Da ich schon so manchen Streifen
Schnee auf meinem Haupte find',

Zwar der Schnee bringt nur den Winter,
Doch ich bang und zage nicht,
Schau dahinter schon im Geiste
Ein hellstrahlend Weihnachtslicht;

Höre leise schon erklingen
Weihnachtsglocken wunderbar,
Die zum schönsten Fest mich rufen
Und zum sel'gen neuen Jahr.

Betty Paoli (1814-1894)
Wintertraum

Der finst're König Frost hält mich gefangen,
Ich trage seiner Fesseln starres Erz,
Bleich wie sein Leichentuch sind meine Wangen,
Des Todes Ahnung schauert durch mein Herz,
Und wie des Blaubarts Weib in grauser Stunde
Verzweifelnd forschte nach der Rettungskunde
So frag' ich, gramentstellten Angesichts,
Mein spähend Aug': Siehst du noch nichts? noch nichts?
 
Noch keine jungen Triebe an den Bäumen,
Noch keinen Sonnenpfeil, der fliegt und trifft,
Noch keinen Purpur an den Wolkensäumen,
Noch keine fromme Primel auf der Trift?
Noch nichts, was des Befreiers Nah'n verkündet,
Ein zagend Herz mit neuem Muth entzündet?
Noch keinen Schimmer wärmern, reinern Lichts?
Mein treues Aug'! siehst du noch nichts? noch nichts?
 
Schon holt der finst're König aus zum Streiche -
O Retter Lenz! sieh' her auf meine Qual!
Willst du denn erst auf meine starre Leiche
Herniedergießen deinen milden Strahl?
Dies Herz, das heiß entgegen dir geschlagen,
Dein schönes Bild so treu in sich getragen,
In wilder Sehnsucht dunklem Jammer bricht's -
Unselig Aug': siehst du noch nichts? - »Noch nichts!«


Luise Otto (1819-1895)
Blumengeister

Nun ist im Sturm mit Schnee und Eis
Der Winter angekommen,
Hat auf tyrannisches Geheiß
Die Blüten all genommen.
 
Sie sind dahin mit einem mal
Und hängen welk hernieder,
Es weckt kein milder Sonnenstrahl
Die Frostgetroffnen wieder.
 
Ihr Glanz, ihr Duft, ihr Leben schwand
Und öd' sind Flur und Garten,
Zur weißen Wüste ward das Land,
Die Flüsse selbst erstarrten.
 
So sinken in die kalte Gruft
Die letzten Blumenleichen,
Und harren bis der Lenz sie ruft
Aus ihrem Grab zu steigen.
 
Doch kann der Blumengeister Schar
Wohl nächtlich um noch gehen -
In kalter Mondnacht, hell und klar
Sind sie gar oft zu sehen.
 
Sie kommen aus dem Grab hervor
Wie neckende Gespenster,
Und blühen - ein krystall'ner Flor -
An dem gefrornen Fenster.
 
Und rufen die Erinnrung wach
An alle Sommerstunden,
Wo Menschenhand die Blümlein brach
Und sie zum Kranz gewunden -
 
Wo Menschenfuß sie gar zertrat,
Nicht achtend auf ihr Flehen -
Es läßt zu rächen solche That,
Die Geisterschar sich sehen.
 
Und mahnt mit glänzend heller Schrift:
»Dein eignes Thun bewache,
Damit dich nicht im Winter trifft
Der Blumengeister Rache!«

Elisabeth Kulmann (1808-1825)
Die Wintersonne an die Südländer

Hängt länger euch, o Kinder,
Nicht an mein goldnes Kleid!
Hab' ja noch andre Kinder
Im Norden, weit, weit, weit!

In ihrem grimmen Winter
Bin ich ihr einz'ger Trost:
Komm' ich nicht auf ein Stündchen,
Sie sterben mir vor Frost.

Auf dumpfer Hütten Schwelle,
Um die ein Eiswall ragt,
Erwarten ungeduldig
Sie mich, sobald es tagt.

Sie grüßen lautaufjauchzend
Mit Schmeichelnamen mich,
Und weinen fast, entfernet
Mein goldner Wagen sich.

Johannes Brassel 1848 - 1916
Wintergedanken

Wie Erde träumt. Des Winters kalte Lasten
Sie liegen schwer auf dem Gezweig der Tannen;
Des Baches Lauf will eisger Rauhreif bannen;
In Flur und Hain des Lebens Pulse rasten.

Und doch schaut Hoffnungsgrün aus Tannenmasten,
Als wollt' es flüsternd deine Seele fragen:
Hast du, o Mensch, wie ich das Leid getragen,
Wenn wild des Schicksals Stürme dich umrasten?

Hat Hoffnung dir gesagt in dunkeln Stunden,
Es werd die Zeit, die allbarmherz'ge heilen
Mit mildem Hauch des Herzens herbste Wunden?

Grüß mir die Hoffnung! Ihre Strahlen spenden
Den Glauben mir im raschen Zeiteneilen,
Es müsse alles sich zum Guten wenden.


Johannes Brassel 1848 - 1916
Winterbild

In stillem Schlummer ruht die Erde,
Gehüllt in zarten, kalten Flaum,
Und über Dorf und Wald und Matten
Legt sich ein winterlicher Traum.

Der Vöglein Brust, die sonst gesungen
Im Wald mit sorgenfreiem Klang,
Entringt sich jetzt vor unserm Fenster
Ein bittend Seufzen, leis und bang.

Doch drinnen am erwärmten Ofen
Großmutter sich behaglich freut,
Ob auch der Winter weiße Flocken
Ihr längst aufs müde Haupt gestreut.

Indessen sie das Bild des Todes
Im stillen Ruh'n der Welt erblickt,
Hat sie der Enkel froh Gejauchze
Der trüben Wirklichkeit entrückt.

Sie fahren, wie sie einst gefahren
Auf breitem Schlitten, sonder Graus,
Mit jugendfröhlichem Gejauchze
In die verschneite Welt hinaus.

Und aus dem Treiben ihrer Kleinen
Glänzt ihres Lebens Morgenrot;
Glückselig flüstert sie durchs Fenster:
Wo Kinder sind, da herrscht kein Tod!

Johannes Trojan 1837 - 1915
Winterstille

Nun hat der Berg sein Schneekleid angetan,
Und Schnee liegt lastend auf den Tannenbäumen
Und deckt die Felder zu, ein weißer Plan,
Darunter still die jungen Saaten träumen.

Fried' in der Weite! Nicht ein Laut erklingt —
Ein Zweig nur bebt und stäubt Kristalle nieder,
Gestreift vom Vogel, der empor sich schwingt —
Und still ist alles rings und reglos wieder.

In Winters Banden liegt der See und ruht,
Die Wellen schlafen, die einst lockend riefen.
Nicht spielen mehr die Winde mit der Flut,
Kaum regt sich Leben noch in ihren Tiefen.

O Sonne, wenn durch Wolken du einmal
Hernieder blickst — wo blieb der Erde Prangen?
Schlafende Augen nur erblickt dein Strahl,
Er weckt kein Hoffen auf und kein Verlangen.

Welch‘ eine Stille! Kaum im Herzen mag
Ein Wunsch sich regen, daß es anders werde.
Und doch, o Herz, du weißt, es kommt der Tag,
Der wieder schmückt mit blühndem Kranz die Erde.

Reinhold Fuchs 1858 - 1938
Winternacht

Die Sterne glitzern wie Demantgeschmeide,
Klar, wie du kaum im Leben sie gesehen,
Doch fremd und kalt; des Weltalls Schauer wehen
Dir um die Stirn auf totenstiller Heide.

Die Schöpfung starrt im weißen Sterbekleide
Dich fühllos an, taub für dein Liebesflehen,
Und du vergißt, als war' es nie geschehen,
Was je die Menschen dir gethan zu leide. —

Fremd, fremd und einsam in der öden Runde! —
Gleich einem Bettlermantel fühlst mit Bangen
Den Stolz du gleiten zum bereiften Grunde.
Macht, Weisheit, Ruhm: — was soll ihr eitles Prangen? —

Ein freundlich Wort aus warmem Menschenmunde,
Ein Druck der Hand sind einzig dein Verlangen ...

Reinhold Fuchs 1858 - 1938
November

Hörst du, wie die Winde klagen
In dem Dornbusch kahl und grau? —
Keiner ahnt, daß er getragen
Rote Rosen einst zur Schau.

In den Feldern, in den Hainen
Stumm ein jeder frohe Klang;
Wie ein schmerzlich-leises Weinen
Schleicht es deinen Pfad entlang.

Halbverschollne Trauerkunden
Hallen aus der Ferne her;
Längst verrauschte Scheidestunden
Machen neu das Herz dir schwer.

Blätter fallen, Wolken schweben;
Nebel schwankt um Busch und Baum; -
Träume werden dir zum Leben,
Und das Leben wird zum Traum ...

Johannes Brassel 1848 - 1916
Der erste Schnee

's ist kalt geworden, trüb und still;
Der erste Schnee zur Erde fiel;
Mit seiner Hand, so weich und lind,
Deckt er das letzte Blumenkind.
O Schicksal, so winterlich herbe und trübe
Was deckst du die Blumen der hoffenden Liebe?
Was soll in des Lebens wild stürmender See
Ein Herz voll Weh?

Der erste Schnee! 's kommt eine Stund',
Da wird das kranke Herz gesund.
Das Leid laß' schlafen wie die Saat,
Die Flockenflaum bedecket hat.
Die Sternlein, die fielen auf rosigen Wangen,
Sie alle sind leise und schmerzlos zergangen,
Und so einst zergeht deines Herzens Weh
Wie erster Schnee.

Ja, laß es schlafen wie die Saat;
Nach Eis und Schnee der Frühling naht.
Sein milder Hauch aus starrer Gruft
Den Primeln und den Veilchen ruft.
So hoffe denn, bangendes Herz, und vertraue,
Daß über den Wolken der Himmel doch blaue,
Und sag' zu dem Flockengewimmel in Ruh':
Deck' zu, deck' zu!

Alfons Petzold 1882 - 1923
Schneeflocken

Winzig kleine Englein fliegen
Auf die dunkle Erde nieder.
Sieh ihr Tanzen und ihr Wiegen,
Höre ihre frohen Lieder.
Wenn sie ruhen nach dem Tanze,
Tausend da und tausend dort,
Ist mit ihrem Silberglanze
Übersprüht ein jeder Ort.

Ihre Stirnen, hocherhoben,
Tragen Krönlein funkelhelle.
Ihre Röckchen sind gewoben
Aus dem Duft der Ätherwelle.
Und sie singen so, als übe
Jedes ein ein frommes Lied,
Wenn auch morgen schon die trübe
Gosse ihre Leichen sieht.

Seelchen sind es, ungezählte,
Die du siehst vor dir im Falle.
Gottgeküsste, gottbeseelte,
So wie du, wie ich, wie alle.
Wesen Gottes, die beseelt sind
Durch der Liebe starkes Licht,
Und wie wir zum Kampf erwählt sind
In dem engen Kreis der Pflicht.

Ernst Goll 1887 - 1912
Erster Schnee

Nun seid ihr wiederkommen
Im Sturme über Nacht
Und habt die müde Erde
So still und weiß gemacht.

Ihr bleichen Flockensterne,
Ob ihr es wissen könnt,
Dass rings sich alles, alles
So sehr nach euch gesehnt?

Ich weiß viel weiße Felder,
So leer, so kahl, so weh,
Die warten nun schon lange
Des Leichentuchs von Schnee.

Ich weiß so viele Blümlein,
Die werden müde sein,
O, hüllt sie tief und feste
Zu süßem Schlummer ein. 

Ich weiß ein krankes Herze,
Das sehnt sich so nach Ruh,
O, deckt das friedenlose
Mit eurem Frieden zu.

Hermann Rollett 1819 - 1904
Winterlied

Warum so düster, Erdenraum?
Warum so kalt, so fremd?
Es deckt dich Schnee, du regst dich kaum
In deinem Totenhemd.

Mir glühts im Herzen immer licht —
Ob Sturm, ob Sonnenschein,
Wenn manchmal auch ein Bäumchen bricht,
Bald ist der Himmel rein!

Doch sieh, da schmilzt das starre Eis,
Und rings zerfließt der Schnee,
Und auf den Fluren, erst noch weiß,
Ich frisches Grün erseh.

Da rief ich laut in meinem Traum
Vom Lenz zur Winterszeit:
O Sonnengold, o Purpursaum —
Wie seid ihr noch so weit!

Wo bist du noch, o Lüftchen lau,
Vom Frühlingshauch bewegt,
Doch — dem ist stets der Himmel blau,
Der ihn im Herzen trägt.

Franz Lechleitner 1865 - 1928
Im Winter

Wo sind sie denn geblieben
Die Träume der Jugendzeit,
Mit Wandern und Jauchzen und Lieben
In Waldesherrlichkeit?

Wo sind sie hingeschwunden
Die Wunder des jungen Mai,
Das sanfte Herzgesunden
Im Lichte so voll und frei?

Wo sind sie hingegangen
Die Sonnen der leuchtenden Welt,
Die Blüten mit lockendem Prangen,
Die schlagenden Lerchen im Feld?

Ach! Es ist alles verschollen
In Wintereinsamkeit,
Und die treibenden Stürme wollen
Nicht wanken mehr weit und breit!