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Weihnachtsgeschichten für Jung und Alt

Zeitgenössische Geschichten zur Weihnachtszeit

Weihnachtsbild Kirche und Nikolaus mit Schlitten
Bild: Ulli / dreamies.de

Meinen herzlichen Dank an alle Autoren

für die Bereitstellung ihrer vielseitigen Weihnachtsgeschichten!

Weihnachtsgeschichten zeitgenössischer Autoren von A - Z

Adventszeit
von Inge Escher

Begegnung mit dem Weihnachtsmann
von Eva Zimmermann

Bens Weihnachtswunsch
von Barbara Pronnet

Besuch
von Gabriele Maricic-Kaiblinger

Damals ...
von Barbara Acksteiner

Das Julfest
von Marena Stumpf

Das Kind in der Krippe
von Gabriele Maricic-Kaiblinger

Das Weihnachtslicht
von Christina Telker

Das Weihnachtswunder von Peru
von Mika Kantz

Der alte hungrige Weihnachtsmann
von Harald Goerke

Der alte Musikant
von Gisela Brix

Der Sohn des Zimmermanns
von Peter Wendlandt

Der unscheinbare Engel
von Christina Telker

Der Weihnachtsgewinn
von Barbara Pronnet

Der Weihnachtsmann als Entführer
von Eva Zimmermann

Die Entdeckung
von Christina Telker

Die etwas andere Weihnachtsüberraschung
von Inge Escher

Die Geschichte vom Stern im Himmel
von Mina Pantic

Die junge Seele
von Gabriele Maricic-Kaiblinger

Die Wegegabel
von Heinz Riedel

Donner ist krank
von Antje Steffen

Ein Besuch bei Sinterklaas
von Elke Bräunling

Ein Haar vom Christkind
von Christina Telker

Ein magischer Winter-Weihnachtstag
von Mina Pantic

Ein Weihnachtsbaum für die Wiesenbewohner
von Gisela Brix

Ein Weihnachtsmärchen
von Heinz Riedel

Eine „andere“, heutige Herbergsuche
von Gabriele Maricic-Kaiblinger

Eine Weihnachtsgeschichte
von Peter Wendlandt

Eine wichtige Botschaft
von Barbara Pronnet

Es begann in der Silvesternacht
von Gabriele Maricic-Kaiblinger

Herr Meier und der Zauber zwischen den Jahren
von Elke Bräunling

Jeder Mensch hat einen Bruder
von Gisela Brix

Flips und Flaps, die frechen Spatzen
von Biggi

Frau Martens Weihnachtsfest
von Eva Zimmermann

Frieda und ihr schönstes Weihnachtsgeschenk
von Harald Goerke

Fritzchen und Frätzchen
von Eva Zimmermann

Glitzersterne Weihnachtszauber
von Sabine Kohlert

Kerzen für das Christkind
von Gabriele Maricic-Kaiblinger

Lara und der Schneemann
von Antje Steffen

Licht in dunkler Nacht
von Heinz Riedel

Meine Weihnachtskolumne
von Mika Kantz

Mia und der Weihnachtsmann
von Elke Bräunling

...na dann! "Frohe Weihnachten"
von Barbara Acksteiner

Seltsame Gestalten
von Margret Küllmar

Snowy, der Weihnachtsschneemann
von Antje Steffen

Suse ist beim Christkind
von Gisela Brix

Treppenträume oder gibt es ...
von Harald Goerke

Vorweihnachtliche Impressionen oder ...
von Peter Wendlandt

Warum Martha ihr Weihnachtsgeschenk ...
von Eva Zimmermann

Wir warten
von Heinz Riedel

Zu Besuch im Weihnachtswunderland
von Barbara Acksteiner

Bitte beachten:
Die Rechte an den hier eingestellten Weihnachtsgeschichten liegen bei den jeweiligen Autoren.
Eine Vervielfältigung der Texte ohne deren Genehmigung ist nicht erlaubt.
Sollte kein entsprechender Link zur Autorenseite zu finden sein, leite ich Anfragen gerne weiter.

Gabriele Maricic-Kaiblinger
Die junge Seele - eine "Überirdische" Geschichte


Nachdem die junge Seele die Welt betrachtet hatte, war sie unsicher. Daher begab sie sich zur allumfassenden göttlichen Weisheit.

"Ich habe Menschen gesehen, die einander vertrauen, helfen und miteinander in Harmonie leben. Ich habe aber ebenso Menschen gesehen, die einander weh tun, sich bekriegen und töten. Sag', hab' ich dieselbe Welt gesehen oder verschiedene Welten?"
"Du hast nur eine Welt gesehen."
"In der es Liebe gibt."
"Die nur durch diese Liebe existiert, gedeiht und reift."
"Warum dann all das Leid, so viel Hass?"
"Nur durch die Dualität kann die Seele erfahren, was zu erfahren sie wünscht."
"Aber wir Seelen wissen doch um alles."
"Um etwas wissen ist nicht dasselbe wie es zu erfahren."
"Deswegen inkarnieren wir?"
"Ja."
"Und als Menschen vergessen wir, wer wir eigentlich sind?"
"Ihr könntet sonst nicht das erkennen und erfahren, was ihr möchtet."
"Das versteh' ich nicht ganz."
"Stell dir vor, es gebe nur die Liebe. Jeder lebte in der Liebe und wüsste, was die Liebe ist."
"Das wäre doch wunderbar. So existieren doch wir Seelen."
"Ja, so existiert ihr, wisst um die Liebe und um das Ganze, seid ich und ich bin ihr. Aber, dadurch, dass es einfach   i s t   und ihr gar nichts anderes kennt, weil es nichts anderes gibt, könnt ihr es nicht erfahren, erkennen, erfühlen, erspüren, nicht bewusst wahrnehmen, und wie ihr, so ich."
"Du meinst, wenn es das Böse nicht gebe, wüssten wir als Menschen nicht, was das Gute ist."
"Einfach ausgedrückt ist es so."
"Und das duale Sein ist universell gültig, nicht nur auf der Erde der Menschen?"
"Ja."
"Aber wenn alles schon existent ist, müssten die Menschen doch nicht immer weiter und weiter sich selbst und gegenseitig Leid antun?"

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"Das müssten sie nicht."
"Warum tun sie es dann? Warum hinderst du sie nicht daran?"
"Weil ich ihren freien Willen respektiere, den ich ihnen gegeben habe."
"Wissen sie denn nicht, dass sie geboren aus dir sind, dass sie dein – geistiges – Abbild sind, dass sie göttlich sind, dass sie schöpferisch sind?"
"Sie wissen es. Und sie wissen es nicht."
"Was meinst du damit?"
"Dass manche es erkennen und viele nicht."
"Aber es wäre doch schön, wenn alle es erkennen würden."
"Das wäre es."
"Sie sind doch alle ein Teil von dir, der göttlichen, allumfassenden Weisheit. Sie sind du und du bist sie."
"Das sind sie, und so ist es."
"Aber das müsste doch leichter zu erkennen sein. Wissen sie denn nicht, dass sie selbst göttlich sind? Dass sie ihr Leben nach ihren Vorstellungen gestalten können? Dass sie sich entfalten und glücklich sein können?"
"Das ist nur wenigen bewusst."
"Warum kreiert jeder seine eigene Wahrheit, obwohl es nur eine allumfassende einzige Wahrheit gibt?"
"Weil jeder glaubt, dass seine Wahrheit die einzig richtige ist."
"Aber es ist doch sinnlos, sich gegenseitig so viel Leid anzutun. Wissen sie denn nicht, dass alles, was sie tun und machen und denken Auswirkungen auf sie selbst hat? Dass sie mit allem, was sie anderen antun, sich selbst schaden?"
"Auch das ist nur wenigen bewusst."

"Dann ist ihnen gleichfalls nicht bewusst, dass sie als Menschen nur die Erde haben und diese Erde allen Lebewesen, die darauf leben, gehört? Warum begrenzen sie sich selbst? Wissen sie nicht, dass alles reichlich vorhanden ist und geschaffen werden kann? Dass Neid nur Begrenzung schafft, Liebe und Achtung aber Fülle schaffen?"
"Nur langsam dringt dies in die Herzen ein."
"All die Jahrhunderte, Jahrtausende – sie müssen doch schon gelernt haben, dass Hass nur Hass schürt, Angst weitere Angst erzeugt und Verachtung
gegenseitiges Achten außer Kraft setzt."
"Zum Teil haben sie das."
"Und lassen doch nicht davon ab?"
"Bis es in alle Herzen dringt, braucht es seine Zeit. Das heißt, Zeit nach ihrem menschlichen Bewusstsein, denn in Wirklichzeit existiert Zeit nicht.
Irgendwann werden sie erkennen, dass die Liebe alles ist."
"Das heißt, die Menschen befänden sich schon auf einer höheren Bewusstseinsstufe, wenn sie sich nur auf die Liebe konzentrierten?"
"Das heißt es."
"Und sie würden sich erinnern, woher sie kommen, wer sie wirklich sind, wozu sie fähig sind?"
"Immer mehr Menschen erweitern ihr Bewusstsein. Die Zeit wird kommen, in der alle sich erinnern."
"Aber noch so viel Leid bis dahin ..."

Die junge Seele konnte das nicht begreifen. Es wäre doch alles so einfach, könnte so schön sein.
Und so hatte die junge Seele plötzlich das Bedürfnis, auf und in diese Welt zu gehen.
"Willst du das wirklich? Es sind schon so viele gegangen und haben versucht, die göttliche Weisheit bewusst zu machen."
"Ja, ich will. Ich will den Menschen helfen, dass sie sich schneller bewusst werden. Und glücklich. Wie wunderschön wäre das Leben dann."
"Das wäre es."
"Paradiesisch."
"Ja."
"Du und wir - wir alle sind doch ein einziges ICH."
"Das sind wir."
"Eine allumfassende Wahrheit und Weisheit."
"Ja."
"Dann will ich den Menschen wieder dazu verhelfen."
"Es wird aber nicht immer leicht sein. Manchmal sogar schmerzhaft."
"Ich möchte es trotzdem. Ich freue mich darauf."

Und so begab sich die junge Seele von der weisen, allumfassenden Realität in die Begrenztheit der irdischen Realität. Sie suchte sich dazu das von einem Großteil der Menschheit gefeierte Weihnachtsfest aus. Es hätte ebenso das jüdische Chanukka oder das islamische Fest des Fastenbrechens, das sogenannte Zuckerfest, es hätte das hinduistische Frühlingsfest Holi oder Vesakh, das Geburtstagsfest für Buddha, sein können, es hätte zur Wintersonnwende, dem Julfest, oder zum Ridvan-Fest der Bahai oder ein ganz anderes Fest sein können. Die junge Seele hatte überall offene Herzen und strahlende Gesichter bei den zu den Festen fröhlich gestimmten Menschen gesehen, mehr als an anderen Tagen und sogar bei Menschen, die ansonsten eher verschlossen waren. Die junge Seele wählte das christliche Weihnachtsfest, da sie meinte, dass es gerade an diesem Heiligen Abend schön wäre, geboren zu werden und Liebe und Licht mitzubringen. Wie es schon einmal eine Seele aus der göttlichen Weisheit getan hatte, nach deren Menschwerdung - nach Geburt, Leben und Sterben - dieses Fest erst zur Erinnerung und zum Gedenken an diese Seelen-Menschwerdung entstanden war.

"Dann soll es so sein. Dann ist es so."

Und so schwebte die kleine Seele hinab, um an Heiligabend als Menschenkind seinen ersten Schrei zu tun und später als ihren Erfahrungsschatz die göttliche Aufgabe zu erfüllen, die sie sich mit auf diese Erde gebracht hatte.

 

(c) Gabriela Maricic-Kaiblinger

*mit freundlicher Genehmigung der Autorin Gabriele Maricic-Kaiblinger

Barbara Acksteiner
Zu Besuch im Weihnachtswunderland

Och, das ist echt doof, dass noch kein Schnee liegt“, mault Pia, „wie soll denn da der Weihnachtsmann mit seinem Schlitten und dem Rentier die Geschenke zu mir bringen?“ Trotzig stampft sie mit ihrem Fuß auf.

„Meinst du etwa, dass nur du Geschenke kriegst? Ich möchte auch welche haben!“, ruft wütend ihr älterer Bruder aus dem Kinderzimmer.

In der Küche steht unterdessen Jutta und backt einen Stollen.

Sie hat das Wortgefecht ihrer Kinder gehört. „Kinder, an eurer Stelle würde ich mir um Weihnachten und eure Geschenke keine Gedanken machen. Es gibt für euch beide sicherlich kein einziges.“

Wie von Blitz getroffen, kommt Maik in die Küche gesaust. „Wie? Was? Keine Geschenke? Du machst Witze, oder?“

Schnell fügt Pia hinzu. „Genau, du verkohlst uns. Willst uns nur ärgern!“

„Warum sollte ich euch verkohlen oder ärgern wollen? Wie kommt ihr denn nur darauf? Nein, es wird wohl so kommen, dass ihr beide Heiligabend auf einen leeren Gabentisch guckt.“

Die viereinhalbjährige Pia und ihr fast zwei Jahre älterer Bruder sehen sich entsetzt an.

„Wieso denn?“, will Maik wissen.

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„Na, ganz einfach! Weil ihr noch keinen Wunschzettel geschrieben habt!“, klärt die Mutter ihre Kinder auf, die mit weit aufgerissenen Augen vor ihr stehen. „Könnt ihr mir mal verraten, wie der Weihnachtsmann wissen kann, was ihr euch wünscht? Was soll er denn seinem Christkind sagen, was es für euch besorgen muss. Und wenn es kein Geschenk besorgt, dann brauchen die fleißigen Engelchen für euch auch nichts einpacken. Also wird der Schlitten mit Rudolf dem Rentier, dem Weihnachtsmann samt der vielen Geschenken an unserem Haus vorbeifahren und nicht anhalten.“

Pia ist aufgeregt und zuppelt nervös an ihrem Pulli. „Menno, ich kann ja gar nicht schreiben!“

„Stimmt, das kannst du noch nicht, Pia. Aber du könntest dem Weihnachtsmann ein Bild malen. Oder des Abends, wenn du dein Nachtgebet sprichst, ihm sagen, was du dir zu Weihnachten wünschst.“

„Mama, und was soll ich machen?“, möchte Maik wissen.

„Ganz einfach. Du sagst mir, was du dir wünschst. Ich schreibe es vor und du schreibst es ab. Das machst du doch sonst auch. Aber gar keinen Wunschzettel für den Weihnachtsmann fertig zu machen, das ist nicht schön.“

Inzwischen haben sich Maik und Pia auf ihre Stühle gesetzt. In der Küche kann man eine Stecknadel fallen hören, so ruhig ist es. Die Kinder überlegen und sagen kein einziges Wort mehr. Jutta hat den Stollen fertig und will ihn gerade aufs Backblech legen, als Maik freudestrahlend ruft: „Komm mit, Pia, ich habe eine Idee!“

Beide springen von ihren Stühlen hoch und verschwinden in Maiks Kinderzimmer. Jutta hört nur noch, dass die Tür laut zuknallt und dann herrscht Stille. Es ist so mucksmäuschenleise im Zimmer, dass es schon fast unheimlich ist. So kennt sie ihre Kinder gar nicht. Meistens geht es nie lange gut, wenn sie zusammen hocken. Oft beginnt nach kurzer Zeit das Gezanke. Aber jetzt - nichts ist zu hören!

Jutta wirft einen Blick in den Backofen. Sie freut sich, der Stollen nimmt langsam Form an. Nachdem sie in der Küche alles auf- und weggeräumt hat, was zum Backen benötigt worden war, und der Geschirrspüler läuft, lässt sie sich auf den Küchenstuhl sinken. In Gedanken ist sie bei dem Gespräch, welches sie vorhin mit ihren Kindern geführt hat.

Den Kopf in die Hände gestützt stellt sie sich die Frage: „War ich etwa doch zu streng?“ Je länger sie darüber nachdenkt, je mehr kommt sie zu dem Entschluss, dass ihre Kinder noch klein sind und dass sie unbedingt mit ihnen sprechen muss. Jutta springt auf und will gerade die Küche verlassen, da geht die Haustür auf und ihr Mann kommt rein.

„Tag, Schatz, alles klar? Ich bin echt geschafft, war heute verdammt anstrengend bei der Arbeit. Du warst auch fleißig, ich rieche Kuchen.“ Schon ist er in der Küche verschwunden. Er guckt in den Backofen und will wissen: „Lecker, Stollen! Mit Marzipan?“

Jutta muss lachen. „Na klar, mit! Ich weiß doch, dass die Kinder und du gern Marzipan mögt. Apropos Kinder …“ Sie schluckt. „Ich muss dir was sagen. Bestimmt ist mir vorhin ein Fehler unterlaufen und ich habe mit meinen Äußerungen Pia und Maik unglücklich gemacht.“

„Was ist denn vorgefallen? Setz dich, erzähle was passiert ist.“

Nun sprudelt aus Jutta heraus, was sie ihren Kindern gesagt hat und dass beide seitdem in Maiks Kinderzimmer verschwunden sind.

„Du hörst es ja selbst! Ach ne, das ist es ja gerade, man hört keinen einzigen Mucks. Ich mache mir wirklich Vorwürfe!“

Klaus steht auf, geht zu seiner Frau, nimmt sie in den Arm und versucht sie zu trösten. „Mensch, Jutta, mach dir nicht solche Gedanken. Komm, wir gehen jetzt zu den beiden und reden mit den Lütten. Ganz in Ruhe. Auf geht’s!“ Er zieht sie vom Küchenstuhl hoch und dann gehen beide zu Maiks Kinderzimmer. Kein Zanken, kein Toben …

Lautlos drückt Klaus die Türklinge runter. Im Kinderzimmer ist es fast dunkel. Der Fensterrollladen ist runtergezogen. So weit, dass nur die oberen Schlitze

etwas Licht ins Zimmer dringen lassen. Sprachlos und irritiert sehen sich Jutta und Klaus an. Doch was sie dann hören und in der Dämmerung schemenhaft sehen können, treibt ihnen Tränen in die Augen und Jutta bekommt vor Rührung eine Gänsehaut.

Eng aneinander gekuschelt sitzen Maik und Pia auf der Bettkante und Maik hat seinen Arm um die Schultern seiner kleinen Schwester gelegt. „Maiki, was meinst du, wenn ich jetzt ganz fest meine Augen zumache, bete und mir wünsche, dass der Weihnachtsmann zu uns kommt, ob der das hört? Ich kann doch nicht schreiben und malen kann ich nicht gut. Und Mama hat gesagt, man kann auch beten! Sollen wir das mal machen?“

„Können es ja versuchen. Wir machen unsere Augen zu und dann wünschen wir uns ins Weihnachtswunderland. Vielleicht treffen wir da den Weihnachtsmann und das Christkind. Und wenn wir die sehen, dann sagen wir denen einfach, was wir uns zu Weihnachten wünschen. Pass auf Pia, bei drei geht’s los, dann machen wir die Augen zu. Du wünschst dir zuerst was, wenn du den Weihnachtsmann siehst. Okay?“

„Hmm, okay, aber ich habe Angst, Maiki.“

„Brauchste nicht, bin doch bei dir. Also: Eins, zwei, zweieinhalb, zweidreiviertel, drei! Augen zu!“

Ruhe.

Weder Maik noch Pia sagen ein Wort. Jutta klopft das Herz bis zum Hals. Sie kann kaum glauben, was dort passiert, denn auf einmal hört sie Pia sagen: „Ja, ich bin Pia Krüger, Weihnachtsmann. Ich habe vergessen, einen Wunschzettel abzugeben. Mama hat gesagt, dann kriege ich kein Geschenk von dir. Aber ich möchte doch so gerne was haben. Eine neue Puppe wünsche ich mir. Eine Barbie mit einem Pferdchen und einem Stall. Und wenn du Geld hast, möchte ich auch was zu naschen. Lieber Weihnachtsmann, bitte bring mir doch Geschenke, ich wünsche mir so sehr welche von dir! Ich will auch lieb sein, versprochen. Soll ich dir mal was sagen, Weihnachtsmann? Schön sieht es hier im Weihnachtswunderland aus, richtig gut!“

Die Eltern von Maik und Pia stehen wie angewurzelt da und können nicht fassen, was im Kinderzimmer vor sich geht.

Jutta kullern Tränen übers Gesicht und sie merkt, dass ihr Mann ebenfalls schlucken muss.

„Biste fertig, Pia?“

„Ja, bin ich!“

„Hallo Weihnachtsmann, ich heiße Maik Krüger und bin der große Bruder von Pia Krüger. Ich habe auch vergessen, einen Wunschzettel zu schreiben. Aber richtig schreiben kann ich sowieso nicht. Was sagst du? Malen? Also, wenn ich was male, sieht das doof aus. Mutti ist sauer, weil ich keinen Wunschzettel gemacht habe. Du auch? Wenn du nicht böse bist, wäre es richtig toll. Weihnachtsmann, ich wünsche mir von dir einen richtigen, lauten Weck-Wecker! Weißt du, so einen, der mich weckt, damit ich immer pünktlich aufstehe. Komme doch bald in die Schule. Und dann wünsche ich mir einen großen Legokasten, und wenn’s geht noch einen Schulranzen. Einen blauen - mit Ab- und Anmachklebesticker. So einer wäre echt geil. Kommst du nun zu uns, lieber Weihnachtsmann? Bitte, bitte! Oh, Christkind, du siehst aber schön aus. Huch, wo seid ihr denn? Ich kann euch ja gar nicht mehr sehen …“

„Maiki, ist der Weihnachtsmann weg? Hast du das Christkind gesehen?“

Jutta und Klaus halten es nicht mehr aus. Sie öffnen die Tür. Nun scheint das helle Tageslicht vom Flur aus ins Kinderzimmer. Klaus geht zum Fenster und zieht den Rollladen hoch, während sich Jutta zu ihren Kindern aufs Bett setzt.

Die Kinder gucken ihre Mutter mit großen Augen an, bevor es aus Maik heraussprudelt: „Mutti, Papa, wir waren im Weihnachtswunderland! Da war der Weihnachtsmann. Und ich habe das Christkind gesehen. Wir haben dem Weihnachtsmann erzählt, was wir uns zu Weihnachten wünschen. Der war ganz lieb und böse ist er auch nicht.“

„Stimmt“, ruft Pia, „der war ganz doll nett! Und er hat gesagt, dass er Heiligabend Geschenke zu uns bringt. Siehste Vati, unser Gebet hat geholfen.“

Überglücklich schließen Jutta und Klaus ihre Kinder in die Arme. Es bedarf keiner Erklärungen mehr. Ein Besuch im Reich der Träume - im Weihnachtswunderland - haben Pia und Maik wieder glücklich gemacht.

*mit freundlicher Genehmigung der Autorin - Zur Autorenseite von Barbara Acksteiner

Elke Bräunling
Mia und der Weihnachtsmann

Mia ist sich nicht sicher, ob es den Weihnachtsmann gibt. Trotzdem hat sie einen langen Wunschzettel geschrieben, und Mama hat gemeint:
”Wenn sich alle Kinder so viel wünschen, wird der Weihnachtsmann kaum Lust haben, an Weihnachten zu kommen.“
„Klar“, hat Mia lachend geantwortet. „So viele Päckchen kann er ja gar nicht schleppen.“
Heute endlich ist Heiligabend, und Mia wartet auf die Bescherung. Warten aber ist langweilig. Mia geht in den Garten.
„Wieder keine weiße Weihnacht!“, mault sie. „Ich würde so gerne einen Schneemann bauen. Aber vielleicht bringen die Wolken ja Schnee? Vielleicht zusammen mit dem Weihnachtsmann, wenn er, hihi, auf seinem Schlitten über den Himmel geritten kommt?“
Mia setzt sich auf die Schaukel unter der Linde und schaut träumend durch die kahlen Äste in den Winterwolkenhimmel hinauf.
Plötzlich zupft es an ihrem Hosenbein. Mia erschrickt.
„Hier bin ich!“, quäkt es.
„Wo denn?“
„Jadoch, hierdoch“, tönt die Quäkstimme.

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Da sieht Mia den Fremdling. Ein kleines Weihnachtsmännlein ist´s, das sich an ihrer Jeans festklammert.
„Los! Los!“, ruft es. „Es eilt!“
„Ja ja.“ Vorsichtig pflückt Mia das Männlein von ihrer Hose.
„Hört zu!“, sagt der Fremde. „Du musst uns helfen!“
„W-was?“, fragt Mia erstaunt. „Helfen? Ich? Wer bist du?“
„Klardoch! Ein Weihnachtswichtel bin ich und in Not bin ich. Nein, das heißt, der Weihnachtsmann ist´s, der in der Patsche sitzt. Er hat doch tatsächlich vergessen, dass heute Heiligabend ist. Die ganze Zeit sitzt er vor hohen Wunschzettelbergen und wird und wird nicht mit dem Lesen fertig. Wenn kein Wunder geschieht, fällt die Bescherung in diesem Jahr aus.“

„Was für ein Wunder muss denn geschehen?“, fragt Mia.
Der Wichtel sieht Mia bittend an. „Ein Kind muss ihn holen. Ein Kind, das nicht so dumm ist und sagt, es gäbe keinen Weihnachtsmann.“ Er sieht Mia prüfend an. „Du glaubst doch an den Weihnachtsmann, oder?“
„A-aber j-jaa!“, stammelt Mia. „Was kann ich tun?“
„Zum Weihnachtsmann musst du gehen!“, sagt der Wichtel eifrig. „Du musst ihm sagen, dass Heiligabend ist. Auf uns Wichtel hört er ja nicht. Loslos. Schnell! Es eilt!“
„Ich weiß. Bald ist Bescherung“, sagt Mia. „Aber wie und wo finde ich den Weihnachtsmann?“
„Nichts leichter als das“, freut sich der Wichtel und gibt der Schaukel einen Schubs.
Die schaukelt los, hoch und höher himmelwärts, und schon fliegen Mia und der Wichtel über verschneite Länder nach Norden. Spannend ist das. Und kalt.
„Wo wohnt denn der Weihnachtsmann?“, fragt Mia aufgeregt.
„In Lappland am Berg Korvatunturi“, antwortet der Wichtel. „Und da sind wir auch schon.“ Die Schaukel landet vor einem verschneiten Haus mit roten Hauswänden und hell erleuchteten Fenstern.
„Sieh selbst!“ Der Wichtel deutet auf ein Fenster, und Mia linst durch die Fensterscheibe. Wirklich, da sitzt der Weihnachtsmann gemütlich vor einem hohen Zettelberg und liest.
„Längst müsste er unterwegs sein zu den Kindern“, quengelt der Wichtel.
„Stimmt“, sagt Mia und klopft ans Fenster.
Der Weihnachtsmann reckt sich, gähnt und öffnet die Tür.
„Hallo!“, staunt er. „Was verschafft mir die Ehre deines Besuches?“
„Ich möchte dich abholen, Weihnachtsmann“, sagt Mia. „Die Kinder warten, dass du auf deinem Schlitten über den Himmel ziehst und deine Geschenke bringst.“
„Hm!?“ Wieder schüttelt der Weihnachtsmann seinen weißen Lockenkopf. „Die Kinder warten? Jetzt schon?“
„Es ist Heiligabend!!!“, rufen Mia und der Wichtel laut.
Da bekommt der Weihnachtsmann einen Schrecken. „Heute?“ Er deutet auf die Zettelberge. „Ich bin noch nicht mit den Wunschzetteln hier fertig. Es sind so viele.“
Er geht zum Kalender und kratzt sich am Kopf. „In der Tat. Es ist der 24. Dezember. Das ist mir ja noch nie passiert! Danke, dass du gekommen bist. Ich muss sofort los! Aber was mache ich mit den ungelesenen Wunschzetteln? Ich kann doch die Kinder beim Bescheren nicht vergessen!?“
„Du könntest die fertigen Päckchen neu aufteilen“, schlägt Mia vor. „So kriegt jeder etwas ab.“
„Aber dann erfülle ich nie und nimmer alle Wünsche“, sagt der Weihnachtsmann bekümmert. „Die armen Kinder!“
„Na und?“, fragt der Wichtel. „Dann bekommen sie eben ein paar Geschenke weniger. Ist das so schlimm?“
Mia schüttelt den Kopf. „Lieber ein paar Geschenke weniger als dass du gar nicht kommst.“
„Wirklich?“, fragt der Weihnachtsmann zaghaft. „Traurige Kindergesichter mag ich nämlich nicht leiden.“
„Ich werde nicht traurig sein“, ruft Mia. Sie fasst sich ein Herz, schließt die Augen und drückt dem Weihnachtsmann einen Kuss auf die Backe.
Da tropft eine Weihnachtsmannträne genau auf Mias Nase. Kühl fühlt sie sich an, und Mia öffnet die Augen.
Was aber ist das? Sie sitzt ja wieder im Garten auf der Schaukel!? Hat sie den Besuch beim Weihnachtsmann nur geträumt?
Mia greift nach der Weihnachtsmannträne und findet einen Schneeflockenstern.
Schnee??? Mia blickt zu den Wolken. Ja. Erste Schneeflocken wirbeln durch die Luft.
„Es schneit!“, jubelt Mia. „Juchhu! Nun gibt es doch eine weiße Weihnacht. Und bestimmt ist der Weihnachtsmann auch nicht mehr weit.“
Sie springt auf und eilt ins Haus. Eine Kerze funkelt ihr vom Fenster entgegen. Ach, wie schön ist Weihnachten…

© Elke Bräunling

*Mit freundlicher Genehmigung der Autorin Elke Bräunling - weitere Geschichten auf ihrer Autorenseite

Gisela Brix
Jeder Mensch hat einen Bruder

Es war Heiligabend. In den Straßen der Stadt drängten sich die Menschen. Man schob und stieß einander und in der Hektik fiel auch manches böse Wort. In dieser Menschenmenge war ein junger Mann. Er hatte Wein zu besorgen - den besten, denn beim Festessen am heutigen Abend durfte nichts fehlen. Auch ein Geschenk für seine Frau musste er noch kaufen - irgendein Schmuckstück sollte es sein, etwas Auffälliges und Teures.

Die Schaufenster der Geschäfte waren weihnachtlich geschmückt und Weihnachtslieder klangen aus den Lautsprechern. Aber trotzdem kam keine Weihnachtsstimmung bei ihm auf. Er fühle sich müde und zerschlagen und wusste nicht, woran das lag.

Doch dann bemerkte er plötzlich zwischen all` den hin und her eilenden Menschen einen alten Mann, der langsam durch die Straße ging. Aufmerksam schaute der alte Mann den Menschen ins Gesicht - so als suche er etwas und manchmal wirkte er traurig.

Als der junge Mann in die Nähe des alten Mannes kam, blieb er stehen. Der Blick dieses alten Mannes hatte etwas in ihm berührt - so als ob die Flügel eines Vogels ihn sanft gestreift hätten und eine ferne Erinnerung wurde wach.
 

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“Wer bist du ?” ,fragte er und der alte Mann antwortete: “Ich bin dein Bruder.” - “Ich habe keinen Bruder” ,sagte der junge Mann, doch der alte Mann lächelte und erwiderte: “Jeder Mensch hat einen Bruder und der bin ich.” Sie schauten einander an und der junge Mann spürte, wie eine große Ruhe und ein Gefühl von Freude und Harmonie in ihm wuchsen.

“Komm mit mir nach Hause und feiere Heiligabend mit uns” ,bat er. “Wie schön” ,antwortete der alte Mann. “ein Fest zu meinem Geburtstag.” Sie verließen die belebte Straße und gingen Seite an Seite - der alte Mann und der junge Mann - und manchmal schien es so, als ob ein froh lachendes Kind bei ihnen wäre und mit ihnen ginge.

In der Wohnung des jungen Mannes kam ihnen seine Frau entgegen und rief ungeduldig: “Wo sind die Einkäufe ? Hast du sie vergessen ?” Doch dann wurde sie still. Sie schaute den alten Mann an und in ihrem Blick war ein Staunen. Mit einem Mal waren ihr die Einkäufe und auch das Festessen unwichtig geworden - sie empfand Frieden.

Als der alte Mann nach einiger Zeit wieder gehen wollte, bat der junge Mann: “Bleibe bei uns.” Leise sagte der alte Mann: “Ich bin immer bei euch, nur manchmal bemerkt ihr es nicht.” Er schaute sie liebevoll an, ging hinaus und schloss die Türe. Doch etwas von dem warmen Leuchten, das um ihn war, blieb bei ihnen - es war Heiligabend !

(c) Gisela Brix (veröffentlicht in: Reimmichl Volkskalender, Athesia-Verlag in Bozen)

*mit freundlicher Genehmigung von der Autorin Gisela Brix / veröffentlicht in: Reimmichl Volkskalender, Athesia-Verlag in Bozen

Inge Escher
Adventszeit
Weihnachten im Herzen

Zeit zum Atemholen, Nachdenken und Besinnen. 
In freudiger Erwartung der Feiertage, an denen man ausschlafen kann, endlich die ganze Familie wieder einmal um sich hat. Tage, an denen die Rituale gepflegt werden und auch an den ursprünglichen christlichen Sinn der Adventzeit gedacht wird. 
Kinderaugen erstrahlen noch im Glanze des Christbaumes bei der Bescherung. 
Mit den Jahren, ist man erwachsen, es werden die eigenen Geschenke immer unwichtiger. 
Die Wünsche werden im Gegensatz zu früher zurückgestellt, vielleicht weil man nicht gerade im Überfluss lebt, doch hauptsächlich weil man die Dinge plötzlich aus einer anderen Perspektive betrachtet. Das Meiste davon kann warten. Die Gesundheit ist wichtig und alles was es nicht zu kaufen gibt. 
 

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Mancher hegt den Wunsch etwas Gutes zu tun. 
Macht der Wohlstand uns geizig oder freigiebig? Kann man sich denn durch eine Geldspende für wohltätige Zwecke Glück und Freude ins Herz zaubern? 
Ist es nicht eher so wie beim ‚Mensch-ärgere-dich – nicht‘ Spiel? Als Kind ist man traurig, wenn man verliert und freut sich, wenn man als Erster seine Spielfiguren in Sicherheit und ins Ziel gebracht hat. Heute kann man sich glücklich schätzen, wenn überhaupt gespielt wird, man mitspielen darf und Zeit füreinander findet. 
Je älter man wird, um so mehr tritt die Gemeinsamkeit in den Vordergrund – Gesellschaft macht zufrieden, beglückt. Sich Zeit schenken, ist wertvoller denn je. 
Weihnachten mal gegen den Strom schwimmen, den Konsum in den Hintergrund stellen. 
So wird selbst gemachter Stress verringert. Einmal für andere da sein. Das wäre eine Sache. 
Heuer mal etwas anderes tun, als sich nur den Bauch voll hauen, Füße hoch legen, Entspannung pur genießen. Obwohl es jedem vergönnt ist und man es bisher selbst so gehalten hat. 
Weihnachten – das Fest der Liebe. 
Manch einer schätzt sich glücklich, wenn es innerhalb der Familie friedlich verläuft, wenn nicht gestritten wird. Oft hängt gerade am Heiligabend der Haussegen schief. – 
Viele, die gerade an den Feiertagen ihre Pflicht tun; die nicht mit ihren Lieben die Feiertage gemeinsam verbringen können, opfern viel. Doch bleibt ihnen nach der Diensttätigkeit überhaupt noch etwas Zeit für Herzens-Angelegenheiten? Macht sie die Pflicht nicht verdrießlich? Gerade an solchen Tagen? – Helfen ist wichtig und man braucht nicht weit zu schauen. Doch wer denkt schon an den kinderlosen einsamen Witwer nebenan; wer hat ein gutes Wort für die alte kranke Nachbarin, wie lange hat man sie schon nicht mehr gesehen? 
Oft genügt eine kurze Unterhaltung, ein freundliches Wort; und ein momentanes gesellschaftliches Bedürfnis wird gestillt. – 
In der Adventzeit in die Klinik gehen, den kranken Kindern Zeitvertreib schenken, indem man ihnen vielleicht eine schöne Geschichte vorliest. 
Es gibt so viele Möglichkeiten – die Freude, die wir geben kehrt ins eigene Herz zurück, das weiß doch jeder. So sollte immer Weihnachten sein. Das ganze Jahr. 
Weihnachten im Herzen bedeutet für mich nicht nur ein friedevolles Weihnachtsfest im Kreise der Familie, sondern auch NÄCHSTENLIEBE. Und darin möchte ich mich üben und es nicht nur bei guten Vorsätzen lassen, sondern in die Tat umsetzen. 

© Inge Escher 
 

*veröffentlicht in: Literarische Bescherung - HoHoHo, Christkind, Engel und Co. / InEsAnthologien ISBN: 978-3-7502-5571-5

Mika Kantz
Das Weihnachtswunder von Peru
-

„Ha!“

Es klang nach einem verächtlichen Auflachen und sie sah erstaunt zu ihrem Mann hin.
Er saß ihr gegenüber, das Gesicht hinter der Zeitung versteckt.

„Was ist denn?“, wollte sie wissen.

„Ach nichts!“, erklärte er, doch dann legte er die Zeitung auf den Tisch und machte eine hinweisende Kopfbewegung
in Richtung der Titelseite.

„Das Weihnachtswunder von Peru“, las sie und sah ihn verwundert an.

Sie hatten es gestern bereits in den Nachrichten gehört. Die 43 Bergleute, die nach einem Grubenunglück
in 500 Metern Tiefe eingeschlossen gewesen waren, hatten endlich befreit werden können.

Die ganze Welt hatte fünf Wochen lang mitgefiebert. Internationale Rettungsteams waren beteiligt gewesen,
Reporter hatten rund um die Uhr berichtet. Anfangs war man nicht sicher gewesen, ob da unten überhaupt jemand überlebt hatte;
erst nach zwei Wochen war es einem Team gelungen, Kontakt mit den Verschütteten aufzunehmen.
Mehrere Rettungsbohrungen waren dann gescheitert, doch gestern - eine Woche vor Weihnachten - hatten sie es geschafft.
Alle 43 Bergleute hatten aus der Tiefe befreit werden können.Erschöpft, verängstigt, aber am Leben. Und die ganze Welt feierte jetzt mit.

„Ich versteh nicht ...“ Sie schüttelte den Kopf. „Was genau stört dich daran?“

Das Weihnachtswunder von Peru!“ Seine Stimme klang verächtlich.
„Da hat man für die Schlagzeile mal wieder tief in die Kitschkiste gegriffen!“

„Du glaubst also nicht an Wunder“, stellte sie fest.
 

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„Du etwa?“ Er schaute sie belustigt an und es war ihm anzusehen, dass er nicht wirklich eine Antwort auf seine Frage erwartete.
„Das war kein Wunder! Das war aufeinander abgestimmte Zusammenarbeit von klugen Menschen,
moderner Technik und fähigen Rettungsteams mit Männern, die ihren Arsch bei der Sache riskiert haben!“

Sie nahm die Zeitung und faltete sie zusammen, sodass die Titelseite nicht mehr zu lesen war.
Während ihr Mann seinen Kaffee trank, schaute sie zum Fenster. Sie hatte einen Leuchtstern aufgehängt,
um wenigstens ein bisschen in Weihnachtsstimmung zu kommen.
Das Wetter da draußen vor dem Fenster war nämlich alles andere als weihnachtlich.
Es regnete seit Tagen ununterbrochen.

„Als Kind habe ich die Nachmittage immer bei meinen Großeltern verbracht. 
Du weißt ja, meine Eltern gingen den ganzen Tag arbeiten.“

Er schaute kurz zu ihr hin, dann griff er nach der Butter und dem Toast.

„Dort hatte ich eine eigene kleine Spielküche. Mit Herdplatten, Backofen, Kühlschrank, Töpfen, Geschirr und Kuchenformen.
Sie war so groß, dass ich darin stehen konnte. Natürlich funktionierte nichts davon.
Aber ich tat immer so, als würde ich Pudding kochen oder Kuchen backen. Hauptsache süß!“

Er lächelte. „Das hat sich bei dir bis heute nicht geändert.“

„Stimmt.“ Sie erwiderte sein Lächeln. „In einem Sommer - ich war vielleicht fünf Jahre alt -
unterbrach mich mein Großvater beim Spielen, denn er wollte mich zum Einkaufen mitnehmen.
Ich hatte gerade einen unsichtbaren Pudding zusammengerührt und stellte ihn schnell zum Abkühlen in meinen kleinen Kühlschrank.“

Er hatte seinen Toast auf den Teller gelegt und hörte ihr jetzt aufmerksam zu.

„Als wir vom Einkaufen zurück waren, wollte ich weiterspielen.
Ich öffnete den kleinen Kühlschrank und da – in dem roten Plastikförmchen –
da war tatsächlich ein Pudding. Ein echter vanilleduftender Pudding!“

„Wie niedlich!“ Er lachte auf. „Das wird dir gefallen haben!“

„Ich konnte es nicht fassen. Es war unglaublich! Mein Wunsch hatte sich erfüllt. Es war wie Zauberei, es war wie Magie.
Es war einfach nur ein Wunder.“

„Du meine Güte!“ Jetzt verzog er das Gesicht. „Das hältst du doch nicht wirklich für ein Wunder!
Bei einer Fünfjährigen kann ich das ja verstehen, aber inzwischen hast du hoffentlich genug Verstand, um zu wissen,
dass deine Großmutter den Pudding dort versteckt hatte!“

Sie beugte sich etwas zu ihm hin und sah ihn belustigt an. „Du glaubst wirklich, Wunder erkennt man mit dem Verstand?“

Er wollte etwas erwidern, doch sie ließ ihn nicht ausreden.

„Das eine kann ich dir sagen, mein Lieber: Wunder kündigen sich weder mit Glockengeläut noch mit einem Halleluja an!
Wenn du darauf wartest, werden viele Wunder einfach an dir vorübergehen. Sie passieren nicht mit einem Fingerschnippen
und mitunter sind sie sogar harte Arbeit!“

„Blödsinn!“ Er schüttelte ablehnend den Kopf.

Sie griff nach seiner Hand und sah ihn ernst an. „Es braucht keine Fee, die drei Wünsche erfüllt,
keine Engel und keinen Zauberer mit einem Zauberstab.

Manchmal braucht man für ein Wunder einfach nur eine Großmutter, die einen Pudding in einer Spielküche versteckt.“

(c) Mika Kantz
 

*mit freundlicher Genehmigung der Autorin Mika Kantz 

Der folgende Link führ zu ihrem zauberhaften Buch "Der Tag, an dem die Magie verschwand"


Sabine Kohlert
Glitzersterne Weihnachtszauber

»Sind die hässlich!«, flüsterte Eva ihrem Mann Christian zu.
Ihre Tochter staunte gerade über die vielen lustigen Zwetschgenmännchen in der Weihnachtsbude. »Oh, sind die schön. Das da sieht aus wie die Oma und das, wie unser Nachbar mit dem langen Bart. Und da, Mama schau, ein Engel!« Marlene strahlte. »Kann ich so einen haben?«
»Nein, Maus. Das ist kein Spielzeug. Das sind vertrocknete alte Pflaumen.« Marlenes Mutter schüttelte den Kopf.
Marlene machte ein enttäuschtes Gesicht. »Ich finde den Engel aber schön!«

Sie hopste zum nächsten Stand. »Mama, schau!«
Marlene stand vor einem meergrün glasierten Tondrachen und brachte den Mund nicht mehr zu.
»Er raucht, ganz in echt! Aus seinen Nasenlöchern.«
»Ja, Maus, komm weiter.« Ihre Mutter sah genervt auf die Uhr.
»Ist der echt? Bestimmt ist er ein echter Drache!«
Marlenes Papa nahm sie auf den Arm, damit sie besser sehen konnte.

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»Vielleicht sollten wir dann lieber einen Schritt zurückmachen. Er könnte ja Feuerspucken!« Marlene kicherte.
»Der ist natürlich nicht echt!«, klärte ihre Mutter sie auf. »Da sind so kleine Räucherhütchen drin, die zündet man an und dann raucht der Drache.«
»Eva, du nimmt diesem Weihnachtsmarkt jegliche Magie«, raunte Marlenes Vater hinter vorgehaltener Hand.

Seine Frau verdrehte die Augen, als sie seinen empörten Blick sah. »Christian, wir müssen langsam los. Ich muss heute noch diesen Bericht fertigmachen.« Eva verzog das Gesicht. »Außerdem geht mir dieser Weihnachts-Hype hier total auf den Keks. Dieser Christkindlesmarkt ist einfach zu viel. Zu viel Weihnachten, zu viel Glitzer, einfach zu viel!«

»Aber mir gefällt es«, Christian strahlte, »entspann dich, Schatz.«
Marlene deutete auf einen Stand mit bunten Sternen. »Nur noch ein bisschen.«
»Wir sind jetzt schon über eine Stunde hier. Mir reicht es.« Eva sah wieder auf ihre Uhr.
»Kann ich eine Bratwurst haben?« Marlene war schon zum nächsten Stand unterwegs.
»Okay, eine Bratwurst und dann fahren wir nach Hause«, gab ihre Mutter nach.

Plötzlich blieb Marlene stehen. In der engen Gasse lief eine Gestalt mit einem bodenlangen, weißen, mit goldenen Sternen verzierten Kleid in ihre Richtung. Auf ihrem Kopf trug sie eine goldene Krone und ihre goldenen Locken fielen ihr bis über die Schultern.

Schnell nahm Marlene die Hand ihrer Mutter. »Das ist das Christkind«, flüsterte sie ehrfürchtig und drückte sich vorsichtig an sie.
»Maus, du musst keine Angst haben. Das ist nur eine Schauspielerin. – Au!« Christian trat seiner Frau auf den Fuß. »Kannst du das lassen!«, zischte er ihr verärgert zu. »Unsere Tochter ist fünf Jahre. Lass ihr doch noch ein wenig den Glauben daran.«

Eva seufzte. Das Christkind ging vorüber und seine goldenen Flügelärmel wehten bei jedem Schritt. Marlene war begeistert. »Ist das schön! Ich hab das Christkind gesehen.« Und an ihre Mutter gewandt sagte sie: »Da hast du nicht recht Mama. Eine Schauspielerin kann nie so schön sein, wie das Christkind.«

Christian grinste. Die Bratwurst schmeckte Marlene besonders gut. »Die ist total lecker. Vielleicht hat sie das Christkind gemacht. So eine gute Bratwurst hab ich noch nie gegessen.«
Christian zwinkerte seiner Frau zu. Eva musste nun auch ein wenig lächeln.

»So, Maus, aber jetzt gehen wir – Maus? – Marlene?«
Marlene war verschwunden. Hektisch schaute sich Eva nach ihrer Tochter um. »Christian, ich kann sie nirgendwo sehen.«
Marlenes Vater lief an ein paar Buden entlang. »Marlene, Mausi! Wo bist du?«
»Marlene?«, rief Eva hysterisch.
»Okay, beruhige dich! Du bleibst hier, für den Fall, dass sie zurückkommt und ich gehe hier lang.« Christian nickte seiner Frau zu und ging in Richtung der bunten Sterne davon.
Von Marlene war weit und breit nichts zu sehen. Er schaute an jedem Stand, rief ihren Namen. Nichts!

Als er fast am Ende der Gasse angekommen war, sah er eine Menschentraube im nächsten Gang. Das Christkind stand neben der Krippe und unterhielt sich mit ein paar Kindern. Christian drängte sich zwischen zwei Buden auf die andere Seite. Da war sie! Marlene zupfte das Christkind gerade an seinem goldenen Flügelärmel. »Bist du wirklich das echte Christkind?«, fragte sie laut.

Die Gestalt im Sterneglitzerkleid beugte sich zu Marlene hinunter. »Aber sicher bin ich das echte Nürnberger Christkind.«
Marlene nickte ernsthaft. »Ich hab das eigentlich schon gewusst, aber meine Mama hat gesagt, du bist eine Schauspielerin.«
»So, so eine Schauspielerin. Nein, das bin ich auf gar keinen Fall.« Das Christkind lächelte. »Wie heißt du denn?«
»Ich bin die Marlene«, sagte Marlene. »Du, Christkind, kannst du nicht irgendetwas machen, damit mir meine Mama glaubt?«
»Was soll ich denn machen?«
»Na, halt so einen Christkindzauber. Vielleicht kannst du ein bisschen fliegen oder Glitzersternezauber machen, wie die Hexe in meinem Buch; oder etwas herzaubern.«

»Marlene, Mäuschen, du kannst doch nicht einfach weglaufen«, unterbrach sie ihr Papa und ging vor ihr in die Hocke. »Mama und ich haben einen großen Schreck bekommen. Bitte mach das nie wieder!«
Marlene hörte gar nicht zu. »Papa, schau, das ist das echte Christkind.« Marlene setzte sich auf seine Knie. »Und gleich macht es etwas ganz Tolles. Einen Christkind-Weihnachtszauber mit Glitzersternen. Du musst die Mama anrufen, damit sie das sieht.«

Die Gestalt mit der goldenen Krone schaute etwas hilflos. »Einen Glitzersterne-Weihnachtszauber soll ich machen?« Dann fasste sie sich. »Weißt du Marlene, die Glitzersterne, die sind für Heiligabend. Die muss ich noch ein wenig aufheben.« Sie wurde ernster. »Sag, bist du wirklich weggelaufen?«
Marlene schaute erschrocken, erst das Christkind und dann ihren Papa an. »Ich wollte doch nur, dass Mama Weihnachten auch mag.« Sie fing an zu schniefen.
»Wirklich, deine Mama mag Weihnachten nicht?« Fragend schaute das Christkind Marlenes Papa an. Der zuckte mit den Schultern.
»Was wünschst du dir denn am meisten?«, fragte die Gestalt mit den langen goldenen Locken.
»Dass Mama den Weihnachtsmarkt auch so toll findet wie ich und – eine Zwetschgenpuppe.«

Das Christkind stutzte. Dann schaute es über Marlene und ihren Papa hinweg, nickte und lächelte. »Ich glaube, da lässt sich etwas machen. Hast du gehört, Marlene, was ich da oben auf der Kirche zu all den Menschen hier unten gesprochen habe?«
Marlene schüttelte den Kopf.
Da hob das Christkind seine Arme und fing in feierlichem Ton an, die letzte Strophe seines Prologs aufzusagen: »Die Kinder der Welt und die armen Leut’, die wissen am besten, was schenken bedeut’. Ihr Herr’n und Frau’n, die ihr einst Kinder wart, seid es heut’ wieder, freut euch in ihrer Art. Das Christkind lädt zu seinem Markte ein, und wer da kommt, der soll willkommen sein.« Dann deutete es auf eine Stelle hinter Marlene und ihrem Papa.

Marlene drehte sich um. Da stand ihre Mama und strahlte. Strahlte, als gäbe es nichts Schöneres, als hier auf diesem Markt zu sein und Marlene zu sehen. Leise flüsterte sie: »Mausi.« Dann breitete sie die Arme aus und in der einen Hand hielt sie den Zwetschgenengel, der Marlene so gut gefallen hatte

*mit freundlicher Genehmigung der Autorin - Autorenseite: www.sabinekohlert.de

Diese Geschichte wurde in der Anthologie "Die Magie der Weihnachstsmärkte" Wendepunkt Verlag, Hrsg. Petra Pohlmann, veröffentlicht.


Margret Küllmar
Seltsame Gestalten

„Irgendetwas haben die Menschen vor, ich weiß nur noch nicht was,“ erzählte Felix, als er von seiner nächtlichen Futtersuche nach Hause kam.
Er bewohnte, mit seinem Kumpel Bino, den Speicher eines alten Bauernhauses. Die beiden Steinmarder fühlten sich dort pudelwohl. Es gab jede Menge Gerümpel und alte Kleidung. Sie hatten sich darin mehrere Wohnungen hergerichtet und konnten nach Herzenslust toben, klettern und Verstecken spielen. Die Menschen im Bauernhaus störte es nicht, dass sie Mitbewohner auf dem Dachboden hatten und Felix und Bino ließen Hühner und Singvögel in der Umgebung in Ruhe.

Bino, ein lebenslustiger leichtsinniger Geselle, war schon länger zu Hause, aber noch gar nicht müde. Seine Futtersuche hatte er abgebrochen, als es zu schneien begann. In einem Hühnerstall, am Rande des Dorfes, hatte er sich ein Ei geholt und die Hühner ein wenig gescheucht. Dann hatte er sich auf den Heimweg gemacht und seinen restlichen Hunger in der Speisekammer von Felix gestillt. Als dieser gegen Morgen, müde und frierend zurückkam, war Bino gerade dabei, seinen Frühsport zu machen. Immer wieder kletterte er auf einen alten Kleiderschrank und sprang von dort aus, punktgenau, in die Mitte einer durchgelegenen Matratze. „Bino, Bino, wann wirst du endlich vernünftig?“ fragte Felix kopfschüttelnd und räumte Reste von Binos Mahlzeit weg. 

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Er wusste genau, wo die Nussschalen herkamen, schimpfte aber nicht, er war viel zu sehr mit seinen nächtlichen Erlebnissen beschäftigt. „Stell dir vor“, redete er weiter, „die Menschen haben überall Lichter angebracht, in den Fenstern, an den Häusern, ja sogar an den Bäumen. Manche sind bunt und blinken. Hast du das denn nicht gesehen?“ Bino stellte das Springen ein, gähnte herzhaft und sagte: „Nein, darauf habe ich aber auch nicht geachtet, ich war so mit der Futtersuche beschäftigt und jetzt bin ich müde, guten Tag, schlaf gut.“Dann marschierte er zielstrebig zu seinem Schlafplatz, den er sich, in der Schublade einer Kommode, mit Klamotten ausgepolstert hatte. Felix hielt ihn zurück. „Warte, du musst mir was versprechen, heute Nacht gehen wir zusammen los. Ich muss wissen, was da draußen passiert“, bat er. Der müde Bino versprach alles, er wollte jetzt endlich seine Ruhe haben. Sein Freund Felix war ja wirklich ein schrecklich vernünftiges Tier. Stets war seine Vorratskammer gefüllt, sein Schlafplatz immer sauber und aufgeräumt, außerdem konnte er alles, was ein Steinmarder so können muss. Für Bino war das sehr bequem, nur Felix Neugierde nervte ihn gelegentlich. Mit diesem Gedanken schlief er ein.

Am nächsten Abend, kaum dass es draußen dunkel geworden war, weckte Felix seinen Freund Bino. „Auf geht’s alter Junge, ich will dir die Lichter zeigen, mach dass du in die Gänge kommst. Putzen brauchst du dich heute nicht und frühstücken können wir unterwegs“, kommandierte er. „Ist ja gut, ist ja gut, ich komme“, maulte Bino, der gern noch länger geschlafen hätte.
Zehn Minuten später machten sich die beiden auf den Weg. Und tatsächlich, Bino staunte nicht schlecht, Lichter, wohin er auch sah. Viele waren reihenweise an Dächern, Fenstern oder Mauern befestigt, manche hatten die Form eines Rentiers oder eines Sterns. Es glitzerte und blinkte in allen Farben. Bino war platt, er konnte sich gar nicht satt sehen. Was das wohl zu bedeuten hatte? Plötzlich schrie er auf: „Felix, sieh nur, der komische Mensch klettert an der Dachrinne hoch, ob er auch auf dem Speicher wohnt?“ Die Gestalt hatte einen langen roten Mantel mit einem weißen Pelzrand an. An den Füßen trug er schwere Stiefel und auf dem Rücken einen gefüllten Kartoffelsack. Auf dem Rand seiner roten Zipfelmütze waren grell blinkende Lichter befestigt. „Seltsam“, sagte Felix, „vor dem kann man sich ja fürchten. Lass uns weitergehen. Ich möchte bloß wissen, warum die Menschen so viele Lichter anzünden. Vieles ist ja recht schön, aber der Kerl da …“
Felix ging kopfschüttelnd weiter. Plötzlich ertönte hinter ihm ein entsetzlicher Schrei. „Hilfe“, brüllte Bino, „Hilfe, Felix hilf mir, da ist noch so einer und der bewegt sich.“ Und tatsächlich kam eine große breite Gestalt im roten Mantel direkt auf sie zu. Sie sah genauso aus, wie die an der Dachrinne, nur die Mütze blinkte nicht so albern. Der sonst so schlaue Felix wusste vor Schreck nicht, wohin er flüchten sollte. Er blieb einfach mitten auf der Straße stehen und starrte das furchterregende Wesen an. Bino versteckte sich unter einem geparkten Auto.

„Komm raus da und mach keinen Blödsinn und du mach den Mund zu“, herrschte die Gestalt die beiden an. „Ihr braucht keine Angst zu haben“, fuhr sie mit ruhiger, sehr tiefer Stimme fort, „Wenn ihr möchtet, erzähle ich euch, was der ganze Zauber hier soll.“„Ja, das möchten wir, sehr gern sogar“, beeilte sich Felix zu sagen, seine Stimme war vor Aufregung ganz piepsig.
„Also, ich bin der Weihnachtsmann“, stellte sich dieser nun vor und erzählte weiter, „Ich komme jedes Jahr um diese Zeit auf die Erde, es ist nämlich Advent, wisst ihr was das ist?“ „Nein“, die Steinmarder schüttelten ihre Köpfe. „In der Adventszeit bereiten sich die Menschen auf Weinachten vor, wisst ihr was das zu bedeuten hat?“ fragte der Weihnachtsmann erneut. „Nein“, die Beiden schütteln wieder ihre Köpfe. „An Weihnachten feiern die Menschen die Geburt des Jesuskindes, so wie man einen Geburtstag feiert. Sie backen Plätzchen, kochen gutes Essen, machen das Haus sauber, kaufen sich gegenseitig Geschenke, schmücken alles und stellen viele Lichter auf“, erklärte der Weihnachtsmann, sah sich um und murmelte, „Na ja, manchmal übertreiben sie schrecklich.“ Bino fragte nach: „Warum tun sie das alles und was hast du damit zu tun?“ Geduldig erklärte der Weihnachtsmann weiter: „Sie freuen sich und wollen anderen auch eine Freude machen und ich helfe ihnen dabei. Meistens teile ich Geschenke aus.“ Das fanden Felix und Bino gut und weil sie herausgefunden hatten, dass der Weihnachtsmann sehr nett war, wollten sie ihm beim Freude machen helfen. „Was können wir tun?“ fragten sie. Der Weihnachtsmann dachte nach und sagte dann: „Ich glaube ihr könnt gar nichts tun, aber ihr könnt vieles lassen. Dann freuen sich die Menschen auch.“

Enttäuscht fragte Felix: „Wie denn?“ Und Bino fügte hinzu: „Wir machen doch gar nichts Schlimmes.“ „So“, sagte der Weihnachtsmann, „da bin ich aber anders informiert. Gestern war die Großmutter, in dem Haus da drüben, ganz traurig. Sie wollte für ihr Enkelkind Plätzchen backen und brauchte dazu Eier, aber sie konnte im Hühnerstall kein einziges Ei finden.“ Bino sah schuldbewusst unter sich. Der Weihnachtsmann fuhr fort: „Vor zwei Tagen stand hier ein Mann, der wollte in der Stadt Medikamente für seine kranke Tochter holen, aber sein Auto sprang nicht an, weil Tiere, vermutlich Marder, die Kabel von unten angeknabbert hatten.“ Bino sah immer noch schuldbewusst unter sich. „Und in der Nacht zum Montag konnte das halbe Dorf nicht schlafen, weil sich ein Marder über den Fressnapf einer Katze hergemacht hatte. Die beiden sind streitend, fauchend und kreischend in der Gegend herumgerannt“, sagte der Weihnachtsmann. Jetzt blickte Felix angestrengt auf die Pflastersteine. Dann sahen sich die beiden verwundert an, das hatten sie nicht gewusst, dass es möglich ist, Freude zu bereiten, wenn man etwas nicht tut. „Doch“, erklärte der Weihnachtsmann. „das ist möglich, aber es gibt viele Menschen, die das auch nicht wissen.“ „Dann wird es aber Zeit, dass sie mal darüber nachdenken“, sagten Felix und Bino, wie aus einem Schnütchen. Der neugierige Felix hatte noch eine Frage, bevor sie sich verabschiedeten: „Weihnachtmann, wieso weißt du das alles?“ „Das ist mein Geheimnis, denn wenn ich nicht alles wüsste, wäre ich nicht der Weihnachtsmann“, sagte er und ging lachend davon.

(c) Margret Küllmar

*Ich bedanke mich bei Margret Küllmar für die Genehmigung ihre Weihnachtsgeschichte hier veröffentlichen zu dürfen.

Gabriele Maricic-Kaiblinger
Eine „andere“, heutige Herbergsuche

Lautlose, dicke Flocken bahnen sich ihren Weg auf die Erde, als sie die Straße entlanggeht. Sie streckt die Handflächen aus und lässt einige Schneeflocken darauf zergehen. Trotz hektischem Treiben um sie herum, geht sie ruhig ihren Weg, bleibt ab und zu stehen, um sich glitzernde Schaufenster anzusehen und lächelnd singenden, kitschigen Weihnachtsmännern zuzuhören. Vom Kaufrausch lässt sie sich nicht anstecken. Erstens, weil das Geld dazu sowieso nicht reichen würde, zweitens hat sie kein Verlangen nach irgendwelchem Luxus. Sie fühlt sich schon reich, seit sie in dieses Land gekommen war, seit sie nicht mehr bei jedem Schritt und Tritt Angst haben muss, verfolgt oder gar Schlimmeres zu werden. Fühlt sich glücklich, all dies Schöne erleben und miterleben zu dürfen. Sogar Leute, die achtlos diskriminieren sowie gedankenlos Vorurteile hegen, ohne sich informiert und nach den Beweggründen gefragt zu haben, haben dieses Glücksgefühl in ihr nicht runterdrücken können. Weil sie in ihrer ursprünglichen Heimat noch Furchtbareres erdulden hat müssen.

Wieder in ihrem Zimmer im Heim für Asylwerber angekommen, fällt ihr Blick gleich auf diesen Brief. Sie weiß sofort, was es ist, reißt den Brief ungeduldig auf. Bevor sie noch anfängt zu lesen, fängt ihr Herz an wie wild zu schlagen, und sie braucht ihn eigentlich gar nicht mehr zu lesen, da sie sowieso schon spürt, was drin steht. Ihr Asylantrag ist neuerlich, nun endgültig, abgewiesen worden. Sie muss sich setzen, denn ihre Knie fühlen sich plötzlich so weich und zittrig an. Sie starrt vor sich hin und begreift es nicht. Hat sie doch all ihre Hoffnung darauf gesetzt, hier Schutz zu finden und mit der Zeit ein neues, ein ganz normales Leben anfangen zu können.

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In ihrem Herkunftsland hat sie einer religiösen Minderheit angehört, ist als Christin in einem von radikal-muslimischen Regime regierten Land, immer wieder Anfeindungen und Übergriffen ausgesetzt gewesen. Sie, eine Frau, hat es gewagt, sich zur Wehr zu setzen, öffentlich Politik und Justiz zu kritisieren. Nach einer Teilnahme an friedlichen Kundgebungen von Studenten, ist sie als „unreine Christin“ und „Feindin Gottes und des Islams“ verhaftet und ins Gefängnis gebracht worden.
Sie zittert bei dem Gedanken an diese Zeit des Grauens, in der Vergewaltigung und Folter auf der Tagesordnung gestanden haben. Auch nach ihrer Entlassung hat sie weiter um ihr Leben bangen müssen. Als Druck und Panik zu groß und wegen ihr ebenso Familienangehörige und Freunde bedroht worden sind, ist sie geflohen, um die Menschen, die ihr lieb sind, nicht noch mehr zu gefährden. Leicht ist ihr das nicht gefallen, liebt sie doch, trotz allem, ihre Heimat. Über Umwege ist sie schließlich in Österreich gelandet, wo sie sich Ruhe, Sicherheit und vor allem Frieden erhofft hat. Einfach nur als allen anderen gleichwertiger Mensch leben hat wollen. Im neuen Land hat sie dann allmählich wieder Mut gefasst, einfühlsame Personen gefunden, die sich bemüht haben, zu helfen.

Und nun - ihre ganze Hoffnung, ihr Vertrauen, dass sie langsam und nur zögernd aufgebaut hat - mit einem Schlag zunichte gemacht.

Der Weg zum Flugzeug erscheint ihr endlos lang, ihre Füße schwer. Von irgendwoher hört sie Glocken läuten. Fein, zart, dann intensiv, das nahende Fest ankündigend. Glocken - im Flugzeug drin werden sie vom startenden, anschwillenden Motorengeräusch übertönt.  Erst jetzt sieht sie sich um, schaut in ausdruckslose, manchmal tränennasse Gesichter. Wie viel Schicksal, wie viel Leid sich wohl hinter jedem verbirgt? Ausgewiesene, Abgeschobene - und jeder Einzelne davon hat seine eigene tragische Geschichte, von der niemand Genaueres wissen will. Aus dem Fenster sehend, erblickt sie noch einige Lichter, die immer schwächer werden, bis sie gar nicht mehr zu sehen sind und ihre ungewisse Zukunft immer mehr zur Gegenwart wird. Nur das Glockengeläute klingt ihr noch einige Zeit im Ohr nach – lieblich und friedlich.

Frohe Weihnachten ...  

 

(c) Gabriela Maricic-Kaiblinger

*Geschichte enthalten in dem Buch: "still-dröhnend und lichterdunkel" von Gabriele Maricic-Kaiblinger ISBN 978-3-7392-0575-5 

Mina Pantic
Ein magischer Winter-Weihnachtstag

In einem kleinen Dorf, inmitten von Bergen und Wäldern, lebte eine Familie, die jedes Jahr das Weihnachtsfest groß feierte. Die Eltern und ihre Kinder bereiteten sich Monate im Voraus darauf vor und dekorierten ihr Haus mit Lichtern und Ornamenten.

Doch in diesem strengen Winter war das Wetter besonders schlecht. Der Schnee fiel ununterbrochen und es war so kalt, dass keiner das Haus verlassen wollte. Die Kinder waren enttäuscht, denn sie hatten gehofft, dass sie draußen spielen und Schlittenfahren könnten.

Doch dann gab es eine Überraschung:

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Am Weihnachtsmorgen öffneten die Kinder ihre Augen und entdeckten, dass jemand in der Nacht den Schnee vor ihrem Haus in eine wunderschöne Winterlandschaft verwandelt hatte. Es gab eine Eislaufbahn, einen Weihnachtsbaum mit Geschenken und sogar einen kleinen Schutzraum, in dem man sich vor dem kalten Wind schützen konnte.

Die Kinder und ihre Eltern waren begeistert und verbrachten den ganzen Tag damit, im Schnee zu spielen und ihre Geschenke auszupacken. Am Abend machten sie ein Lagerfeuer und grillten Marshmallows, während sie Weihnachtslieder sangen.

Am nächsten Morgen, als sie aufwachten, war alles wieder normal. Aber die Erinnerung an diesen besonderen Weihnachtstag blieb für immer in ihren Herzen. Sie wussten, dass es beim Weihnachtsfest nicht nur darum ging, Geschenke zu bekommen, sondern auch darum, Zeit mit denen zu verbringen, die man liebt.

Von diesem Tag an feierten die Kinder jedes Weihnachtsfest mit Freude und Dankbarkeit, wissend, dass sie immer in der Lage sein würden, aus jeder Situation das Beste zu machen. Und so lebte die Familie glücklich bis ans Ende ihrer Tage.

(c) Mina Pantic 

*mit freundlicher Genehmigung der Autorin - Hier findet Ihr weitere schöne, kurze Gute Nacht Geschichten für Kinder!

Barbara Pronnet
Eine wichtige Botschaft

Der heilige Nikolaus verstaute die letzten Päckchen auf seinen Schlitten, zurrte das Seil fest und stieg auf seinen Kutschbock. Seine Rentiere waren gefüttert, gestriegelt und schnaubten mit freudiger Erwartung Dampfwolken in die eisige Nacht.
„Seid ihr bereit meine Freunde?“ rief er laut  und die braven Tiere nickten. Sie kannten ihre Bestimmung und ihr Herr war ein guter Mann der  eine wunderbare Aufgabe hatte. Er machte die Menschen, besonders die Kinder glücklich.

Mit großem Gebimmel sausten die Tiere über das blanke Eis und nahmen immer mehr Fahrt auf. Der Nikolaus blinzelte und plötzlich hoben sich die Tiere in den Himmel, gewannen immer mehr an Höhe und flogen im Galopp durch die Nacht. Die Sterne funkelten am Himmelszelt und als das Schlittengespann ihre Flughöhe erreicht hatte, schwebte sie lautlos und leicht wie Schneeflocken dahin.Der Nikolaus war nach einiger Zeit etwas eingenickt. Er konnte seinen Tieren vertrauen, sie kannten den Weg. Plötzlich wurde das Gespann unruhig und der Nikolaus war sofort hellwach.

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Er sah gleich warum seine treuen Gesellen Alarm schlugen. Weit unten im Eismeer trieb eine lose Eisplatte mit zwei kleinen Eisbären. Die Eisbärenmutter schwamm aufgeregt daneben her, sie wollte die Kleinen wieder Richtung Ufer treiben, war aber bereits  zu erschöpft. Schnell zog der heilige Mann an den Zügeln und die Rentiere schwebten in einer schrägen Linkskurve hinunter zu der Familie im Wasser.

Mit viel Gefühl dirigierte der Nikolaus sein Gespann und  bald berührten die Hufen der Rentiere sanft  die Wasseroberfläche und sie galoppierten vorsichtig  los. Das Wasser bewegte sich  in sachten Wellen und die Eisplatte mit den kleinen Eisbären trieb zum Ufer zurück.

Die Kleinen sprangen sofort auf sicheren Boden und warteten dort mit großem Geschrei auf die Mama. Als diese sich müde aus dem Wasser zog, sprangen sie auf sie zu und erdrückten sie fast vor Freude.

Der Nikolaus und seine Rentiere waren sehr froh, dass sie der kleinen Familie helfen konnten.

„Ich danke dir von Herzen, du guter Gesell“  sagte die Eisbärenmama ehrfürchtig. „Meine Kinder spielten und plötzlich brach das Eis und sie trieben fort. Es ging alles so schnell. Das Eis wird immer gefährlicher. Irgendetwas stimmt nicht. Es ist, als löse sich unser Lebensraum auf. Seid die Menschen uns jagen, beobachten und stören, passieren diese Dinge“.
Der Nikolaus nickte traurig. „Ich weiß, es wird sich vieles für euch ändern. Ihr müsst vorsichtig sein und euch bereithalten. Wenn die Menschen ihr Verhalten nicht ändern, seid ihr in Gefahr. Ich bringe jedes Jahr eine Botschaft der Besinnung und bete für euch alle. Die Kinder der Menschen sind meine größte Hoffnung und wenn diese erkennen um was es im Leben wirklich geht, dann habt auch ihr eine Chance.“

„Dann wünsche ich dir, dass deine Eingebung  in die Köpfe der Menschen dringt und wir alle wieder auf eine gute und sichere Zukunft hoffen dürfen. Leb wohl“ sagte die Eisbärin mit traurigen Augen. Der Nikolaus winkte zum Abschied und schnell wie der Wind trieb er seine Tiere zurück in die dunkle Nacht.  Jetzt war die Zeit gekommen und er musste sich beeilen.  Er hoffte so sehr die Kinder nicht nur mit Süßigkeiten zu erfreuen, sondern ihnen  seine wichtigste Botschaft zu überbringen. Ihre Zukunft.

Zur Autorenseite

*mit freundlicher Genehmigung der Autorin

*mit freundlicher Genehmigung der Autorin - zur Autorenseite von Barbara Pronnet

Heinz Riedel
Die Wegegabel

Es war am 24. Dezember des Jahres 1955. Ein Zug fuhr ratternd nach Süden.

An dem jungen Mann, der aus dem Fenster schaute, glitt weißverzaubert die verschneite Landschaft vorüber.

"Das Getöse des Zuges passt gar nicht zum Heiligabend", sagte er unvermittelt zu den beiden Mitreisenden Im Abteil.

Das alte Mütterchen, sorgsam eine buntverpackte Schachtel auf den Knien haltend, erwiderte: "Es wird schon wieder still werden, wenn die Kerzen am Tannenbaum brennen.“

Der Mann auf dem Eckplatz raschelte mit Geschäftspapieren und addierte lange Zahlenreihen. Er schaute verständnislos auf. Sorgen haben die Leute, dachte er, und rechnete weiter.

Er sah mit Freude auf die Zahlen. Das war ein Weihnachtsgeschäft! Und morgen am ersten Feiertag sollte es in Garmisch zu einer erfolgversprechenden Begegnung mit dem Chef einer Warenhauskette kommen.

Robert Falk unterstrich die Summe seiner erfreulichen Bilanz und lehnte sich zurück.

Mit einen Lächeln Im Gesicht saß das alte Mütterchen ihm gegenüber. Der junge Mann schaute noch immer mit kindlich großen Augen in den Winterabend. Nein, das waren keine Gesprächspartner für ihn.

Hoffentlich gibt es keine Verspätung! Er musste unbedingt den letzten Anschluss nach Garmisch haben. Sorgenvoll blickte Robert Falk auf seine Armbanduhr.

Der Zug bremste und hielt. Das Mütterchen und der junge Mann stiegen nach einem freundlichen Weihnachtsqruß aus.

"Frohe Weihnacht!' erwiderte der Geschäftsreisende unmutig. Mein Weihnachten Ist vorüber, erinnerte er weiter, die Kasse stimmt, das ist die Hauptsache. Das andere: Kerzen, Tannenbaum — na, etwas für Kinder und alte Mütterchen. Der Zug rollte wieder südwärts durch den Jetzt stürmisch fegenden Wind.

Der Versuch, ein wenig zu schlafen, wurde vom Kreischen der Bremsen gestört. Der Zug hielt auf einem kleinen Bahnhof und stand, wie Robert Falk feststellte, auf einem Nebengleis. Starker Wind wirbelte Schneeflocken ins Abteil. Schnell schloss er das Fenster und betrat den Gang.

Dort berichtete der Schaffner von starken Schneeverwehungen auf der Strecke und sagte: "In etwa 30 Minuten fährt dieser Zug nach München zurück. Wie Sie dann weiterkommen, müssen Sie dort erfragen. Hier In Griesbach kann keiner eine verbindliche Auskunft geben."

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Der Ortsname erinnerte Robert Falk an seinen Freund, der einige Kilometer von hier wohnte. Karl würde ihn bestimmt mit seinem Auto termingerecht nach Garmisch fahren.

Robert Falk rief an und erfuhr, dass der Freund frühestens in zwei Stunden zu Hause wäre. Das war ärgerlich!

In seiner Ungeduld ließ er gleich den Weg nach ElIing beschreiben. Über eine

Stunde müsste er schon laufen, meinte der Bahnhofsvorsteher, wenn er aber den Weg gleich hinter Griesbach links einschlüge, wäre es früher am Ziel. Er müsste aber danach bei der Wegegabel die Abzweigung nehmen. „Rechts – nicht vergessen“ rief er noch einmal hinterher.

Der heftige Wind hatte nachgelassen. Robert Falk ging durch Grießbach und schlug den abkürzenden Weg ein.

Er hatte wenig Sinn für die schöne Winterlandschaft. Seine Gedanken hasteten voraus. Die Frage, ob er rechtzeitig in Garmisch sein könnte, beschäftigte ihn auch jetzt.

Da lag die Straßengabel vor Ihm. Wie war es nun? Rechte oder linke? Er meinte die Stimme auf dem Bahnhof zu hören: „Links müssen Sie gehen, links!“ Also wählte er diesen Weg.

Es war windstill geworden. Die Wolken hatten sich verzogen. Strahlend stand der winterliche Sternenhimmel über dem verschneiten Land.

Und seltsam — Je weiter er schritt, desto mehr schwand seine Unruhe, umso besser gefiel ihm die Wanderung durch den Winterabend.

Die Stille ringsum senkte sich in sein Gemüt, und er konnte sich nun an der Schönheit der Winterlandschaft erfreuen.

Wie hatte Im Zug das Mütterchen zu dem jungen Mann gesagt?  „Es wird schon wieder still werden mein Junge“

Ganz fern läutete eine Glocke. Ihr Klang ließ ihn an den Tannenbaum im Elternhaus denken. Er meinte, die flackernden Kerzen zu sehen, den Duft vom Wachs zu riechen — und zu hören, wie die Mutter das Lied von der Stillen Nacht summte.

Durch diese Vision schwand die letzte Hast. Hier, in der weißen Stille, begann Robert Falks Weg in die Weihnacht. Garmisch und der Warenhauschef waren vergessen.

Der Weg bog um die Ecke des Tannenwaldes. Vor den Blicken des Wanderers breitete sich in einer Talmulde ein Dorf aus. Erleuchtete Fenster grüßten von Ferne.

O — welch friedliches Bild!

Der Wunsch nach Gemeinschaft, nach einem warmen Ofen und Bratäpfeln kam so unerwartet, dass der Fuß stockte.

Robert Faik verharrte am Ende des Tannenwaldes, um den Anblick des Dörfchens in sich aufnehmen zu können.

Das kann nicht Elling sein! Das Dorf, in dem Karl wohnte, ist viel größer, stellte er fest.

Merkwürdig, dass er sich gar nicht ärgerte, in die Irre gegangen zu sein. Er fühlte sich im Schauen auf das friedliche Dörfchen viel zu sehr zu den Menschen hingezogen — hier in der Einsamkeit.

Die Häuser des Dörfchens mit den Lichtern in den Stuben waren für ihn ein Sinnbild der Geborgenheit geworden.

Abseits von dem Dörfchen, einsam allein am Tannenwald stand ein Haus, dessen Tür sich öffnete. Der breite Lichtstreifen, der auf den Schnee fiel, war wie ein Wegweiser.

Voller Sorge, die Tür könnte sich wieder schließen, bevor er das Haus erreicht hatte, eilte Robert Falk auf die Tür zu.

Da hörte er auch schon eine Männerstimme. "Welch ein Glück, da kommt Jemand!

Bitte helfen Sie! meine Frau hat eine Frühgeburt. Holen Sie bitte schnell die Hebamme dort aus dem Dorf. Ich möchte meine Frau nicht allein lassen. Robert Falk ließ sich den Weg beschreiben.

Die Hebamme machte keine Umstände, kletterte auf ihr Motorrad und Robert Falk konnte hinten aufsitzen. Schnell erreichten sie das Haus am Tannenwald.

Wenig später kam die Hebamme, das Neugeborene in den Armen, zu den Männern.

"Da ist er — der Stammhalter."

Der junge Vater war selig. Er umarmte Robert Falk und rief „Sie waren der rettende Engel. Haben Sie vielen Dank!“

"Danken Sie nicht mir", antwortete Robert Falk, "danken Sie Gott für das schöne Weihnachtsgeschenk! Ich wünsche Ihnen eine frohe Weihnacht und Ihrem Hause Glück und Segen.

Später erzählte Robert Falk unter dem Tannenbaum bei einer Tasse Kaffee von seinem Weg durch die Winternacht.

"Ja, meinte der junge Vater nach kurzem Schweigen, der linke Weg an der Gabel war der falsche, aber ich glaube sie sind den richtigen Weg gegangen.“

Noch lange saßen sie in der Stille und blickten in die strahlenden Kerzen.

Robert Falks Vision im Winterwald von der Weihnachtsstube und dem Tannenbaum wurde Wirklichkeit.

Von Weihnachten her sind Immer wieder Wunder möglich.

*mit freundlicher Genehmigung von Peter Riedel (Sohn) - mehr zu seiner Person finden Sie auf seiner Vereins-Homepage


Antje Steffen
Donner ist krank

Im Elfendorf herrscht große Aufregung. Morgen ist Heilig Abend und die Vorbereitungen für das Weihnachtsfest laufen auf Hochtouren. Überall liegen Geschenke. Viele sind fertig, andere sind noch in Arbeit. Die Werkstatt-Elfen haben alle Hände voll zu tun, um rechtzeitig zum Fest alle Wünsche zu erfüllen. Auch in der Backstube herrscht reges Treiben. Die Backelfen mixen, wiegen, rühren, backen und verzieren. Auf der einen Seite der Backstube türmen sich die Dosen mit Plätzchen und Gebäck. Überall duftet es nach Weihnachten.

Die Elfen in der Verpackungsabteilung sind ebenfalls im Stress. Sie packen die fertigen Geschenke ein, beschriften sie und legen sie auf den großen Haufen, so dass diese in den Sack gepackt werden können. Man sieht überall Weihnachtspapier, bunte Bänder und Anhänger. Jedes Paket bekommt einen Anhänger mit Namen und wird auf der großen Wunschliste abgehakt. So kann der Weihnachtsmann alle Pakete richtig zuordnen, wenn er unterwegs ist.

Der Weihnachtsmann kontrolliert hier und da und sorgt für Ordnung. Für ihn ist diese Zeit die Schönste des Jahres. Überall ertönen Weihnachtslieder und seine Elfen sind fröhlich bei der Arbeit. Kann es Schöneres geben?

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Am Ende seiner Runde geht er in den Stall, in dem seine treuen Rentiere stehen. Hier werden wie überall im Elfendorf die letzten Vorbereitungen für die Reise des Weihnachtsmanns getroffen. Als der Weihnachtsmann den Stall betritt, merkt er sofort, dass etwas nicht stimmt. Sonst begrüßen ihn die Rentiere fröhlich und die Stallelfen singen Weihnachtslieder. Heute ist alles anders.

Was ist hier los? Bald hat der Weihnachtsmann Gumbi gefunden. Der Elf macht ein besorgtes Gesicht. Der Weihnachtsmann sieht ihn an und sagt: „Hallo Gumbi, was ist passiert? Wieso seid ihr alle so still?“

Gumbi sieht den Weihnachtsmann an und sagt: „Ach, Santa, es ist schrecklich. Donner ist krank. Wir wissen nicht, was ihm fehlt. Er frisst nicht und lässt den Kopf hängen.“

Santa geht zur Box seines treuen Rentiers und was er sieht, gefällt ihm gar nicht. Donner scheint sehr krank zu sein. Sein Fell ist stumpf und die Augen glänzen fiebrig. Ob er morgen fliegen kann? Der Weihnachtsmann schüttelt den Kopf. Nein, Donner wird in diesem Jahr nicht mitkommen können. Aber ohne Donner fehlt ein Rentier, um den Schlitten zu ziehen. Was können sie tun? Gumbi, der Santa zu Donners Box gefolgt ist, sieht genauso bedrückt aus wie sein Schützling.

Santa dreht sich um und sagt: „Donner kann nicht fliegen. Wir brauchen Ersatz.“

„Ja, Santa“, sagt Gumbi, „aber wen können wir nehmen?“

Santa dreht sich zu Donner um und streicht dem Tier übers Fell. Er überlegt und sagt: „Ich weiß es nicht. Wir haben bisher nie Ersatz gebraucht. Sind die Jungen soweit, dass sie den Schlitten ziehen können?“

Gumbi überlegt kurz: „Ich bin nicht sicher. Wir haben es noch nicht versucht. Der kleine Snuddel macht einen guten Eindruck.“

Santa nickt: „Wir sollten es mit ihm versuchen. Am besten, ihr spannt gleich an. Ich werde einen Probeflug machen.“

Gumbi stimmt zu und eilt davon, um den Schlitten fertig zu machen. Er hofft, dass Snuddel die Aufgabe bewältigen kann. Sonst kann der Weihnachtsmann an Weihnachten nicht zu den Kindern reisen und ihnen ihre Geschenke bringen.

Während Gumbi seine Arbeit macht, dreht Santa sich zu Donner um. Er sagt: „Tut mir leid, dass du krank bist, alter Freund. Du weißt, ich habe eine Aufgabe zu erfüllen. Wenn Snuddel es schafft, den Schlitten zu ziehen, kann Weihnachten werden. Aber du musst dich auf jeden Fall ausruhen. Bald bist du gesund und im nächsten Jahr ziehst du meinen Schlitten.“

Donner hebt den Kopf, um Santa anzusehen. Er hat jedes Wort verstanden und weiß, Santa nimmt es ihm nicht übel, dass er in diesem Jahr nicht fliegen kann. Donner hofft, dass Snuddel bereit ist, die Aufgabe zu übernehmen. Es wäre schrecklich, wenn die Kinder auf ihre Geschenke verzichten müssten.

Kurz darauf kommt Gumbi in den Stall zurück. Er geht zu Santa und sagt: „Der Schlitten steht bereit. Bitte komm und mache einen Testflug.“

Santa streichelt Donner ein letztes Mal, dreht sich um und folgt Gumbi nach draußen. Dort steht der Schlitten inmitten der großen Gruppe Elfen. Alle sind gespannt, ob Snuddel den Schlitten gemeinsam mit den anderen Rentieren ziehen kann.

Santa steigt auf den Bock und greift nach den Zügeln. Einen Moment später gibt er das Kommando und die Rentiere setzen sich in Bewegung. Zuerst wirkt es etwas ungelenk, wie Snuddel sich im Geschirr bewegt. Doch bald hat er den Rhythmus der Rentiere gefunden und der Schlitten hebt sich elegant in die Luft.

Die Elfen, die bis zu diesem Zeitpunkt die Luft angehalten haben, jubeln und fallen sich um den Hals. Santa lacht aus vollem Hals und dreht eine Ehrenrunde um das Elfendorf. Snuddel hat die Probe bestanden. Weihnachten ist gerettet.

*mit freundlicher Genehmigung der Autorin - zur Autorenseite von Antje Steffen


Marena Stumpf
Das Julfest

In Schweden waren die Wintertage immer sehr kurz. Bereits um drei Uhr wurde es draußen dunkel. Am liebsten verbrachte Oma Kristina die langen Nachmittage mit ihren beiden Enkeln vor dem prasselnden Kamin, wenn es nach frisch gebackenen Pfefferkuchen duftete. Meistens musste sie den Kindern eine spannende Geschichte erzählen, von einer längst vergangenen Zeit, als sie selbst noch ein kleines Mädchen war.

Erwartungsvoll setzten sich Karlson und Birgit zu ihr auf die Couch. Gemeinsam tranken sie Kakao und aßen Plätzchen, schwatzen über alltägliche Dinge, bis auf einmal Birgit fragte: “Oma, erzählst du uns wieder eine schöne Geschichte?“

Die alte Dame lächelte zufrieden und legte ihre Arme um die Schultern ihrer Enkel. „Wie ihr wisst, ist in ein paar Tagen das Julfest. In Schweden gab es nicht immer einen Weihnachtsmann. Als ich noch klein war, brachten koboldartige Heinzelmännchen den braven Kindern die Geschenke ins Haus.

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Man hielt die kleinen Zwerge bei Laune, damit sie niemandem einen bösen Streich spielten und jeder stellte für sie, als kleines Dankeschön, ein Schüsselchen mit süßem Brei hin. Tomtebisse war der Älteste der Kobolde. Mit ihm war nicht zu spaßen. Er brachte es oftmals fertig, wenn er seinen Brei nicht vorfand, dass ein Mädchen ein Auto bekam und ein Junge folglich eine Puppe.

So begab es sich, dass Tomtebisse und Nisse das ganze Jahr über in Lappland das Spielzeug für die Kinder anfertigten. Natürlich halfen ihnen kleine Elfen dabei, sonst wären sie ja niemals fertig geworden. Nun ja, früher gab es zum Julfest nur ein Spielzeug pro Kind. Das ging ja noch, aber heute … Ihr habt ja immer so viele Wünsche, das hätten die Wichtel niemals im Leben alleine geschafft.“

Nachdenklich nippte Kristina an ihrem Becher Kakao. Plötzlich wurde sie ganz ruhig. „Was ist denn los, Oma? Tut dir etwas weh?“, fragte Karlson besorgt. Die alte Dame schüttelte ihren Kopf. „Ach Junge, ich musste eben an etwas ganz Furchtbares denken.“

„Erzähl schon, warum bist du so traurig?“ Die beiden Kinder kuschelten sich noch enger an sie und lauschten ihren Worten.

„Es geschah an einem Heiligen Abend. Ich war gerade fünf Jahre alt und wartete den ganzen Nachmittag am Fenster auf die Heinzelmänner, die mir mein Geschenk bringen sollten. Endlich fuhr der Rentierschlitten vor unser Haus. Ich war total aufgeregt, denn sonst sah man die kleinen Kobolde niemals. Tomtebisse stieg aus und Nisse reichte ihm mein Weihnachtsgeschenk. Just in diesem Moment preschte ein Hirsch aus dem angrenzenden Wald und rannte Tomtebisse über den Haufen. Wie angewurzelt stand ich am Fenster und konnte mich vor Schrecken nicht rühren. Meine Eltern rannten hinaus um Tomtebisse zu helfen, doch er lag leblos auf dem Rücken und neben ihm meine zerbrochene Porzellanpuppe. Nisse meinte, dass meine Eltern den Verletzten in den Rentierschlitten heben sollten und dann fuhr er mit Tomtebisse fort. In diesem Jahr gab es für die meisten Kinder keine Weihnachtsgeschenke. Ich bekam einen Schal, Mütze und Handschuhe, die meine Mutter heimlich für mich gestrickt hatte. Meine Eltern tanzten an diesem Abend auch nicht mit mir um den Weihnachtsbaum. Alles war viel zu traurig. Natürlich machte ich mir große Sorgen um Tomtebisse, wie es ihm wohl ging und ob er mich zum nächsten Julfest besuchen würde, doch alles kam ganz anders.

Es verging ein Jahr und je näher das nächste Weihnachtsfest rückte, desto bedrückter wurde ich. Meine Oma war eine kluge Frau. Um mich etwas aufzuheitern, nähte sie aus einem weißen Laken ein Gewand für mich und ich durfte es am 13. Dezember zum Lucia-Tag anziehen. Sie schlang ein rotes Band um meine Taille. Für den Kopfschmuck hatte sie mir einen schönen Preiselbeerkranz gebunden und einige Kerzen darauf gesteckt. Wie sie zu mir sagte, sollte ich die dunkle Jahreszeit erhellen und wieder etwas Freude ins Leben der Dorfbewohner bringen. Abends zogen wir von Haus zu Haus, sangen Weihnachtslieder und verteilten selbstgebackene, safrangewürzte Lucia- Brötchen.  Das war damals ein ganz besonderes Erlebnis für mich.

Die Tage vergingen schnell und ehe ich mich versah, war der Heilige Abend da. Irgendwie hoffte ich trotzdem, dass Tomtebisse mich besuchen würde und mir meinen Wunsch erfüllte.

Am Nachmittag des vierundzwanzigsten Dezembers las mir meine Mutter gerade eine Weihnachtsgeschichte vor, als es heftig an unserer Haustür pochte. Ich sprang voller Freude auf und öffnete. Vor mir stand ein rotgekleideter Mann mit einem dicken weißen Wallebart. Ich erschreckte mich fast zu Tode und ich knallte ihm die Tür vor der Nase zu. Laut schreiend rannte ich zu meinem Vater. Er konnte sich nicht erklären, wer das sein sollte und schaute selbst nach. Ich hörte, wie sich die beiden Männer leise unterhielten, und dann betrat der alte Mann unsere Stube. „Hey Kristina, fürchte dich nicht“, sagte er zu mir, „ich bin der neue Weihnachtsmann. Man nennt mich Jultomte. Ich komme an Stelle von Tomtebisse und bringe dir dein Julgeschenk“. Er öffnete seinen großen Jutesack und zog eine Puppenwiege heraus, die ich mir so sehr gewünscht hatte. Für einen Moment wusste ich nicht, was ich sagen sollte und meine Mutter brach dann endlich das Schweigen. Sie erkundigte sich nach dem Befinden von Tomtebisse und wie es ihm ergangen war.

Der Weihnachtsmann nickte und antwortete mit gütiger Stimme: „Vielen Dank für Ihre Nachfrage. Sie wissen ja selbst, die Heinzelmänner waren sehr betagt. Sie hatten ihre liebe Mühe und Not immer alles rechtzeitig zum Fest fertigzustellen. Der alte Kobold hatte sich bei diesem Unfall mit dem Hirsch einige Knochenbrüche zugezogen. Er konnte lange nicht mitarbeiten und musste das Bett hüten. Die Elfen und Kobolde schrieben mir einen langen Brief und baten mich um Hilfe. Da ich nicht überall zur gleichen Zeit sein konnte, boten sie mir ihren Rentierschlitten zur Unterstützung an, der mich in Lichtgeschwindigkeit zu den braven Kindern bringt. Die Kobolde müssen nun nicht mehr auf Reisen gehen. Sie zählen jetzt zu meinen engsten Vertrauten und stehen mir mit Rat und Tat zur Seite.“

Jultomte aß einige von Mutters leckeren Plätzchen, trank ein Schlückchen von Vaters wärmendem Glögg-Punsch und danach verabschiedete er sich mit einem fröhlichen `Hey do´ von uns.“  

Die Kinder rekelten sich auf der Couch und Karlson meinte zu seiner Schwester: „Puh, da hatten wir richtig Glück, dass Jultomte für die Heinzelmänner eingesprungen ist. Stelle dir nur einmal vor, es gäbe überhaupt keine Geschenke mehr zum Weihnachtsfest. Das wäre doch einfach furchtbar, nicht wahr?“ Eifrig stimmte Birgit ihm zu.   

(c) Marena Stumpf

*mit freundlicher Genehmigung der Autorin Marena Stumpf.

Peter Wendlandt
Eine Weihnachtsgeschichte

Einen Tannenbaum sollte er im Wald aussuchen und fällen. Das ist eine einfache Sache, eine so banale Arbeit, die ich auch vom kleinen Jungen aus der Nachbarschaft verlangen kann. Der erledigt das in wenigen Stunden. Aber für meinen Göttergatten ist das eine Wissenschaft für sich mit Hang zur Überforderung. Nicht anders kenne ich ihn.  

„Gerlinde, du weißt schon, dass das verboten ist?“ gab Albert zu bedenken. „Wenn ich erwischt werde, bekomme ich Ärger.
Du weißt schon, Anzeige, und wenn es dumm wird, lande ich sogar im Gefängnis.“                                                                         

„Ach was, dich nehmen sie nicht. Stell dich einfach doof an, dass sie denken, dass du nicht zurechnungsfähig bist, und sie schicken dich nach Hause. Zuhause ist es ja nicht anders mit dir. Auf der Schiene fährst du immer, um dich vor der Arbeit zu drücken.“ „Du stellst mich hin wie einen Trottel“, begehrte Albert auf. „Das muss ich mir nicht bieten lassen! Was ist denn mit dem Plastikbäumchen im Keller? Das hat es bis heute jahrelang getan!“                                                                                       

„Das habe ich rausgeworfen, das sah nicht mehr schön aus. Es stand auch nicht mehr gerade. Also Ende der Debatte. Je früher du losfährst, umso früher bist du zurück. Zur Belohnung gibt es heute auch dein Lieblings-Mittagessen!“                                                                                                                   

Gerlinde sah zu, wie sich Albert widerwillig in Bewegung setzte. Gerne hätte sie ihn noch angeschoben, um das Trägheitsgesetz schneller zu überwinden. Danach brauchte sie einen Kaffee, um sich zu beruhigen. Aber sie freute sich auch darauf, wenn sie späten einen schönen Tannenbaum in Empfang nehmen durfte. Leider war von Schnee weit und breit nichts zu sehen. Aber das war wohl noch das geringste Übel.

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Das in Aussicht gestellte Mittagessen musste auf den frühen Nachmittag verschoben werden. Sie machte sich Sorgen über Alberts Verbleib, mit jeder Stunde mehr. Sie kannte ihren Mann und seine Zuverlässigkeit und mochte sich nicht vorstellen, was ihm zugestoßen sein konnte. Umso erleichterter war sie, als das Smartphone verkündete: „Ich bin unterwegs. Noch zehn Minuten!“                                                                                                

Umso betroffener war sie, als sie zum Fenster hinaussah und ein total verdrecktes Auto vor der Garage zum Stehen kam. Ursprünglich rot gewesen, war die Strahlkraft des Fahrzeugs abhandengekommen und hatte sich in ein schlammiges Braun übergewechselt. Einen Baum konnte sie nur sporadisch erkennen, zu beiden Seiten des Rückfensters ragte ein Stück weit heraus. Immerhin hatte ihr Mann einen mitgebracht.            

Gerlinde öffnete die Haustür und sah mit großem Missfallen, wie Albert näherkam, in ungewohnten, außergewöhnlichen Zustand, in dem er sich je befunden hatte. Von oben bis unten war er genauso mit Schlamm besudelt wie der Wagen, sein ansonsten forscher drahtiger Gang war ihm abhandengekommen. Er ging breitbeinig wie einst John Wayne nach einem Zehnstundenritt, hatte einen unsicheren Schritt und schwankte, als hätte er mehrere Tassen Glühwein nacheinander hinuntergestürzt. Und er stöhnte bei jeder Bewegung. Gerlinde hatte Angst, dass er vor ihr umkippte und liegenblieb. Deswegen war sie ihm die letzten Meter eine Stütze und geleitete ihn ins Haus hinein.

„Was ist denn passiert?“ fragte sie vorwurfsvoll und stellte missbilligend fest, dass sie sich an ihrem Mann schmutzig gemacht hatte. „Warum gehst du so dumm? Hast du in die Hose gemacht?“

„Quatsch“, erwiderte Albert verärgert. „Aus dem Alter bin ich lange raus. Mir macht die verdammte Schrotlandung zu schaffen. Ruf den Doktor an. Und hilf mir aus der Hose! Ich muss mich hinlegen. Einen Schnaps brauche ich auch, am besten mit Schmerzmittel!“

„So weit kommt es noch“, widersprach sie. „Ich hole höchstens den Vorschlaghammer und klopfe ihn dir auf den Fuß. Dann zieht der Schmerz nach unten und der Hintern ist schmerzbefreit. Ab ins Bad und raus aus den Klamotten! Dann schau ich mir den Hintern an!“

Die folgenden Minuten gestalteten sich dramatisch und nervenaufreibend. Allein deswegen dramatisch, bis Gerlinde es geschafft hatte, Albert trotz Fluchen, Schimpfen und Stöhnen vor sich stehen zu sehen, wie Gott ihn einst erschaffen und die Lebensmittelindustrie später geformt hatte. Kritisch betrachtete sie seine vier Buchstaben, formulierte halblaut einen Ausruf des Entsetzens und erdreistete sich, die malade Körperregion nicht gerade behutsam zu betasten. Alberts Geschrei und Flüche kommentierten dies entsprechend. Er stützte sich am Badewannenrand ab, dass sie näher herankam und noch deutlicher das Feld der roten Flecken und Löcher begutachten konnte. Fast dass sie darüber lachen musste. Dennoch war es schlimm genug, was sie zu sehen bekam und wollte wissen, was sich zugetragen hatte.

„Nie wieder höre ich auf dich und auf deine vermaledeiten Schnapsideen, Gerlinde, darauf kannst du einen lassen!“ rief Albert verbittert. „Ich kann von Glück sagen, dass ich noch am Leben bin! Ich bin hinterrücks angegriffen worden!“

„Och, dein Arsch hält was aus“, urteilte Gerlinde sarkastisch. „Das hat er ja schon öfter bewiesen. Wenn es sein muss, hau ich noch drauf! Und weiter?“

Albert richtete sich auf, drehte sich um und seufzte schwer. „Ich kann dir sagen, so etwas habe ich noch nie erlebt! Das war der reine Horror! Ich könnte gerade lachen, wenn es nicht so ernst wäre.“ Er wollte sich setzen, konnte sich aber gerade noch beherrschen, weil es auf der Kehrseite mächtig zog, zwickte und spannte. Der Schmerz zog bis hoch ins Kleinhirn.

„Bis ich einen guten dichten Nadelwald gefunden habe, war alles gut. Ich bog in einen versteckten Waldweg ein, zwei Kurven und das Malheur ging los. Anscheinend hatte kurz davor ein Traktor oder Lastwagen den Weg befahren, der Weg wurde schlammig und total durchgeweicht. Und tief. Mir war das zu unsicher und ich wollte zurück. Aber Scheibenkleister! Die Reifen drehten durch, ich steckte fest. Immer mehr, umso öfter ich es versuchte. Also stieg ich aus, um mir alles anzusehen und mir zog es die Füße weg und ich lag auf dem Rücken! Ich zappelte wie ein Käfer. Ich rollte mich auf den Bauch, wollte hoch, rutschte weg und lag wieder flach. Ich habe gestunken für zwei, der Dreck rann mir in den Kragen und in die Hose. Sowas ist mir noch nie passiert!“

„Stimmt“, kritisierte Gerlinde. „Nur Schweine suhlen sich im Dreck. Und weiter?“

„Ich brauchte über eine halbe Stunde, bis ich die verdammte Mistkarre aus dem Schlamassel heraushatte. Ich konnte mich vor lauter Dreck kaum mehr bewegen. Aber dann war es überstanden, der Wagen stand sicher. Dann sah ich mich um und betrachtete die Bäume. Ich wusste gleich, dass ich am richtigen Ort war, ich hatte ohne zu wissen eine Art Plantage gefunden oder wie man dazu sagt. Es war schwer, den richtigen Baum für uns auszusuchen. So ging ich ein wenig hin und her und gerade, als ich den richtigen gefunden hatte, als ich plötzlich seltsame Geräusche hörte. Die wurden immer lauter. Plötzlich standen Wildschweine vor mir. Echte Wildschweine! Richtig gefährliche Biester!“

„Das auch noch“, stellte Gerlinde betroffen fest. „Was hast du getan? Konntest du flüchten?“

„Leider nein“, erwiderte Albert. „Ich habe voll die Panik bekommen. Ich wollte abhauen und rannte gegen einen Baum. Ich Idiot! Ich setzte mich auf den Hintern und bis ich wieder stand, hatte mich eine Sau erwischt. Hinten. Du müsstest es sehen können. In meiner Panik rannte ich so lange zwischen den Bäumen hin und her, bis die Obersau endlich aufgegeben hatte und mit ihrer Rotte abgezogen war. Da merkte ich erst, dass ich auf einem Baum saß. Um Hilfe schreien hätte nichts gebracht, allein im Wald.“

„Du und klettern? Das ist ja etwas ganz Neues an dir“, schüttelte Gerlinde verwundert den Kopf.

„Spotte nicht! Vorsichtig kletterte ich runter und dachte, ich hau schnell eine Tanne um und dann nichts wie heim, bevor noch was passiert. Ich hatte die Schnauze richtig voll. Ich stapfte zum Wagen und holte das Beil aus dem Kofferraum. Ich stapfte wieder los, der rechte Schuh blieb im Schlamm stecken. Bis ich ihn wieder am Fuß hatte, war der Dreck auch drin. Meine Stimmung war total im Keller. Dann schlug ich eine passende Tanne um. Ich zerrte sie zum Wagen und stopfte sie hinein, als mir der Schreck in alle Glieder fuhr. Hinter mir rief jemand, was ich machte und forderte, dass ich mich umdrehte, mit erhobenen Händen. Ein Förster stand vor mir und zielte mit seiner Flinte auf mich. So eine Schweinerei! Das war mir auch noch nie passiert.“

„Auch das noch. Was hast du getan?“

„Ich schob Panik. Mein einziger Gedanke war nur noch weg. Der Hirsch schoss auf mich. Zweimal. Zwei Volltreffer in den Allerwertesten! Ich sage dir, ich hätte den Sauhund umbringen können, wenn es mich nicht umgehauen hätte. Ich lag wieder im Dreck, der Hintern brannte, dass ich Sternchen sah und die Engel im Himmel singen hörte. Er schrie aufstehen, dass ich mich ausweisen und ihm ergeben sollte, aber daran dachte ich nicht. Ich wollte nur weg und versuchte in den Wagen reinzukommen. Er hetzte seinen Hund auf mich, der zerrte am linken Hosenbein, bis ich nach ihm trat. Der Förster schoss nochmal, zerschoss das Rückfenster des Wagens. Schwungvoll stieg ich ein, hatte dabei den Hintern nicht bedacht und schrie nicht vor Schmerzen, ich sage dir, ich brüllte! Wie verrückt gab ich Gas, die Reifen drehten durch und wirbelten Dreck auf! Ich rasierte zwei Bäume, einen Kümmerling knickte ich um. Aber ich kam davon und fuhr auf direktem Weg nach Hause. Dabei merkte ich, dass ich Luft aus dem rechten Reifen verlor. Aber das ist noch das kleinste Übel. Ich bin nur froh, dass ich wieder hier bin. Den Scheißbaum kannst du aus dem Wagen holen. Ich bin fertig für heute! Ich bin stinksauer und habe keine Lust mehr!“

„Und jetzt?“ fragte Gerlinde entgeistert.

„Hast du den Notarzt angerufen?“

„Nein, wann denn?“

„Dann mach endlich! Ich habe Schmerzen ohne Ende. Das verdammte Schrot muss raus, bevor ich noch eine Blutvergiftung bekomme!“

Sanitätswagen nebst Notarzt waren alsbald vorgefahren, die Fachkräfte begutachteten schmunzelnd den Schaden und sorgten dafür, dass Albert umgehend ins Krankenhaus verfrachtet wurde. Gerlinde hatte ihm noch rasch das Nötigste zusammengepackt und dem Wagen hinterhergesehen, bis er ihrem Blickfeld verschwunden war. Sie zerrte die Tanne aus dem Wagen, der Baum war nicht gerade ein Stück, mit dem man angeben konnte. Ein Blick auf den Wagen, sie schloss kopfschüttelnd die Tür und ging ins Haus zurück. Und sie schwor sich: Nie wieder beauftrage ich Albert mit so einer Mission! Ganz offensichtlich war er damit total überfordert.

(c)Peter Wendlandt

*mein Dank gilt Peter Wendlandt für die Bereitstellung dieser Geschichte.
Weitere Geschichten und Informationen zum Autor sind auf seiner Homepage zu finden.

Eva Zimmermann
Frau Martens Weihnachtsfest

Die alte Frau Marten saß auf dem abgeschabten Sessel in ihrem Zimmer und seufzte. Das Weihnachtsfest stand vor der Tür, aber sie freute sich kein bisschen darauf. Ihre Freundin Martha war im Frühjahr gestorben und ohne sie hatte Frau Marten niemanden, mit dem sie feiern konnte.
Alle anderen Bewohner des Seniorenheims verbrachten die Feiertage bei ihren Familien. Die meisten waren schon längst abgeholt worden, die übrigen standen in Hut und Mantel, eine Tasche mit bunt verpackten Päckchen in der Hand, auf dem Flur und warteten auf das Auto von Sohn, Tochter, Enkelin oder Neffen.
Die Heimleitung hatte zwar vor einer Woche eine Weihnachtsfeier für die Bewohner organisiert, aber nun, am Heiligen Abend, waren fast alle Angestellten bei ihren Familien. Nur Britta, eine Pflegerin, die sichtbar unzufrieden war, weil sie Weihnachten arbeiten musste, hatte sich ins Schwesternzimmer gesetzt, die Beine auf den Tisch gelegt und einen Liebesroman zu lesen begonnen. Frau Marten schüttelte den Kopf.
Sie war doch eine erwachsene Frau und brauchte keine Aufpasserin! Britta war für den heutigen Abend zum Dienst eingeteilt worden, weil eine einzige Seniorin über Weihnachten im Haus war. Geldverschwendung, dachte Frau Marten erbost, als sie sich leise und unbemerkt am Schwesternzimmer vorbei schlich. Der Flur war leer, auch die letzten Männer und Frauen waren von ihren Familien abgeholt worden.

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Draußen lag die Straße wie ausgestorben da. Nein, ein Bus fuhr noch und hielt an, als der Fahrer die alte Frau an der Haltestelle sah. Eigentlich hatte Frau Marten gar nicht geplant, in den Bus zu steigen, aber alle Plätze waren leer und der Mann sollte doch nicht umsonst angehalten haben.
„Stadtmitte, bitte!“, sagte sie entschlossen und bezahlte ihren Fahrschein. Sie setzte sich gleich in die erste Reihe und ignorierte das Schild, welches den Passagieren untersagte, mit dem Fahrer zu sprechen.
„Haben Sie heute noch lange Dienst?“, fragte sie, „Ausgerechnet am Heiligen Abend!“
„Macht nichts“, antwortete der Mann, „hab’ sowieso keine Pläne für Weihnachten. Ich bin allein, meine Frau ist Anfang des Jahres gestorben, mein Sohn lebt in Australien. Da fahre ich lieber den Bus, statt allein zu Hause zu sitzen! Aber dies ist meine letzte Fahrt für heute, einmal noch zur Stadtmitte und dann zurück zum Depot in der Nähe vom Seniorenheim!“
Frau Marten nickte verständnisvoll.
„Und dann“, fragte sie, „was machen Sie dann?“
Der Mann zuckte die Achseln.
„Wahrscheinlich sehe ich etwas fern, trinke ein Glas Wein und gehe ins Bett!“, antwortete er.
Die alte Dame sah, dass auf dem Boden neben dem Fahrersitz ein Karton mit Weinflaschen stand. ,Na, ob es wohl bei dem einen Glas bleibt?’, fragte sie sich im Stillen.

Dann fiel ihr Blick auf eine junge Frau, die auf dem Gehweg an eine Laterne gelehnt stand. Sie war stark geschminkt, trug einen lächerlich kurzen Rock und eine weit ausgeschnittene Bluse unter einem dünnen Jäckchen. In der Hand hielt sie eine Zigarette.
„Eine Bordsteinschwalbe! Halten Sie an!“, rief Frau Marten. Der Busfahrer musste grinsen, denn das Wort hatte er schon lange nicht mehr gehört. Er stoppte und die Tür öffnete sich. Frau Marten war aufgestanden und rief:
„Kommen Sie rein, Kindchen! Sie holen sich in der Kälte ja den Tod!“
Die junge Frau zögerte, murmelte etwas wie „Ich muss eigentlich arbeiten!“, warf aber dann die Zigarette weg und stieg in den einladend warmen Bus. Sie lächelte etwas unsicher, aber Frau Marten zog sie entschlossen auf den Platz neben sich.
„So halb nackt, wie Sie da in der Kälte herumstehen, können Sie sowieso bald nicht mehr arbeiten, und heute kommt sicher auch kein Kunde mehr. Wärmen Sie sich erst mal etwas auf!“
Der Fahrer griff mit einer Hand hinter sich, nahm seine Jacke von der Sitzlehne und warf sie der schlotternden Frau zu, die sie sich dankbar über die bloßen Beine legte.
„Ich bin Frau Marten“, stellte die alte Frau sich vor und setzte nach kurzem Zögern hinzu: „Ihr könnt mich auch Hilde nennen!“
„Ich heiße Jasmina … na ja, mein richtiger Name ist Marie! Marie gefällt mir viel besser als mein Arbeitsname, aber niemand nennt mich mehr so!“
Hilde schüttelte Maries blau gefrorene Hand und ließ sie dann nicht mehr los, um sie in ihren eigenen Händen zu wärmen.
„Und Sie?“, wandte sie sich dem Fahrer zu. „Wie heißen Sie?“
„Mein Name ist Bergmann, aber sagt Anton zu mir!“
Hilde verzichtete bei ihm auf den Handschlag, da seine Hände am Steuer besser aufgehoben waren.

Ihr Blick fiel auf einen Schnellimbiss, dessen Rollläden gerade von einem Mann hinuntergelassen wurden.
„Halt!“, rief sie, „Anton, vielleicht bekommen wir dort noch einen heißen Tee oder so etwas. Marie braucht etwas Wärme von innen!“
Wieder stoppte der Bus. Frau Marten kletterte hinaus und rief: „Können wir nicht noch schnell einen Tee bekommen? Bitte!“
Der Mann drehte sich um und sah die alte Frau mit freundlichen Augen an.
„Warum nicht?“, antwortete er. „Ich habe nur zugemacht, weil ich dachte, es kommt niemand mehr! Ich habe heute nichts anderes vor, ich mache das gern. Kommen Sie rein, ich brühe Ihnen gleich einen Tee auf!“
Frau Marten lächelte.
„Das ist sehr nett, aber er ist eigentlich nicht für mich. Ich will nur das junge Mädchen da aufwärmen!“, sagte sie und zeigte zum Bus. Dann besann sie sich.
„Wissen Sie was? Machen Sie doch eine große Kanne Tee und kommen zu uns in den Bus, wenn Sie sowieso keine anderen Pläne haben! Bei uns wird es allmählich ganz gemütlich!“
Der Mann sah sie einen Moment erstaunt an, nickte dann, verschwand in der Imbissstube und kam bald darauf mit einer Thermoskanne und einem Korb zurück. Er stellte sich als Costa vor.
„Ich dachte, etwas zu essen könnte auch nicht schaden“, meinte er und deutete auf den Korb. „Griechische Spezialitäten!“

Begierig trank Marie im Weiterfahren einen Becher Tee und fühlte sich gleich angenehm warm im Innern.
Frau Marten bemerkte, dass der Bus seine letzte Station in der Stadtmitte erreicht hatte und sich auf die Rückfahrt machte. Es stimmte sie traurig, dass sie bald am Ziel der Fahrt sein würden. Was dann?
Sie stand auf und sprach leise mit Anton, der zuhörte und dann nickte.

„Oh, seht mal, die Armen!“, rief Marie plötzlich. Alle blickten aus dem Fenster. Draußen, auf einem schmalen Grasstreifen, saßen ein Mann und eine Frau, die ein Baby auf dem Arm hielt. Anton hielt diesmal unaufgefordert an.
Costa sprang aus dem Bus.
„Kommt rein“, forderte er die kleine Familie auf. „Kommt in den Bus, da ist es warm! Wieso sitzt ihr denn hier draußen in der Kälte? Habt ihr kein Zuhause?“
Der Mann schüttelte den Kopf.
„Wir wollten in ein Obdachlosenheim, aber dort war alles voll. Morgen, haben sie uns versprochen, morgen haben sie Platz für uns!“
Costa und der Mann halfen der Frau mit dem Baby in den Bus und Marie schenkte ihnen Tee ein.
Bald schon waren sie an der letzten Haltestelle angelangt. Anton stellte den Motor aus. Hilde sah die dunklen Fenster des Heims. Sie stand auf.
„Kommt alle zu mir rein, dort ist es warm und wir können ein bisschen zusammen feiern! Und übernachten könnt ihr auch bei mir!“
Zögernd näherte sich der kleine Trupp dem großen Haus. Hilde schloss die Tür auf und alle traten nacheinander in die geräumige Eingangshalle, in deren Mitte ein riesiger Weihnachtsbaum stand. Es duftete nach Tannennadeln, Äpfeln und Zimt.
„Macht es euch schon mal gemütlich“, rief Hilde, „ich bin gleich zurück!“
Sie lief über den Gang zum Schwesternzimmer, wo Britta noch immer in ihren Roman vertieft war. Von Frau Martens Ausflug hatte sie nichts bemerkt. Sie schrak hoch.
„Komm, Britta, wir feiern alle in der Halle!“
Die Pflegerin sah die alte Frau an, als zweifele sie an deren Verstand, erhob sich aber und sah erstaunt auf das Grüppchen, das sich unter dem Baum versammelt hatte. Schnell legte sie das Buch weg und gesellte sich zu den unerwarteten Gästen.
Anton hatte seinen Karton Wein mitgebracht, Costa den Korb mit griechischen Köstlichkeiten und Britta verschwand in der Heimküche, um Gläser, Teller und Besteck zu holen, während Hilde Stollen und Weihnachtsgebäck aus ihrem Zimmer herbeitrug. Marie fand Kerzen, verteilte sie im Raum und bald herrschte festliche Stimmung. Alle aßen und tranken, sangen und tanzten, erzählten und lachten, bis sie so müde waren, dass sie erschöpft in die freien Betten des Heims fielen.

Und hätte sich jemand in Frau Martens Zimmer geschlichen, so hätte er sehen können, wie glücklich sie im Schlaf lächelte!

(c) Eva Zimmermann

*mit freundlicher Genehmigung der Autorin Eva Zimmermann

Ursula Gressmann
Die Tänzerin

Fragil, wie eine lange, dünne Tänzerin mit ausgestreckten  Armen steht er neben dem Kamin. Ich sage Tänzerin, obwohl es eine Nordmanntanne  ist, die dort steht. Nadelhölzer sind  zweihäusig und so könnte es doch stimmen.

Realistisch, aber unfreundlicher, könnte ich auch von einer Krake sprechen. Einer hungrig aussehenden Krake, mit dünnen, wie zur Abwehr erhobenen Armen. Ich gebe zu, mit mehr als acht Armen, zwölf werden es sein. Die  Zweigenden  sind nach unten gekrümmt, was diesen Eindruck  verstärkt.

Damit sie, oder er nicht umfällt, führt von der Spitze bis zur Decke ein grüner Plastikfaden. Seit Jahren befinden sich an dieser Stelle mehrere kleine, sichtbare Löcher. Sie dienen dazu, die Haken aufzunehmen, an denen der jeweilige Weihnachtsbaum befestigt wird. 

Kerzen und Kugeln an diesem  Baum? Ich muss mir etwas Anderes einfallen lassen. Das Gewicht einer Kugel, geschweige von Kerzen halten die filigranen Äste nicht aus.

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Ich finde eine  kurze Lichterkettemit kleinen Leds und silbrigen Perlen geschmückt. Dieses schlängelt sich mit meiner Hilfe wie flüchtig, um den dünnen Stamm herum. Einige farblose  Glassterne finde ich auch noch zwischen unserem traditionellen Weihnachtsschmuck in Gold und Rot. 

Acht  winzige rote Glaskugeln vervollständigen  das Bild vom Weihnachtsbaum. Mehr kann ich nicht tun. Alles Andere würde ihn oder sie, überfrachten.

Es hat eine Geschichte, unser Bäumchen. Beim Frühstück -  wir lesen  Zeitung beim Frühstück - fiel mir darin eine Annonce auf: Koniferen, Tannen und Fichten kostenlos zum Selbstschlagen! Die angegebene Adresse befand sich in Borken, also nicht weit entfernt.  Michael, mein Ehemann, griff zum Telefon. Eine hörbar erleichterte Frauenstimme meldete sich und ein Termin wurde vereinbart.

Scheinbar gab es bis jetzt nicht so  viele Interessenten, wie erwartet. „Pünktlich um 11 Uhr bin ich bei ihnen“, antwortete Michael, ebenfalls erfreut. Er war  ungeduldig  und traf eine halbe Stunde vor dem verabredeten Zeitpunkt bei der angegebenen Adresse ein. Auf wiederholtes Schellen öffnete niemand. Michael  sah sich im Vorgarten um. Zu eng bepflanzt entschied er, überlegte nicht lange und sägte Ruck Zuck nämliche Tanne – die jetzt bei uns eine neue Heimat gefunden hat, ab. Ohne Schwierigkeiten ließ sie sich verladen. Sie war ja dünn und handlich.

Ich erfreute mich an den weichen Nadeln und streichelte die Zweige, konnte ich mich doch noch  gut an den Weihnachtsbaum des vorherigen Jahres erinnern, dessen Nadeln schmerzhaft spitz waren.

Eine halbe Stunde später, wir hatten gerade das Mittagessen beendet, schrillte das Telefon.  Schon der Klang des Telefons ließ nichts Gutes vermuten.Ich saß zwar ein gutes Stück entfernt, konnte aber ohne Mühe jedes Wort der Anruferin verstehen. Schrill und empört klang die Stimme: „Was fällt ihnen ein, sie haben meine erst zwei Jahre alte Nordmanntanne  abgesägt!“

Zwei Stunden später wechselten ein großer, teurer Weihnachtsstrauß und eine gute Flasche Wein den Besitzer, bzw. sie bekamen eine neue Besitzerin.

Annoncen – darum werde ich in Zukunft einen Bogen machen – egal, was sie versprechen.

Frohe Weihnachten!

*mit freundlicher Genehmigung der Autorin - Zur Autorenseite von Ursula Gressmann (Tredition Verlag)

Harald Goerke
Treppenträume oder gibt es den Weihnachtsmann wirklich

In einem Dorf wohnt eine fünfköpfige Familie in einem kleinen Haus. Vater, Mutter, Amelie neun Jahre, Florian zehn Jahre und Marco mit sechs Jahren der Jüngste. Von seinen älteren Geschwistern wird er ständig gehänselt. Beschwert er sich bei seinen Eltern, wird ihm nicht geglaubt. So verschließt er sich immer mehr.
Es gelingt ihm auch nicht, in der Schule Freunde zu finden. Das macht ihn noch trauriger als er schon ist.
Und wenn er besonders traurig ist, sucht er seinen Lieblingsplatz auf - die Treppe vor der Haustür.
Hier kann er stundenlang sitzen, die Leute beobachten oder den anderen Kindern, die meist älter sind als er, beim Spielen oder Herumlungern zusehen.
Was er hier noch kann, ist, seinen Träumen nachhängen.
So ist es auch wieder am Heiligen Abend.
Es ist schon früh dunkel. Hell ist es trotzdem. Denn; die Laterne vor seinem Haus beleuchtet einen Teil der leeren Straße. Sie lässt den Schnee weißer erscheinen, als er ist.

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Er betrachtet die vielen bunt geschmückten Fenster zum wiederholten Male, sowie auch die vor den Häusern beleuchteten Sträucher und Bäume.
Manchmal hört er aus den geschlossenen Fenstern, dass in den Wohnungen gesungen wird. Er weiß, dass sich dort die Menschen beschenken und lieb haben.
Sein Herz ist schwer. 
Bei ihm zu Hause gibt es keine Geschenke. Das Geld ist knapp. Und das schon seit sehr langer Zeit. Sein Papa hat keine Arbeit.
In seine alte, aber warme Jacke eingekuschelt schaut er zum wolkenlosen Himmel auf. Dort funkeln an diesem kalten Abend die Sterne besonders hell.
Er hängt seinen Träumen nach, wie schön es doch wäre, wenn sich der Himmel öffnete, der Weihnachtsmann mit seinem von sechs Rentieren gezogenen Schlitten herausgleiten, über die Kamine der Häuser hinwegfliegen und unbemerkt von den Bewohnern darin verschwinden würde, um dort die schönen Geschenke in den Wohnungen zu verteilen.
Jede Weihnachten ist das sein Lieblingstraum, obwohl er weiß, dass es den Weihnachtsmann nur in Märchen und Sagen gibt.
Aber schön ist es trotzdem, davon zu träumen.
Die Tür öffnet sich hinter ihm unbemerkt und er wird aus seinem Traum gerissen.

„Marco, mein Schatz, willst du nicht reinkommen, es ist doch viel zu kalt, du wirst noch zum Eiszapfen!“ Widerwillig erhebt er sich und folgt seiner Mutter ins Haus. In der Küche bekommt er eine Tasse warme Milch. Er setzt sich an die Heizung unter dem Fenster und wärmt sich ein paar Minuten auf. Dann erhebt er sich schweren Herzens und steigt die Treppe zu seinem Zimmer hinauf, welches er sich mit seinen Geschwistern teilt. Er weiß schon im Voraus, was ihn dort erwartet.
Amelie und Florian klappen ein Buch zu und schauen ihn aus hasserfüllten Augen an. „Na Brüderchen“, flötet Amelie, „du bist ja pünktlich fürs Bett. Hast du endlich begriffen, wie die Uhr zu lesen ist? Zeit für dich, Kleiner!“
„Und hat der Weihnachtsmann dich jetzt da draußen besucht?“, näselt Florian. „Und hat er dir schöne Geschenke gebracht?“ „Ist der Rudolf ein hübsches Rentier?“
„Kann man auf ihn auch reiten?“ „Singt er, wie unserer in der Küche?“ So geht´s in einer Tour.
Um die Bissigkeiten seiner Geschwister nicht weiter anhören zu müssen, verlässt er das Zimmer wieder und flüchtet die Treppe hinunter. Im Vorbeigehen reißt er seine Jacke vom Haken und zieht sie über. Schallendes Gelächter folgt ihm bis zur Haustür. 
Endlich Ruhe. Er setzt sich auf die Stufen vor der Tür.
Hier kann er wieder alles vergessen und seinen Träumen nachhängen.
Nach und nach versiegen die Tränen. Er sitzt ganz still und ist unendlich traurig. Etwas Trost würde ihm jetzt guttun. Doch wer sollte ihn trösten?
Dass sich jemand neben ihn setzt, bemerkt er kaum. Erst als dieser ihn anspricht.
„Sag mal, Marco, warum sitzt du hier so alleine und bist traurig? Heute ist doch Heiliger Abend, das heißt, es ist Weihnachten. Da sind doch alle Menschen fröhlich.“
Dass dieser Mann ihn beim Namen nennt, bemerkt Marco gar nicht.
Er schluchzt herzzerreißend auf. Weinend erzählt er dem unbekannten Mann von seinen Problemen. Der Mann nimmt den Jungen in den Arm und streicht ihm über’s Haar. Marco beruhigt sich und erzählt nun von seinen Träumen.
„Siehst du mein Junge, du hast etwas, das vielen Menschen verloren gegangen ist und ihnen somit fehlt!“
„Was denn?“ „Träume mein Junge! Träume!“
Danach erhebt sich der Mann. Er ist sehr alt, trägt eine rote Mütze. Ein langer weißer Bart liegt auf dem bis oben zugeknöpften roten Mantel. Rote dicke Fellstiefel wärmen seine Füße. Er besteigt den vor der Treppe stehenden Schlitten. Die davor gespannten sechs Rentiere ziehen ihn weit hoch, bis er hinter den Sternen verschwindet, hinein in den
sich öffnenden Himmel. 
Marco schaut fasziniert hinterher. Also gibt es ihn doch, den Weihnachtsmann. Als er sich erheben will, bemerkt er, dass auf der Stufe neben ihm, ein kleiner bunter Schlitten
mit sechs Rentieren und einem altem Mann, der ihn lenkt, liegt. Ein Abbild seines kurzen Besuchers.
Im Minischlitten liegt ein in buntes Papier gewickeltes kleines Päckchen. Mit glänzenden Augen nimmt er es an sich und geht damit ins Haus. In der Küche sitzen seine beiden
Geschwister und die Eltern.
„Was hast du denn da?“, fragen alle auf einmal. „Vom Weihnachtsmann“, ist stolz seine Antwort. Mit gehässigem Blick schauen seine Geschwister neidisch darauf.
Marco öffnet das Päckchen. Darin liegt eine kleine Tafel Schokolade und ein Kärtchen, auf dem geschrieben steht: „Einen schönen Gruß vom Weihnachtsmann und frohe Weihnachten für dich Marco und bewahre deine Träume!“

© Harald Goerke

*mit freundlicher Genehmigung des Autoren Harald Goerke - zur Amazon-Autorenseite von Harald Goerke

Biggi
Flips und Flaps, die frechen Spatzen

Es war ein kalter, rauer und ungemütlicher Tag!
Der Wind pfiff, und die Spatzen krochen immer weiter in die Büsche. Brrr! Sie kennen die Winter ja, aber dieser Tag war besonders eklig.
In einem Gebüsch kuschelten sich Flips und Flaps dicht aneinander. Trotzdem wollten sie mal schauen, was da draußen los war. Flips stieß Flaps an, und fragte:
„Wollen wir?“
Flaps plusterte sich auf und pipste: „Ja klar, aber nur gemeinsam!“
„Ok!“ meinte Flips, „ich zähl bis drei! 
Eins, zwei, drei!“
Und schon steckten die beiden frechen Spatzen ihre Schnäbel in die kalte Luft!
Brrr, was für ein kalter Wind. Er blies so kräftig, dass die beiden Frechdachse aufpassen mussten, dass sie nicht „aus der Bahn geworfen wurden.“
Sie flogen ein wenig und bewegten sich dann wieder weiter im Gebüsch. Auf einmal sahen die Beiden ein ganz helles Licht.
Neugierig, wie sie nun einmal waren, pirschten sie sich an ein kleines, süßes Häuschen.
Die Gardinen vom Wohnzimmer waren nicht zugezogen, so dass die beiden Spatzen reinschauen konnten.

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„Ach, wie gemütlich“, sagte Flips zu Flaps. „So hell, so warm und so kuschlig!“
Flaps plusterte sich wieder auf und pipste:“ Oh ja, wie schön!“
Die Familie im Häuschen waren so mit sich beschäftigt, dass sie die beiden Spatzen nicht bemerkten.
Die hingegen haben in einem Blumenkasten ein kleines Futterhäuschen entdeckt und freuten sich! Gierig fingen sie an zu fressen. Im Winter ist es nämlich nicht so einfach, an gutes Futter zu kommen!
Nachdem sie richtig satt waren, hörten sie Musik aus dem Häuschen. Es erklangen wunderschöne Weihnachtslieder, und in der Wohnstube umarmten sich alle.

Die Spatzen waren von dem Anblick regelrecht berauscht und meinten einstimmig:
„Ach wie schön! Fröhliche Weihnachten! Wenn es mehr Menschen gibt, die so lieb miteinander umgehen, und auch noch an uns Tiere denken, kann es noch nicht so schlecht um die Welt bestellt sein!“
Mit diesen Worten verzogen sie sich wieder in ganz dichtes Gebüsch!

(c) Biggi

*mit freundlicher Genehmigung der Autorin

Christina Telker
Das Weihnachtslicht

Seit dem Herbst besuchte Jonas die Schule. Das Lernen fiel ihm leicht, so dass er sich schon immer auf die Schulstunden freute. Seine Lehrerin mochte er sehr. Man konnte über alles mit ihr reden. Mit Peter ging er bereits in den Kindergarten, so fiel auch der Kontakt zu den anderen Mitschülern recht leicht. Langsam rückte die Weihnachtszeit in die Nähe. Die Kinder sprachen schon oft über ihre Wunschzettel. Seit dem Martinsumzug konnten sie es kaum noch erwarten, das Weihnachten war. Die Geschäfte schmückten sich teilweise märchenhaft, so dass der Heimweg von der Schule meist etwas länger als gewöhnlich dauerte, musste man sich doch die schöne Dekoration täglich anschauen auf der Suche nach Neuem.

Es gab jedoch noch ein Fenster, auch wenn es nicht dekoriert war, das war das Fenster der alten Gertrud. Hier konnte der Junge einfach nicht vorbeigehen ohne kurz stehen zu bleiben. Wie oft war er in seinen ersten Kinderjahren hier eingekehrt. Die alte Gertrud, die er damals Mutsch nannte, hing dem Jungen am Herzen. Damals war sie seine Tagesmutter. Heute sah er sie selten am Fenster sitzen. Nur in den Abendstunden, um das Lampenlicht zu sparen, saß die Alte auf ihrem Stuhl am Fenster und beobachtete die vorübereilenden Menschen auf der Straße.

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Zur ersten Schulstunde betrat Frau Ulrich, die Klassenlehrerin, die Klasse und fragte als erstes: „Wer kann mir sagen, welcher Sonntag gestern war?“ Einige Schüler sahen sich fragend an, bei den meisten schnellte jedoch der Finger in die Höhe. „Norbert, erzählt du uns, was dir zu dem gestrigen Tag einfällt“; forderte die Lehrerin auf. Der Junge erzählte vom ersten Advent, vom Gottesdienstbesuch und vom adventlichen Kaffeetrinken daheim mit dem Kranz, am dem die erste Kerze angezündet wurde. „Da hattest du aber einen schönen Sonntag“, freute sich die Lehrerin, „und wer bis jetzt nicht wusste, dass gestern der erste Advent war, der hat jetzt viel hinzu gelernt. Auch ich habe mir für euch eine Überraschung überlegt für die nächsten Wochen. Die erste Stunde am Montag in der Adventzeit gehört uns für eine besinnliche Zeit. Hierfür habe ich euch weihnachtliche Geschichten herausgesucht, die wir gemeinsam lesen werden.“ Ein Jubel brach in der Klasse aus. In dieser vorweihnachtlichen Zeit freuten sich die Kinder nun bereits am Freitag auf den Unterricht am Montag.

Am letzten Montag vor dem Fest schenkte die Lehrerin jedem Kind eine rote Kerze. „Mit dieser Kerze, hat es eine besondere Bewandtnis“, erklärte sie den Kindern. Diese Kerze ist ein Weihnachtslicht. Ihr wisst, das Weihnachtslicht strahlt aus der Krippe. Es bringt mit dem Licht des Kranzes und des Weihnachtsbaumes Freude in unsere Wohnungen und Herzen. Mit diesem Licht, das ich euch heute schenke, bitte ich euch ein Weihnachtslicht in die Welt zu tragen. Bereitet den Menschen damit eine Freude, von denen ihr meint, dass sie es am nötigsten brauchen. Wenn wir uns dann im neuen Jahr wiedersehen, erzählt ihr mir, ob es mit eurem Weihnachtslicht geklappt hat und wohin ihr Freude getragen habt.“ In der Klasse entstand ein Schweigen. Die Kinder überlegten, wem sie das Licht wohl schenken könnten. Die Lehrerin nutze die Stille und las ihre letzte Weihnachtsgeschichte in diesem Jahr den Kindern vor.

Als Jonas an diesem Tag in Gedanken versunken auf dem Heimweg war, kam er wie auch sonst am Haus von Mutsch vorüber. ‚Das ist es! ‘, kam ihm eine Erleuchtung. ‚Ihr werde ich mein Weihnachtslicht bringen. ‘  Gedacht, getan und schon läutete er an ihrer Wohnungstür. Wie staunte die alte Frau als sie ihren einstigen Pflegling vor sich stehen sah. „Jonas! Was für eine Freude!“ Gertrud schlug vor Freude die Hände zusammen. Wie sehr freute sie sich über diesen unverhofften Besuch. „Komm rein Jonas, ich mache uns schnell einen heißen Kakao!“ Gerne folgte der Junge der Aufforderung. Als er seine Jacke abgelegt hatte, überreichte er Gertrud die Weihnachtskerze und erzählte ihr was es damit für eine Bewandtnis hatte. Lange unterhielten sich die beiden, bis sie merkten, dass es Zeit wäre, und Jonas nach Hause gehen müsse.  Jetzt würde die Mutter von der Arbeit kommen und sie sollte sich nicht um ihren Jungen sorgen. „Komm in den Ferien doch noch mal vorbei“, lud Gertrud den Jungen ein, was dieser gerne versprach. Wie freute sich auch die Mutter als Jonas ihr von Gertrud erzählte. „Wie gut, dass du nun in den Ferien nicht alleine bist“, setzte die Mutter noch hinzu.

Nach den Feiertagen ging Jonas jeden Tag zu seiner Mutsch. Beide wurde die Zeit nie lang. Gertrud hatte das Weihnachtslicht aufgehoben und extra für Jonas Plätzchen gebacken, was sie schon lange nicht mehr tat. So brachte das Weihnachtslicht beiden eine frohe, besinnliche Zeit. Jonas freute sich schon darauf Frau Ulrich seine Geschichte zu erzählen.

© ChTelker

*mit freundlicher Genehmigung der Autorin - Zur Internetseite von Christina Telker

Winterlandschaft weihnachtlich mit Laterne
Bild: Ulli / dreamies.de

Barbara Acksteiner
...na dann! "Frohe Weihnachten"

Wenn die Tage kürzer und Nächte kälter werden, die Bäume schon lange ihr Laub verloren haben, unsere heimischen Vögelchen nicht mehr singend durch die Lüfte fliegen, wird einem schlagartig bewusst, dass der Winter vor der Tür steht. Noch will man es nicht wahr haben. Aber dann kommt der Tag, an dem wir eines Morgens wach werden und beim Blick aus dem Fenster sehen, dass es über Nacht geschneit hat. Spätestens jetzt guckt sich jeder den Kalender genauer an. Dann überkommt es einen siedendheiß. Mein Gott, in einer Woche ist der 1. Advent.

Wo ist das Jahr geblieben? Jedes Jahr frage ich mich das. Dabei hat auch dieses Jahr 365 Tage gehabt. Je älter ich werde, je schneller rast ein Jahr an mir vorüber.

Ungläubig schüttele ich den Kopf und setze mir Wasser für Tee auf. Während ich darauf warte, dass das Wasser zu kochen beginnt, mache ich es mir auf einem Küchenstuhl bequem und gucke aus dem Fenster. Es schneit dicke, dichte Flocken und Weihnachten ist auf einmal ganz nah …

Es gibt noch einiges, was zu erledigen ist.

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Der weihnachtliche Krimskrams will aus dem Keller geholt und die Wohnung muss dekoriert werden. Dabei habe ich mir schon im vorvorletzten, vorletzten und letzten Jahr geschworen, den Krempel nicht mehr hervorzuholen, weil ich zu Weihnachten nie wieder so viel Tamtam machen will. Vorgenommen, ja! Doch letztendlich weiß ich nicht mehr, wie oft ich meinen eigenen festen Vorsatz gekonnt verdrängt oder bewusst vergessen habe.

Vielleicht sollten wir in diesem Jahr wieder einen echten Tannenbaum kaufen und mit richtigen roten Wachskerzen schmücken? Ich könnte den mit Süßigkeiten bestücken, wie es die Eltern früher gemacht haben. Unten an die Zweige kommen Zuckerkringel für die Kinder, oben hängen die Kringel mit Schnaps und dazwischen werden ein paar Wunderkerzen gehängt. Ach ja, zwei Eimer voller Wasser dürfen natürlich nicht fehlen. Man weiß ja nie!

In Gedanken stelle ich mir das entsetzte Gesicht meines Mannes vor, wenn ich ihm berichte, was ich für dieses Jahr geplant habe. Wenn er hört, dass ich einen echten Tannenbaum haben möchte, rastet er aus. Nicht ohne Grund haben wir uns vor Jahren einen wunderschönen, künstlichen und „gut gewachsenen“ Baum gekauft.

Mein Mann war es leid, immer kurz vor Weihnachten, mit mir nach einem Baum zu suchen. Er wollte nicht mehr, dass ich an jedem Tannenbaum was auszusetzen hatte. Mal war er zu breit, mal zu schlank, mal krumm, mal fehlte ein Zweig.

Er weigerte sich, am Heiligabend noch Löcher in den Stamm zu bohren, um Zweige reinzusetzen, nur weil ich ein „Loch“ entdeckt habe. Beleidigt nannte ich es damals Arbeitsverweigerung und warf ihm vor, dass er mich nicht mehr liebt. Er betitelte mich daraufhin als Meckerzicke und meinte, ich sei plemplem. Wenn ich mir das heute bildlich vorstelle, muss ich zugeben, dass mein Holder Recht hatte.

Dabei fällt mir ein, dass ich für das Weihnachtsfest noch was zum Essen einkaufen muss. Mein Göttergatte, meine Kinder, Schwieger- und Enkelkinder wollen bestimmt wieder eine Gans. Richtig schön gefüllt. Ich esse das Viech nicht, aber was tut man nicht alles für seine Liebsten. Natürlich bleiben an diesem Tag die Kartoffeln im Keller. Gewünscht werden ausschließlich Klöße, Kroketten und Rotkohl. Zum Dessert darf Rotweincreme nicht fehlen. Aber was esse ich? Gans, nie im Leben! Keinen Bissen bekomme ich von dem großen, weißen Vogel runter. Außerdem bleibt für mich sowieso nichts übrig. Den verputzt meine Familie in Nullkommanix. Filet! Ich werde mir ein Filet zubereiten. Damit ist das Thema Mittagessen erledigt. Wobei aber die wichtigste Frage noch im Raum steht…

Geschenke! Wenn mein Göttergatte das Wort nur hört, altert er um Jahre.

„Du und deine ewige Schenkerei“, höre ich ihn in meiner Phantasie meckern, „denke es ist abgesprochen, dass es nichts gibt! Aber nein, hier eine Kleinigkeit, da eine Kleinigkeit. Rubbeldiwupp, sind wieder einige Scheinchen weg. Ach, mach’ doch was du denkst!“ Diese Worte kenne ich mittlerweile auswendig. Dabei fragt er mich jedes Mal kurz vor Weihnachten: „Hast du alles? Oder sollten wir nicht noch „Mäuse“ dazulegen?“

Ha, wer muss denn nun wen bremsen?  Genau das ist es, was ich an Weihnachten nicht vermissen möchte. Unvorstellbar, wenn ich mich mit meinem Holden nicht mehr wegen der Geschenke fetzen kann und nicht kochen muss. Das wäre für mich kein „richtiges“ Weihnachtsfest mehr.

Klack! Unsanft werde ich aus meinen Gedanken gerissen. Der Wasserkocher hat sich ausgeschaltet. Mein Tee kann warten. Ich muss in den Keller, die Weihnachtssachen holen.

„Schatz“, rufe ich, „du kannst dich schon drauf einstellen, nächste Woche gucken wir nach einem schönen, gut gewachsenen, echten Tannenbaum!“

Ich höre einen Aufschrei, dem folgt Gepolter. Sollte mein Mann vor Schreck umgefallen sein?

… na dann! „Frohe Weihnachten“


*mit freundlicher Genehmigung der Autorin - zur Autorenseite von Barbara Acksteiner

*mit freundlicher Genehmigung der Autorin - Zur Autorenseite von Barbara Acksteiner

Elke Bräunling
Ein Besuch bei Sinterklaas

„In Holland“, erzählte uns Papa eines Tages, „ist der Nikolaus so etwas wie das Christkind.“
Hihi! Wir kringelten uns vor Lachen. Der Nikolaus mit Rauschebart und Faltengesicht sollte ein Christkind sein? Nein, das konnten wir uns nicht vorstellen.
„Dieses Christkind sieht bestimmt ganz schön komisch aus“, lachte Lena, und ich blätterte in unseren Weihnachtsbüchern. Vielleicht fand ich ein Bild von diesem holländischen Nikolaus-Christkind?
Papa aber hatte eine bessere Idee. „Wisst ihr was?“ sagte er. „Nikolaustag ist dieses Jahr am Wochenende. Was haltet ihr davon, wenn wir Tante Linda und Onkel Ben in Den Haag besuchten?“
„Au ja!“, riefen wir und freuten uns. Onkel Ben mochten wir nämlich gut leiden, ebenso Tante Linda, Jan und Hendrik. Besonders Hendrik mochte ich sehr. Er war -irgendwie- so süß, aber das erzählte ich keinem. Mama, Papa und Lena würden bloß lachen und „Die-Jana-ist-verknallt“ sagen, und das mochte ich nicht hören. Trotzdem klopfte mein Herz ganz arg, als wir in Den Haag ankamen.
Jan und Hendrik warteten schon vor dem Haus auf uns.
„Los! Beeilt euch!“, rief uns Jan entgegen, „bald fährt Sinterklaas im Hafen ein.“
Und Hendrik maulte: „Wegen euch kommen wir noch zu spät.“

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O je! Hendrik schien sich ja nicht auf unseren Besuch zu freuen. Vor Enttäuschung vergaß ich ganz, zu fragen, wer dieser ‚Sinterklaas‘ denn sei. Ich dachte mir auch nichts dabei, als Mama Onkel Ben heimlich einen Karton voller bunt verpackter Päckchen aus unserem Kofferraum gab. Doch zum Grübeln blieb auch wenig Zeit.
„Lasst uns gleich losrennen!“, schlug Lena vor. „Dann treffen wir euren ‚Sintadingsda‘ bestimmt noch.“
Onkel Ben musste lachen. „Sinterklaas“, erklärte er uns, „ist holländisch und heißt ‚Nikolaus‘! Ihm zu Ehren feiern wir heute ein fröhliches Nikolausfest. Es ist für die holländischen Kinder das schönste Fest im Jahr.“
„Schöner als Weihnachten?“, fragte Lena ungläubig.
„In Holland bringt Sinterklaas die Geschenke“, sagte Tante Linda. „Wie bei euch das Christkind an Heiligabend Wünsche erfüllt, so tut es Sinterklaas bei uns heute.“
Ach so! Dieser Sinterklaas-Tag war hier also so ähnlich aufregend wie bei uns Heiligabend!? Klar, jetzt wusste ich, warum Jan und Hendrik so ungeduldig waren. Ich fasste mir ein Herz, nahm Hendrik an der Hand und rief: „Los! Beeilen wir uns!“
Dann rannten wir zum Hafen. Und wir hatten Glück! Wir kamen noch nicht zu spät.
Viele Leute hatten sich am Hafen versammelt und starrten aufs Meer.
„Worauf warten die alle?“, fragte ich.
„Auf Sinterklaas“, sagte Jan. „Gleich kommt er auf seinem Schiff aus Spanien angereist.“
„Auf einem Schiff?“
„Aus Spanien?“
Uns blieb keine Zeit zum Wundern, denn schon segelte das Sinterklaas-Schiff in den Hafen herein. Neugierig blickten wir ihm entgegen, und ich erkannte Sinterklaas sofort. In roter Bischofstracht stand er im Schiff neben seinem Pferd und lachte uns freundlich entgegen. Hinter ihm stand ein finsterer, grausiger Typ. Er trug komische, altmodische Klamotten und verzog das Gesicht zu fiesen Grinsgrimassen.
„Das ist der Swarte Piet“, flüsterte Hendrik. „Vor dem müsst ihr euch in Acht nehmen. Der mag Kinder nicht leiden.“
Das stimmte. Drohend schwenkte er seine Rute und glotzte uns grinseblöd an. Da drückte ich mich ein kleines bisschen enger an Hendrik, und auch Lena und Jan rückten zusammen. Mit dem Swarten Piet mochte keiner etwas zu tun haben.
Dann legte das Schiff an, und Sinterklaas ritt von Bord.
Im gleichen Moment fingen Kirchenglocken zu läuten an.
Das klang schön. Und feierlich. Und wir zogen singend in einem langen Lichterzug mit Musik hinter Sinterklaas und dem Swarten Piet her zum Rathaus, wo Sinterklaas feierlich begrüßt wurde.
„Toll“, sagte ich andächtig, und Lena meinte sehnsüchtig:
„Ihr habt´s gut mit eurem Sinterklaasfest.“
Doch das Fest war noch lange nicht zu Ende.
Als wir müde, aber glücklich zu unseren Eltern zurückkehrten, sagte Tante Linda:
„Und jetzt wird gefeiert!“
„Noch mehr Feiern?“, fragte sich Lena. „Prima.“
Da mussten unsere holländischen Freunde lachen.
„Jetzt beginnt unser Sinterklaasfest erst so richtig“, rief Jan und zog sich die Schuhe aus. Hendrik tat es ihm nach, und Onkel Ben sagte zu uns: „Los, ihr zwei! Stellt eure Schuhe auch vor die Tür, damit Sinterklaas Platz für seine Geschenke hat!“
Waas? Sinterklaas würde auch uns beschenken? Schnell zogen wir unsere Schuhe aus, stellten sie vor die Tür und legten ein paar Möhren daneben für das Pferd von Sinterklaas.
„Das ist spannend“, freute sich Lena. „Und was machen wir jetzt?“
„Schau mal aus dem Fenster!“, sagte Hendrik. „Vielleicht siehst du Sinterklaas über die Dächer reiten.“
„Über die Dächer?“, maulte Lena. „Quatschkram!“ Trotzdem war sie nicht mehr vom Fenster wegzubringen. Das mit dem über Dächer reitenden Sinterklaas hätte sie gerne gesehen.
So saßen wir da, tranken Kakao, aßen Spekulatiuskekse und warteten. Spannend war das. Genau wie bei uns, wenn wir an Heiligabend auf die Bescherung warteten.
Endlich rief Onkel Ben: „Ich glaube, eben habe ich draußen etwas gehört.“
Sogleich stürzten Jan und Hendrik in den Flur und schrien:
„Juchhu!“ und „Hurra!“ und „Sinterklaas war da!“
„Und ich hab ihn nicht über die Dächer reiten sehen“, schmollte Lena und rannte schnell in den Flur.
Dort lag neben unseren gefüllten Schuhen ein hoher, bunter Päckchenberg.
„Soo viele Geschenke an Nikolaustag?“, staunten wir, doch Jan und Hendrik waren schon am Verteilen.
„Für dich!“, sagte Jan und reichte mir ein Päckchen.
„Wirklich für mich?“, fragte ich überrascht und packte vorsichtig mein Geschenk aus. Aber was war das? Ein kleineres Päckchen steckte in meinem Geschenkepäckchen und darauf stand: „Für Ben!“
Alle lachten, ich aber war enttäuscht.
„Für dich!“, sagte ich traurig und gab mein Päckchen, das gar nicht meines war, an Onkel Ben weiter.
Der machte sich sogleich ans Auspacken, doch auch er hatte Pech. Er fand nämlich auch bloß ein weiteres Päckchen mit einem Zettel, und auf dem stand: „Für Lena!“
„Juchhu!“, kreischte Lena und riss das Papier auf, ja, und sie hatte Glück. Kein weiteres Päckchen kam zum Vorschein, sondern eine CD von Lenas Lieblings-Musikgruppe. Darauf klebte ein Zettel mit einem lustigen Spruch, und der hieß:
„Lena, die liebe, kriegt heut keine Hiebe, doch wenn sie ein wenig nur folgsamer wär´, freuten sich über sie alle noch mehr!“
Lena stutzte, dann jubelte sie los: „Er gefällt mir, dieser Sinterklaas!“
Klar, wir lachten alle erst einmal. Dann packten wir das nächste Päckchen aus, dann das nächste undsoweiter…
Ehrlich, dieses Sinterklaasfest war ganz schön anstrengend. Sinterklaas machte es uns mit dem Beschenken nämlich recht schwer. Päckchen um Päckchen packten wir aus, und jedes Mal dauerte es eine Weile, bis das richtige Geschenk beim richtigem Empfänger gelandet war. Und jeder bekam zu seinem Geschenk auch noch einen Spruch. Die waren alle sehr lustig, und wir hatten viel zu lachen und zu freuen. Es war ein wunderschönes Fest, das ich nie mehr im Leben vergessen würde.

© Elke Bräunling

*mit freundlicher Genehmigung der Autorin - zur Autorenseite von Elke Bräunling

Mika Kantz
Meine Weihnachts-Kolumne

-
Weihnachten ist perfekt! Oder?

Zu Weihnachten bekommen meine Eltern einen neuen Toaster. Das ist vielleicht nicht das weihnachtlichste
Geschenk aller Zeiten, aber es ist praktisch und auch gewünscht.

Daher durchstöbere ich das Internet nach dem perfekten Toaster; immerhin geht es um ein Weihnachtsgeschenk.
Ich schaue mir Dutzende Beschreibungen an, achte auf die Bewertungen (Sterne! Besonders wichtig an Weihnachten!)
und lese die Rezensionen.

Doch es ist schwierig. Kein einziger Toaster hat die gewünschten fünf Sterne.
Manche haben fast fünf, aber eben nur fast. Ich lese die jeweiligen Rezensionen, um herauszufinden, was die Käufer zu
beanstanden haben.

Der Toaster toastet nicht gleichmäßig.

Das Kabel ist zu kurz.

Der Toast springt zu hoch.

....

Je mehr ich lese, umso schwieriger wird es. Was, wenn der Toast meiner Eltern auch nicht gleichmäßig gebräunt wird?
Ich werde nervös. Immerhin geht es um ein WEIHNACHTSGESCHENK!

Weiter lesen

-

Ich suche hektisch weiter, hüpfe zwischen den Toastern hin und her, kriege Herzklopfen und die Panik,
dass ich an Weihnachten mit einem unperfekten Toaster neben dem Christbaum stehe.
Und ich merke, dass ich das Gefühl kenne. Nicht nur, wenn es um Weihnachtsgeschenke geht.

Eine neue Waschmaschine, ein neues Auto, ... man will die perfekte Ware für sein Geld.
Das ist auch verständlich. Also suchen wir nach allen Informationen, die wir bekommen können,
denn zuerst müssen wir ja herausfinden, wie denn die perfekte Waschmaschine oder das perfekte Auto sein soll.

Aber nicht nur beim Kaufen haben wir einen Drang zur Perfektion.
Wir werfen zum Beispiel Dinge weg, weil sie eine Macke haben, dabei würden sie ihre Arbeit noch tun.
Wir geben eine Unmenge für Dekoartikel aus, damit unser Zuhause perfekt den Bildern auf Instagram entspricht.

Wir sind verwöhnt, wird jetzt so mancher sagen, und das ist sicher nicht verkehrt.
Wir haben zu hohe Ansprüche. Leider oft auch an uns selbst.

Das perfekte Makeup, die perfekte Gastgeberin, die perfekte Ehefrau, die perfekte Geliebte,
eine perfekte Mutter mit erfolgreichem Job und tadellosem Haushalt, ... es gibt lebende Vorbilder dazu im Internet
und zig Anleitungen. Es ist eigentlich ganz einfach.

Nein, ist es nicht! Mir fällt es auf einmal wie Sternschnuppen von den Augen: Ich bin ein Toaster!

Ich bin weit davon entfernt, perfekt zu sein, auch wenn ich es ständig versuche.
Ich weiß es im Grunde ja auch. Es werden immer wieder Menschen kommen, die schöner, reicher,
perfekter sind als ich, und genauso viele Menschen, die etwas an mir auszusetzen haben.
Ich bin erleichtert, dass es keine Sternebewertungen für mich gibt.

Trotzdem frage ich mich, wie viel von der Perfektion anderer Menschen ist echt und nicht nur Fassade?
Ist das Streben nach Perfektion nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt?
Braucht es überhaupt Perfektion, um ein erfülltes Leben zu führen?
Braucht es einen Toaster mit mindestens 1,50 m langem Kabel, wenn er eh direkt neben die Steckdose gestellt wird?

Plötzlich – vielleicht ist es der Duft des Wintertees, der neben mir steht, oder das Jingle Bells aus dem Radio –
überkommt mich eine Ruhe. Eine perfekte Ruhe.

Mir wird klar, wenigstens an Weihnachten sollte nicht alles perfekt sein müssen. Der Baum kann meinetwegen schief stehen,
Schmuddelwetter statt weißer Weihnacht ist auch in Ordnung und Weihnachtsplätzchen sollen schmecken und nicht aussehen
wie Germanys next Topmodel.

Ich schaue mir wieder die Beschreibungen der Toaster an und denke mit einem sentimentalen Gefühl der Verbundenheit:
Ihr süßen, kleinen, unperfekten Toaster! Ihr seid wie ich und einer von euch wird ein wunderbares Weihnachtsgeschenk werden.


In diesem Sinne wünsche ich allen eine wunderschöne, besinnliche, unperfekte Weihnachten!


(c) Mika Kantz
 

*mit freundlicher Genehmigung der Autorin Mika Kantz 

Der folgende Link führ zu ihrem zauberhaften Buch "Der Tag, an dem die Magie verschwand"


Mina Pantic
Die Geschichte vom Stern im Himmel

Es war einmal ein kleiner Junge namens Johannes, der liebte es, zum Himmel hinaufzuschauen und die Sterne zu beobachten. Eines Nachts sah er einen besonderen Stern, der viel heller und glänzender war als alle anderen.

Johannes fragte seinen Vater: „Was ist das für ein Stern da oben, der so hell leuchtet?“

Sein Vater antwortete: „Das ist der Stern von Bethlehem. Er hat vor langer Zeit eine besondere Bedeutung für uns, denn er hat den Weg zum Christkind gezeigt.“

Johannes war verblüfft. „Das Christkind? Wer ist das?“

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Sein Vater lächelte und sagte: „Das Christkind ist Jesus, unser Erlöser und Retter. Er ist gekommen, um uns von unseren Sünden zu erlösen und uns ein ewiges Leben zu schenken.“

Johannes war sehr aufgeregt. „Können wir zu dem Stern gehen und Jesus sehen?“

Sein Vater lächelte wieder und sagte: „Wir können nicht zu dem Stern gehen, aber wir können jederzeit zu Jesus beten und Ihm unsere Herzen öffnen. Dann kann Er in unser Leben kommen und uns führen.“

(c) Mina Pantic

 

*mit freundlicher Genehmigung der Autorin - hier findet Ihr weitere christliche Kurzgeschichten für Kinder!

Barbara Pronnet
Bens Weihnachtswunsch

Jenny ging als Christkind zur Weihnachtsfeier. Weißes kurzes Kleid und goldener Haarreif mit Heilgenschein auf den blonden Locken, kleine goldene Pappflügel und schon sah sie aus wie ein Rauschgoldengel. Die Kollegen fanden es super und sie genoss die Komplimente. Wegen hoher Arbeitsbelastung fiel der Event auf den 23.12. Morgen konnten sie ja alle ausschlafen und den verdienten Weihnachtsurlaub antreten. Jenny fand eigentlich gar nichts aufregend an Weihnachten und der Heilige Abend bei der Familie war nervig und spießig. Ihre Eltern behandelten sie wie ein Kleinkind und sie wurde sicher wieder gemästet und mit Liebe überschüttet. Seit Jenny allein wohnte, frönte sie mehr dem Nachtleben und fand sich mit ihren zwanzig Jahren cool und unabhängig.

Die Feier war feuchtfröhlich und als die Idee kam, gleich anschließend ein frühes Frühstück im Cafe um die Ecke  einzunehmen, war es schon nach neun Uhr morgens als sie sich alle lachend und müde von einander verabschiedeten. Jenny wohnte nicht weit weg von dem Cafe. Sie wollte ihren Brummschädel auskühlen lassen und ging zu Fuß nach Hause. Sie knöpfte ihre weiße Felljacke fest zu und marschierte, leise zu dem neuesten Hit summend, ihre kleine Einbahnstraße entlang. Neue Reihenhäuser mit schicken Vorgärten waren bereits festlich geschmückt und überall blinkte und funkelte es aus den Fenstern.

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Nur das letzte Eckhaus war ohne Glanz und Lichterketten und als Jenny am Gartentor vorbei ging, saß ein kleiner Junge vor der Eingangstür und schaute ziemlich traurig drein. Als er Jenny sah, glitt ein so freudiges Strahlen auf sein kleines Gesicht, dass Jenny stehen blieb und zurück lachte. „Na Kleiner, wer hat dich denn so Früh ausgesetzt?“ fragte Jenny kess wie immer. “Bist du das Christkind?“ fragte er vorsichtig.

Jenny wurde sich ihres Outfits wieder bewusst und wollte gerade etwas klarstellen, als der kleine Junge schon das Tor geöffnet hatte und sie an der Hand nahm und Richtung Haus zog. „Halt warte doch mal“ Jenny ging in die Hocke und sah dem Jungen in die Augen. „Wo sind denn deine Eltern?“ „Die sind heut früh schon wieder in ihr Büro, da sind sie eigentlich immer. Heute kommen sie sicher auch wieder spät, aber heut ist doch Weihnachten und der Christbaum liegt noch im Keller und wahrscheinlich vergessen sie sowieso das du heute kommst. Jetzt kommt dann gleich mein Babysitter, aber die ist doof und hört nur Musik und mag mich nicht“ sprudelte es aus ihm heraus.

Und jetzt denkt er womöglich ich bin das Christkind, so ein Mist und das mir, dachte Jenny. Für sowas hab ich ja überhaupt keine Begabung.

Sie überlegte kurz und besann sich. Es war Heiliger Abend. „Wie heißt du denn überhaupt?“ Jenny setzte ihr schönsten Lächeln auf.

„Ben. Ich bin sechs Jahre alt. Er zeigte sechs kleine Finger in die Luft. „Pass auf Ben, du weißt dass ich heute viel zu tun habe, aber wo ich schon mal hier bin, komme ich kurz rein und trage dir den Christbaum hoch ins Wohnzimmer, ok?“ Ben nickte ganz wild und schob Jenny Richtung Haustür. Noble Hütte, alles klinisch sauber und ziemlich ungemütlich, dachte sie sofort. Sie schlüpfte aus ihrer Daunenjacke und zog ihre Flügel in Form.

Ben lotste sie gleich in den Keller und Jenny sah den Christbaum und den Halter dazu in einer Ecke stehen. Wenigsten war er nicht so groß. Sie klemmte ihn sich unter den Arm und Ben zog eifrig eine Kiste aus einem Regal „Der Schmuck ist da drin und die Krippe“ sagte er aufgeregt und lief schon wieder damit nach oben. Jenny versuchte ihre Kopfschmerzen auszuschalten und das Spiel einfach mitzumachen. Sie würde sich noch was einfallen lassen müssen wenn die Aufpasserin kam und sie hier antraf. Sie hatte Mitleid mit dem kleinen Kerl und eine Wut auf die abwesenden Eltern. Eigentlich sollten die hier sein und sich um ihr vereinsamtes Kind kümmern.

Im Wohnzimmer befreiten sie gemeinsam den Baum aus dem Netz und steckten ihn mit viel Mühe in den Halter. Ben öffnete die Kiste und ein Sammelsurium aus edelsten Kugeln, Glasfiguren und Strohsternen kam zum Vorschein. Ben lief zum CD-Player und schon dudelte „Lasst uns froh und munter sein“ durch das Wohnzimmer. Jenny musste schmunzeln als sie den Kleinen beobachtete. Ben strahlte und plötzlich wusste Jenny was es hieß, Kinder mit großen Augen vor dem Christbaum zu sehen. „Ich weiß schon was ich geschenkt bekomme“, Ben hing vorsichtig eine rote Kugel an den Baum. „Eine ganze Menge Spielsachen, ein Fahrrad, Hörbücher und Süßigkeiten, aber das weißt du ja selber, weil du das alles heute Abend bringst“. „Du klingst aber nicht so begeistert. Stimmt, du bekommst eine ganze Menge, mehr als viele andere Kinder“. „Eigentlich wünsche ich mir nur das Mama und Papa mehr Zeit für mich haben. Sie sind immer weg und abends müde und heute wird das sicher auch so sein“.

Jenny kniete sich zu Ben und sah ihm in die Augen. „Ben, erzähl deinen Wunsch deinen Eltern heute Abend und richte ihnen von mir aus, dass es nichts Schöneres und Wertvolleres gibt als Zeit für einander zu haben. Kein Spielzeug dieser Welt macht so viel Freude. Hast du verstanden?“ „Ja, hab ich, ich sag ihnen das du dir das auch wünscht“. „Richtig, Weihnachten ist ein Fest wo alle Menschen zusammenkommen, sich zuhören und für einander da sind. Das wünscht sich das Christkind am meisten“. Der Baum sah wunderschön aus und sie schauten stolz auf ihr gemeinsames Werk. „Die Kerzen machst du aber erst an wenn deine Eltern wieder da sind, versprochen? Ich muss jetzt los und du bleibst im Haus, draußen ist es kalt.“

Jenny ging in den Flur und zog ihre Jacke an. Plötzlich ging die Haustüre auf und ein junges Mädchen mit Kopfhörer und pinken Strubbelhaaren starrte sie entsetzt an. „Keine Angst ich bin nur das Christkind“ grinste Jenny. Sie streichelte Ben über das Haar. „Du wirst sehen, deine Eltern werden dir deinen Wunsch erfüllen, du musst nur fest dran glauben“. „Mach ich und danke, Christkind“ Jenny nahm den kleinen Jungen in die Arme und drückte ihn fest an sich. „Bis bald Ben und fröhliche Weihnachten“

Sie verließ das Haus und ging eilig weiter in ihre Straße. Sie hatte plötzlich eine solche Sehnsucht nach ihren Eltern und freute sich auf die Wärme und Geborgenheit die sie dort erwartete. So muss Weihnachten sein, dachte sie und hoffte, dass der kleine Ben seinen größten Wunsch erfüllt bekam.

Zur Autorenseite

*mit freundlicher Genehmigung der Autorin

*mit freundlicher Genehmigung der Autorin - zur Autorenseite von Barbara Pronnet

Gabriele Maricic-Kaiblinger
Kerzen für das Christkind

Miles Eltern kamen von Serbien nach Österreich, weil sie das dortige Regime nicht guthießen. Mile wuchs orthodox auf. Karl-Heinz war seit einem halben Jahr hier, kam aus Deutschland und war evangelisch. Gülistans Eltern kamen aus der Türkei. Sie selbst war bereits hier geboren worden, und unterschied sich von den anderen Kindern nur dadurch, dass sie in der islamischen Religion unterrichtet wurde. Anna war von hier und katholisch. Anna kannte Gülistan schon vom Kindergarten her und hatte sich gleich mit ihr angefreundet. Sie zeigte sich schon früh von anderen Kulturen fasziniert. Mit Mile und Karl-Heinz, den sie Heinzi nannte, hatte Anna  ebenfalls sofort Freundschaft geschlossen. Sie alle gingen seit September in die vierte Klasse.

Jetzt stand Weihnachten vor der Tür, und da jeder eine andere Konfession hatte, wurde heiß diskutiert.

„Wir drei“, erklärte Anna, „haben eigentlich den gleichen Glauben. Wir sind alle Christen. Nur Gülistan hat einen anderen Glauben.“

Wie gesagt, Anna interessierte sich schon immer für das, was anders war, erkundigte sich über alles, gab ihr Wissen gern weiter und wirkte dadurch oftmals etwas altklug – oder auch etwas mehr.

„Ja, und sie darf kein Weihnachten feiern“, meinte Heinzi und blickte Gülistan mitleidsvoll an.

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Diese antwortete jedoch: „Aber dafür hatten wir letzten Monat den kleinen Bairam.“

„Was ist das?“ Mile wollte es genauer wissen.

„Der kleine Bairam beendet als 'Fest des Fastenbrechens' den Fastenmonat Ramadan. Man schenkt sich Süßigkeiten, deshalb heißt es auch Zuckerfest.“ Das war natürlich Anna. Als langjährige Freundin von Gülistan war sie schon zu diesem Fest eingeladen worden.

„Ja und da bei uns nach Mondmonaten gerechnet wird, ist es jedes Jahr zu einer anderen Zeit, und es dauert drei Tage“, erklärte Gülistan stolz.

„Wir feiern den Heiligen Abend erst am 6. Jänner“, sagte Mile.

„Ja, aber sonst feiert ihr wie wir. Überhaupt haben wir katholische Christen mit den orthodoxen am meisten gemeinsam, mehr als mit den evangelischen.“ Anna wusste selbstverständlich gleichfalls hier genauestens Bescheid.

„Fast“, entgegnete Mile. „Wir haben vor der Kirche einen Blätterbaum, von dem jeder ein Ästchen abbrechen darf, und am 7. gibt’s zu Hause Spanferkel.“ Mile leckte sich bei dem Gedanken die Lippen.

„Wir feiern Weihnachten auch wie ihr.“ Heinzi glaubte, sich verteidigen zu müssen.

„Aber die Messfeier gestaltet ihr ein bisschen anders.“ Anna wusste einfach alles besser. Überhaupt führte sie wieder das große Wort. „Ich habe viel gelesen, und mir ist aufgefallen, dass es im Stall, in dem Jesus geboren worden ist, dunkel gewesen sein muss.“

„Das glaub’ ich nicht“, erwiderte Mile, „da waren ja der Komet und viele Sterne und haben alles erleuchtet.“

„Ja, aber die haben draußen geleuchtet.“

„Es war ein besonderes Licht und so kräftig, dass es bis in den Stall hineindrang.“ „Trotzdem.“ Anna schüttelte den Kopf. Sie redete und redete und überzeugte schließlich die anderen, dass es im Stall dunkel gewesen sein musste. Und dann malten sie sich aus, wie das wäre, wenn sie die Möglichkeit hätten, dem Jesuskind eine Kerze zu bringen.

„Ich könnte da nicht mit“, meinte Gülistan.

„Wieso nicht, ihr glaubt doch auch an Jesus?“, fragte Anna.

„Ja, aber nicht als Sohn Gottes, sondern als Prophet.“

Für Anna stellte dies kein Problem dar. „Ist doch egal. Dann schenkst du eben dem Propheten eine Kerze.“

Das leuchtete Gülistan ein. Für Kinder, die keine Vorurteile hegten , war eben alles einfach, und sie fanden immer einen Weg. 

„Ich habe gehört, dass es vielleicht eine Höhle und kein Stall war“, warf nun Heinzi ein.  „Habe ich auch gehört“, antwortete die kluge Anna, „aber ich glaube es nicht so recht, und wenn es doch stimmt, dann bringen wir die Kerze eben in die Höhle – da muss es ja sowieso noch viel dunkler gewesen sein, durch Stein dringt sicher kein Licht.“ So redeten sie noch eine Weile hin und her und ließen ihrer Fantasie freien Lauf. Und da in der Heiligen Nacht Wunder wahr wurden, geschah es:

Die Kinder gingen zusammen zur Kindermette. Mile, nachdem er den Eltern versprochen hatte, mit ihnen am 6. Jänner in der Landeshauptstadt zur Messe zu gehen. Heinzi, der seinen Eltern beteuern musste, sich nicht allzu viel von den Katholiken anzueignen. Gülistan hatte ihre Eltern lieber erst gar nicht gefragt. In der Manteltasche hatte jeder eine kleine Kerze mit,  die wollten sie dem Jesuskind nach der Messfeier in die Krippe, die in der Kirche aufgestellt war, legen, um zumindest symbolisch ein Licht zu bringen. Natürlich würden sie die Kerzen in der Krippe nicht anzünden, das war zu gefährlich, obwohl Anna trotzdem – nur zur Sicherheit, falls es doch irgendwie möglich sein sollte – Zündhölzer mitgebracht hatte. Doch der große Krippenberg mit Stall, der Heiligen Familie, den Hirten und allem Drum und Dran war hinter einer Absperrung, und sie getrauten sich nicht, drüberzugreifen und die Kerzen dazuzulegen. Und wie sie noch so schauten und überlegten, standen sie plötzlich vor einem ärmlich gekleideten Mann, der etwas gebückt neben einer sitzenden Frau mit einem Baby auf dem Schoß stand. Die Kinder standen mit offenen Mündern da, als sie merkten, wo sie da waren.

„Wie ist das möglich?“, flüsterte Heinzi.

„Ist doch egal, Hauptsache, es ist so“, antwortete Anna, die sich als Erste wieder gefasst hatte.

„Weil wir es fest gewünscht haben“, sagte Mile. Nur Gülistan meinte nichts dazu, sie kam aus dem Staunen nicht heraus. Erst als das Baby die vier Kinder anlächelte und gluckste, da erinnerten sie sich, warum sie hier waren, holten ihre Kerzen aus den Taschen, entfachten sie , weil sie sahen, dass der Boden vor der mit Stroh gefüllten Krippe aus Stein war, und stellten sie vor der Liegestatt des Jesuskindes hin. Als dies geschehen war, fanden sie sich auf einmal in der Kirche wieder. Sie griffen in die Taschen, um sich zu vergewissern, dass dies nicht nur ein Traum gewesen war. Die Kerzen waren nicht mehr da.

„Ich ... ich muss es meinen Eltern erzählen.“ Gülistan hatte ihre Sprache wiedergefunden, „das war wirklich ein Wunder, und ich durfte es auch erleben.“

„Ja, denn es gibt nur einen Gott für uns alle, und vor ihm sind wir alle gleich.“ Wie gesagt, Anna gab sich manchmal etwas altklug. Oder auch etwas mehr.

Überwältigt von ihrem Erlebnis gingen die Kinder schweigend nach Hause. Nur, ob es nun ein Stall oder eine Höhle gewesen war, darauf hatte keiner geachtet.

 

(c) Gabriela Maricic-Kaiblinger

*Mit freundlicher Genehmigung der Autorin. Auch diese Geschichte ist in ihrem Buch "still-dröhnend und lichterdunkel" enthalten.

Heinz Riedel
Ein Weihnachtsmärchen

Vor Festtagen fügen sich Erlebnisse oft stimmungsvoll ein in Inhalt und Bedeutung der anstehenden Feiertage.

Am Standplatz vor dem Hauptbahnhof traf diese Feststellung in der Vorweihnachtszeit für die Mehrzahl der Taxifahrer allerdings nicht zu. Das Bestreben, lukrative Fahrten zu ergattern, brachte leichtes Konkurrenzdenken auf.

Wolfgang Henschel hatte in der Hektik des anstrengenden Großeinsatzes sein freundliches, hilfsbereites Naturell nicht verloren. Das sollte ihn zu einem schönen Weihnachtserlebnis führen.

Wieder einmal wurde er von der Zentrale namentlich aufgerufen, eine alte Dame aus der Parkallee abzuholen. Seit einigen Wochen war Wolfgang sozusagen der Leib—Chauffeur dieser achtzigjährigen Frau. Er musste sie zum Einkaufen fahren, zum Friseur, zum Arzt. Kurz gesagt, sie ließ sich nur von ihm fahren.

"Ich möchte heute", sagte die alte Dame, "nicht zum Einkaufen fahren, sondern zu einem Dorf in der Umgebung."

Wolfgang Henschel war der Achtzigjährigen behilflich, den Gurt festzumachen und erwiderte: "Dann will ich Ihnen die Heizung recht warm einstellen. Es ist sehr kalt draußen."

Diese Sonderfahrt war ihm, um ehrlich zu sein, sehr recht. Der ländliche Verkehr war angenehmer als der in der Stadt, und durch die Dauer der Fahrt konnte er einen ansprechenden Verdienst einfahren. Außerdem war die alte Dame mit dem Trinkgeld nie kleinlich.

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Die Fahrt führte in eine waldreiche Gegend. Das beständige Grün der Fichtenbäume leuchtete aus dem fahlen Grau des Mischwaldes.
Hier  außerhalb der Steinwände der Stadt musste Wolfgang an Weihnachten denken, das Fest mit dem grünen Tannenbaum.

Die Fahrt ging nun durch ein in Büschen und Bäumen liegendes Wohngebiet.

Hier ließ die alte Dame anhalten. "Gefällt Ihnen das Häuschen dort?" fragte sie und zeigte auf ein hübsches kleines Ferienhaus.

Wolfgang Henschel nahm das Haus in Augenschein. Dann gab er sein Urteil ab. "Ja, das Haus sieht gut aus. Es ist scheinbar solide gebaut.
Wollen Sie es denn kaufen?"

"Nein", erklärte die Achtzigjährige in verhaltener Freude, "ich will es Ihnen schenken."

Wolfgang, der Taxifahrer, war so überrascht, dass er wortlos ihrem Wunsch nachkam, zurückzufahren und bei einem Notar zu parken.

Dort wurde die Schenkungsurkunde aufgesetzt. Vor der Unterschriftsleistung fragte der Notar: "Haben Sie sich das auch gut überlegt? Warum wollen Sie eigentlich dem Herrn Henschel, der Ihnen doch so gut wie unbekannt ist, das Haus schenken?"

"Weil er immer höflich, freundlich und zuvorkommend ist", antwortete die alte

Dame, "solche Menschen sind selten in dieser Zeit, man muss sie belohnen." Während der Taxifahrer draußen das Auto wendete, erfuhr der Notar den Anlass dieser Schenkung.

In den letzten Wochen hatte Wolfgang Henschel der Achtzigjährigen bei deren Einkäufen ungebeten die Pakete zum Auto getragen und sogar in die Wohnung, hatte bereitwillig Stütze und Hilfe gegeben, wo es Not tat, und bei allen Fahrten die Frau mit viel Freundlichkeit betreut.

Wolfgang Henschel konnte nun mit Frau und Kind in dem Haus Weihnachten feiern. Es wurde ein sehr fröhliches Weihnachtsfest, denn nicht nur die Familie Henschel hatte dort wunderschöne Tage, auch die Spenderin, die ungenannt bleiben soll, war dabei.

Auf die Einladung dazu antwortete sie: "Eine einsame alte Frau kommt gern."

In dem Wohngebiet der Waldgegend leuchtete nicht nur das beständige Grün der Tannenbäume in der Heiligen Nacht, heller noch leuchtete die Freude aus den Fenstern des von Familienleben erfüllten Hauses.

(c) Heinz Riedel

*veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von Peter Riedel (Sohn)


Antje Steffen
Lara und der Schneemann

Lara schlenderte über den Weihnachtsmarkt. Endlich hatte sie Zeit gefunden, um den geplanten Bummel zu machen. Die letzte Zeit war sehr hektisch gewesen und so konnte sie erst jetzt, ein paar Tage vor Weihnachten, über den Markt gehen.

Lara wollte gern ein paar Geschenke besorgen und hoffte, hier fündig zu werden. Sie genoss die Atmosphäre, die von den Buden ausging. Ein Besuch auf dem Weihnachtsmarkt gehörte für Lara zu Weihnachten.

Langsam ging sie von Stand zu Stand und besah sich die angebotenen Dinge. An einem Stand mit geschnitzten Weihnachtsfiguren blieb sie stehen. Die Elfen, Schneemänner, Weihnachtsmänner und Wichtel waren wunderschön.

Lara wusste nicht, welche der Figuren ihr am besten gefiel. Nachdem sie eine Weile geschaut hatte, nahm sie einen Schneemann zur Hand. Lara betrachtete die Figur genau. Der kleine Kerl hatte ein verschmitztes Grinsen im Gesicht, trug einen blau-weiß geringelten Schal und eine blaue Pudelmütze. Sie schaute nach dem Preis und beschloss, den Schneemann zu kaufen. Lara wollte ihn zu den anderen Schneemännern ihrer Sammlung stellen.

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Sie liebte Schneemänner und hatte schon einige Exemplare zuhause. Dieser kleine Kerl würde gut dazu passen. Der Mann hinter dem Tresen lächelte ihr zu.

„Eine gute Wahl! Der Kleine wird Ihnen viel Freude bereiten.“ „Das denke ich auch. Er ist wunderschön!“

Nachdem der Mann die Figur sorgsam verpackt hatte, reichte er sie Lara und diese steckte das Päckchen vorsichtig ein. Sie freute sich darauf, den Schneemann zu seinen Freunden zu stellen.

Lara verabschiedete sich vom Verkäufer und schlenderte weiter über den Markt.

Nach und nach fand sie Geschenke für ihre Lieben. Zum Abschluss gönnte Lara sich einen Punsch und eine Waffel. Zufrieden machte sie sich auf den Weg nach Hause.

Dort angekommen verstaute Lara zuerst die mitgebrachten Geschenke, dann kochte sie sich einen Tee und nahm diesen mit ins Wohnzimmer. Dort gab es eine Ecke, in der sämtliche Weihnachtsschneemänner, die sie ihr Eigen nannte, aufgebaut waren.

Vorsichtig wickelte Lara ihren neuen Schneemann aus. Sie hielt ihn in den Händen und überlegte, an welcher Stelle er am besten stehen könnte.

Bevor Lara sich entschieden hatte, regte sich die Figur in ihren Händen. Lara sah den Schneemann an und schüttelte über sich selbst den Kopf. Jetzt dachte sie schon, der Kleine hätte sich bewegt. Erneut überlegte sie, wohin ihr kleiner Freund passen würde.

Wieder spürte sie etwas in ihrer Hand und als sie diesmal hinsah, winkte ihr der Schneemann zu. Mit großen Augen blickte Lara auf die Figur.

„Was…?“ - „Keine Angst! Du siehst richtig. Ich heiße Sammy und bin ein ganz besonderer Schneemann. Ich möchte dich einladen, mit mir ins Winterwunderland zu kommen.“

Lara setzte sich. „Aber wie kann das sein? Wieso kannst du mit mir sprechen?“ Sammy lächelte. „Ich kann mit dir reden, weil du noch an Wunder glaubst. Diese Fähigkeit haben die meisten Menschen verloren. Deshalb ist es ihnen nicht möglich, mit uns Schneemännern zu sprechen.“
„Du möchtest, dass ich dich ins Winterwunderland begleite. Wo ist dieses Land und wie soll ich dorthin kommen?“
„Das ist ganz einfach. Du musst nur die Augen schließen und dir wünschen ins Winterwunderland zu reisen.“

Lara lächelte. „Sollte ich mir vorher vielleicht meine warme Jacke anziehen?“ „Das ist eine gute Idee, denn bei uns ist es kalt und du sollst nicht frieren.“

Lara stellte Sammy kurz auf den Tisch, um Jacke, Schal, Mütze und Schuhe anzuziehen. Als sie fertig war, nahm sie den Schneemann erneut in die Hand.

„Ich bin soweit! Es kann losgehen.“ Sammy nickte. „Gut, dann schließe deine Augen und wünsche dich ins Winterwunderland.“

Lara tat wie ihr geheißen. Zuerst passierte nichts, doch dann spürte sie die Kälte.

„Du kannst die Augen aufmachen. Wir sind angekommen.“

Lara öffnete langsam die Augen und konnte kaum glauben, was sie sah. Überall standen wundervoll geschmückte Häuschen und dazwischen wuselten Schneemänner, -frauen und Schneekinder umher.

Lara wandte sich an Sammy. „Es ist wunderschön hier. Ich danke dir dafür, dass du mich hierhergebracht hast.“
„Es freut mich, dass es dir gefällt. Komm ich zeige dir alles.“

Hier im Winterwunderland war Sammy zu einem großen Schneemann herangewachsen. Er reichte Lara die Hand und die beiden machten sich auf den Weg.

Unterwegs wurde Sammy von vielen begrüßt. Auch Lara wurde freundlich empfangen. Einige der Schneemänner warfen ihr bedeutungsvolle Blicke zu
und die Frauen tuschelten.

Lara wunderte sich. Was hatte das zu bedeuten? Sie wollte sich gerade an Sammy wenden, um ihn zu fragen, da traten sie auf den Dorfplatz. In der Mitte des Platzes stand ein wunderschöner, großer Weihnachtsbaum. Staunend betrachte Lara den Baum.

Ohne dass Lara etwas bemerkte, zog Sammy sich zurück und sie blieb allein vor dem Baum stehen.

Nach einer Weile löste Lara ihren Blick vom Baum und sah sich nach Sammy um. Statt Sammy stand ihr auf einmal ein junger Mann gegenüber. Dieser sah sie genauso verwundert an wie sie ihn. Was war hier los?

Der Mann löste sich als Erstes aus seiner Starre. „Hallo, mein Name ist Sven. Ich wusste nicht, dass es hier noch andere Menschen gibt.“

Lara wagte ein Lächeln. „Hallo, ich bin Lara. Von anderen Menschen hat Sammy mir nichts gesagt. Ich dachte, ich wäre die Einzige hier.“

Sven lächelte zurück und Laras Herz machte einen Hüpfer. Sie konnte den Blick nicht von Sven wenden. Seine Augen waren so grün wie die Nadeln des Weihnachtsbaums und er hatte ein fein geschnittenes Gesicht.

Auch Sven fiel es schwer, seinen Blick abzuwenden. Lara hatte leuchtend blaue Augen und schulterlanges, blondes Haar, das in vielen Locken um ihren Kopf lag.

Während Lara darüber nachdachte, wie es wohl wäre, von Sven geküsst zu werden, nahm dieser sie auch schon in den Arm und ihre Lippen berührten sich. Einen Moment war sie überrascht, dann jedoch genoss sie Svens Kuss und seine Arme, die sich um sie gelegt hatten und sie zärtlich hielten.

Als Sven sich von Lara löste erklärte er: „Ich weiß nicht, wie das sein kann, aber ich habe mich verliebt.“

Lara lächelte. „Mir geht es genauso.“

Während sie noch so dastanden und über dieses Wunder nachdachten, füllte sich der Platz mit den Bewohnern des Winterwunderlandes. Sammy trat zu dem Pärchen.

„Ich wusste es! Gleich als du an den Stand gekommen bist, wusste ich, du bist die richtige Frau für Sven.“

Lara sah Sammy an. „Wie kann das sein?“
„Es ist die Magie des Winterwunderlandes. Mein Freund Sleepy hat Sven gefunden und wir wussten sofort, dass wir eine Frau für ihn finden sollten. Als du an den Stand des Schnitzers gekommen bist, war ich sicher, dass du es bist, die wir suchten. Als du mich gekauft hast, war es vollkommen klar. Wie du siehst, hatte ich Recht!“

Neben Sammy war ein weiterer Schneemann aufgetaucht. Auch er strahlte.

„Genau! Ihr zwei seid füreinander bestimmt. Sonst würdet ihr gar nicht hier sein.“

Einen Moment war alles still, dann sagte Sven: „Ich will mich nicht beschweren, aber wie soll es weitergehen? Wir können doch nicht hierbleiben. Wie sollen wir uns in unserer Welt wiederfinden?“

Sammy lachte. „Das ist kein Problem! Du bist noch neu in der Stadt, in der du lebst. Deshalb kennst du kaum Menschen dort. Lara wohnt nur ein paar Straßen von dir entfernt. Wenn ihr nachher nach Hause kommt, braucht ihr nur zum Stand des Holzschnitzers zu gehen. Dort werdet ihr euch treffen.“

Lara lächelte. Es waren heute so viele Wunder geschehen, da wollte sie gern an ein weiteres glauben. Sven erging es ebenso.

Als nun die Schneemänner zum Aufbruch mahnten, küsste er Lara.

„Bis bald, meine Schöne! Wir sehen uns auf dem Weihnachtsmarkt.“

„Ich werde da sein.“

Sie wurden von ihren Schneemännern an die Hand genommen und waren bald darauf zurück in ihren Wohnungen.

Einen Moment zögerte Lara, dann machte sie sich auf den Weg zum Markt. Bald erreichte sie diesen. Sie ging direkt zum Stand des Schnitzers. Als sie Sven dort stehen sah, machte ihr Herz einen freudigen Hüpfer.

Sven hatte Lara ebenfalls entdeckt und ging ihr entgegen. Als sie voreinander standen, strahlten ihre Augen. Sven nahm Lara in den Arm.

„Ich lasse dich nie wieder los! Du bist mein schönstes Weihnachtsgeschenk!“

Glücklich schmiegte Lara sich in seine Arme. Sie wusste, hier gehörte sie her.

 

(c) Antje Steffen

Geschichte enthalten in meinem Buch "Zur rechten Zeit - Geschichten so bunt wie das Leben", Papierfresserchens MTM-Verlag, November 2018

*mit freundlicher Genehmigung der Autorin - zur Autorenseite von Antje Steffen


Gisela Brix
Der alte Musikant

Es war Heiligabend. Die Dächer und Straßen der kleinen Stadt waren tief verschneit und es war bitterkalt. Über diese Straßen der Stadt ging ein alter Mann. Er war ein Musikant - ein Flötenspieler. Im Vorübergehen schaute er durch die erleuchteten Fenster in die Zimmer der Häuser, die festlich geschmückt waren. Ab und zu seufzte er tief - wie gerne wäre er dort gewesen.

Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, wie viele Jahre er im Land umher gewandert war und auf seiner Flöte gespielt hatte. Überall war er zu finden gewesen. Auf Hochzeiten und Jahrmärkten hatte er gespielt und die Menschen tanzten vergnügt zu seiner Musik.

Wo seine Familie war, wusste er nicht - vielleicht gab es niemanden mehr. Nie war er lange genug irgendwo geblieben, um Freunde zu finden. Er war jung gewesen und wollte viel erleben. So zog er weiter von einem Fest zum anderen und genoss das lustige Leben. Aber nun war er alt, er war müde und wünschte sich einen Ort, an dem er ausruhen konnte.

Er ging zum Marktplatz der kleinen Stadt, um dort ein wenig Musik zu machen. Als er den Platz erreicht hatte, holte er die Flöte aus seiner Tasche und wollte darauf spielen. Aber seine Hände waren von der Kälte so steif gefroren, dass er seine Finger nicht mehr bewegen konnte.
 

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Traurig ließ er die Flöte sinken. Doch dann spürt er plötzlich von irgendwoher eine zarte Berührung, die seine kalten Hände wärmte. Er hob die Flöte an seine Lippen und begann zu spielen. Er spielte so wunderbar wie er noch nie in seinem Leben gespielt hatte.

Weit über den Marktplatz erklang die Melodie und alle, die sie hörten, blieben stehen und lauschten. Immer weiter spielte der Musikant - immer weiter. Während er spielte, begann es, sanft zu schneien. Die Schneeflocken schienen wie unzählige schimmernde Sterne vom Himmel zu fallen und die Herzen der Menschen mit Freude und Wärme zu füllen.

Das Lied erreichte auch einen alten Mann, der alleine am Fenster seines Hauses saß und berührte ihn mit geheimnisvollem Zauber. Er stand auf, öffnete die Türe seines Hauses und hörte zu. Er fühlte, wie etwas, das kalt und hart in ihm geworden war, wieder weich und warm wurde. Diese Wärme berührte sein Herz und machte es leicht und froh - endlich konnte er wieder lächeln.

Als die Melodie verstummte, machten sich die Menschen schweigend auf den Heimweg. Es war ihnen so, als ob sie ein kostbares Geschenk bekommen hätten und mit nach Hause tragen würden.

Der Flötenspieler blieb alleine auf dem Marktplatz zurück. Er schaute sich um und sah den alten Mann an der geöffneten Türe stehen. “Komm herein” rief der alte Mann, “es ist Weihnachten und da soll niemand alleine sein.”

Staunend kam der Musikant langsam näher und ging mit dem alten Mann ins Haus. Endlich hatte er einen Platz zum Ausruhen gefunden - das Wunder der Weihnacht war auch zu ihm gekommen.

(c) Gisela Brix (Veröffentlicht in: Reimmichl Volkskalender, Athesia-Verlag in Bozen)

*mit freundlicher Genehmigung der Autorin Gisela Brix / Veröffentlicht in: Reimmichl Volkskalender, Athesia-Verlag in Bozen

Eva Zimmermann
Begegnung mit dem Weihnachtsmann

Susi stapfte durch den Schnee dem Wald zu. Es war bitter kalt und fast bereute sie ihren Entschluss, das warme Haus verlassen zu haben. Doch wenn sie an den Mann dachte, mit dem sie dort zusammen gelebt hatte … Nein, ihr Entschluss, das Weite zu suchen, war richtig gewesen. Sie musste nur ein bisschen schneller laufen, dann würde es ihr schon warm werden.
Früher, da war alles anders gewesen. Susi hatte immer ein gutes Frühstück bekommen und mittags einen Snack. Abends hatte ihr Johanna ein leckeres Mahl serviert, das sie selbst gekocht hatte. Johanna und sie hatten danach manchmal zusammen auf dem Sofa gesessen und sich alte Filme angesehen. Oft hatten sie auch miteinander gespielt und Susi durfte immer in ihrem Bett schlafen, wenn der Mann auf einer seiner zahlreichen Geschäftsreisen war. Susi dachte damals, dass es im Paradies nicht besser sein könnte.

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Eines Tages war der Mann Rentner geworden. Er war nun viel zu Hause und beanspruchte Johannas Zeit. Sie machten Ausflüge, fuhren über das Wochenende oder sogar länger fort und Susi war, obwohl die Nachbarin täglich vorbeischaute, viel allein. Trotzdem – der Mann war immer nett zu ihr gewesen, hatte mit ihr geredet und gespielt und trotz der zeitweisen Einsamkeit hatte Susi doch immer das Gefühl gehabt, geliebt zu werden.
Doch dann passierte etwas, womit Susi in ihren schlimmsten Träumen nicht gerechnet hatte: Johanna wurde schwer krank und starb kurz darauf. Nun begann für Susi ein freudloses Dasein. Da war niemand mehr, der mit ihr spielte oder schmuste, niemand, auf dessen Schoss sie es sich vor dem Fernsehgerät bequem machen konnte, niemand, der ihr Leckereien servierte. Es war trostlos geworden in dem einst so glücklichen Heim. Der Mann schien gar nicht zu merken, dass sie auch noch da war. Er beachtete Susi nicht mehr, er kümmerte sich einfach nicht um sie. Sie bekam nicht mal mehr regelmäßig ihre drei Mahlzeiten, geschweige denn etwas Wärme und Zuneigung. Da hatte sie begonnen, Johannas Mann nur noch „der Mann“ zu nennen, obwohl auch er natürlich einen Namen hatte. Doch Susi fand, dass er ihn nicht mehr verdiente. Robert – das klang viel zu nett für einen Klotz wie ihn. Der Mann saß nur noch am Tisch und starrte vor sich hin. Von Zeit zu Zeit seufzte, ja, weinte er sogar.

Susi verstand die Welt nicht mehr. Natürlich, auch sie war traurig, dass Johanna nicht mehr da war, aber das Leben ging doch weiter! Schließlich war sie, Susi, doch noch da! War das etwa nichts? Hatte sie nicht ein Recht auf ein angenehmes Leben? Sie hatte von diesem tristen Dasein wirklich genug! Daher hatte sie einen günstigen Moment abgewartet, um das Haus für immer zu verlassen. Der Mann verdiente sie einfach nicht. Sie hatte Anspruch auf Besseres! Und das wollte sie finden, irgendwo da draußen in der weiten Welt.
Sie sank bei jedem Schritt tief in den Schnee ein und überlegte, ob es nicht besser gewesen wäre, mit dem Ausreißen bis zum Frühjahr zu warten. Aber nein, so lange hätte sie es gar nicht ausgehalten. Wer wusste, ob sie überhaupt den Winter überlebt hätte bei der schlechten Behandlung, die ihr widerfuhr!
Allmählich wurden Susis Beine schwer. Jeder Schritt erforderte gewaltige Anstrengung. Sie war müde und sehnte sich danach, ein bisschen auszuruhen. Nur ein paar Minuten! Sie wusste, dass dies gefährlich war; sie konnte einschlafen und erfrieren. Aber sie musste doch neue Kraft schöpfen!
Gerade, als Susi nachgeben und sich im Schnee zusammenrollen wollte, sah sie am Waldrand etwas aufblitzen. Was das wohl war? Ein Haus vielleicht? Susi raffte sich noch einmal auf und kämpfte sich weiter durch den Schnee in Richtung Licht. Es schien kaum näher zu kommen, so sehr sie sich auch anstrengte. Dann aber war sie endlich in Hörweite. Was war das für ein Geräusch? Es klang wie eine Glocke. Susi schüttelte heftig den Kopf, um als Antwort das Glöckchen an ihrem Halsband zum Klingen zu bringen. Und da hörte sie es wieder, bim-bim, diesmal schon etwas näher. Der Klang erinnerte sie an dieses Fest, das Johanna und der Mann immer im Winter gefeiert hatten und das Weihnachten hieß. Ja, es war ja jetzt auch Winter! Ob schon Weihnachten war? Der Mann feierte es sicher nicht mehr ohne Johanna, soviel stand fest.
Endlich, endlich hatte Susi es geschafft. Ein Haus fand sie allerdings nicht, dafür aber einen Schlitten. Davor waren Rentiere gespannt, die mit den Glocken um ihre Hälse läuteten. Auf dem Schlitten saß ein alter, weißbärtiger Mann in einem roten Mantel. Er lächelte Susi entgegen und sagte mit warmer Stimme: „Da bist du ja, Susi! Komm, spring auf meinen Schoß! Ich muss mit dir reden!“
Das ließ sich Susi nicht zweimal sagen, zumal der Mann ihr seine Hand entgegenstreckte, in der sich einige lecker duftende Kekse befanden.
Nachdem sie einen davon gierig verschlungen hatte, hob sie den Kopf und fragte: „Aber woher kennst du meinen Namen?“ Der Alte schmunzelte: „Ich kenne dich schon seit deiner Geburt. Ich habe dich dein ganzes Leben über beobachtet. Wir sind uns sogar schon begegnet! Erinnerst du dich nicht?“
Susi dachte angestrengt nach, schüttelte dann aber den Kopf.
„Nun, du warst damals auch noch sehr jung. Erst ein paar Wochen alt. Du bist auf einem Bauernhof zur Welt gekommen. Die Bauersleute wollten dich nicht behalten, denn die zahlreichen Kätzchen – du und deine Geschwister - waren ihnen zu viel. Die meisten konnten sie verschenken, aber du warst noch übrig und so hatten sie schweren Herzens beschlossen, dich zu ertränken. Ich habe deine Hilferufe gehört und Robert auf den Bauernhof geschickt. Er ist direkt vor dem Hof mit dem Auto in einen Graben gerutscht. Na ja, ich hatte etwas Schmierseife auf die Straße geschüttet. Nicht die feine englische Art, aber es war schließlich ein Notfall, nicht? Er musste auf dem Hof um Hilfe bitten, und da sah er dich. Es war Liebe auf den ersten Blick und er dachte sofort an Johanna, die ein bisschen Gesellschaft brauchen konnte, da er oft lange von zuhause fort war. Tja, so bist du zu Robert und Johanna gekommen! Ich habe dich am Weihnachtsabend mit meinem Schlitten dort hingebracht.“
„Oh, das habe ich nicht gewusst! Ich war wohl noch zu jung, um mich zu erinnern. Aber - der Mann mag mich doch gar nicht! Er macht mir das Leben zur Hölle!“, entgegnete Susi.
Der Weihnachtsmann schüttete den Kopf. „Das siehst du falsch! Robert ist so traurig über den Verlust von Johanna, dass er seine Umwelt – und das schließt dich ein – nicht mehr wahrnimmt. Er ist einfach von seinem Schmerz gefangen und er ist in großer Gefahr. Es gibt aber jemanden, der ihm helfen kann!“
Erstaunt hob Susi den Kopf. „Ja? Wen denn?“, fragte sie.
Der Weihnachtsmann sah sie nur an.
„Wer -, ich etwa?“, maunzte Susi verwundert.
Der alte Mann nickte lächelnd: „Ja, Susi, genau du! Willst du zurück zu ihm gehen und ihm helfen?“
Susi drehte den Kopf und sah den langen Weg, den sie zurückgelegt hatte. Der Weihnachtsmann verstand sofort, was ihr Sorgen machte, und sagte: „Du darfst wieder in meinem Schlitten fahren! Ich bringe dich heim, wie damals!“
Obwohl Susi sich noch nicht ganz sicher war, dass sie dem Mann tatsächlich helfen wollte, verlockte sie die Aussicht auf eine Schlittenpartie durch die Wolken so sehr, dass sie zustimmte.
Eine Frage hatte sie aber noch: „Heute ist doch Weihnachtsabend, nicht?“ Als der Alte nickte, bat Susi: „Kannst du mir nicht etwas geben, das ich dem Mann mitbringen kann? Ich glaube, er hat ganz vergessen, dass Weihnachten ist, und ich möchte ihn daran erinnern!“
Der Weihnachtsmann lächelte und angelte etwas aus dem Sack hinter sich. „Was für eine gute Idee, Susi! Hier, nimm ihm diesen Stern mit. Du kannst ihn leicht im Maul tragen!“
Vorsichtig nahm Susi den goldglitzernden Stern zwischen die Zähne und nickte dem Alten zu – sprechen konnte sie nun ja nicht mehr.
Der Weihnachtsmann schnalzte mit der Zunge und – huiii – sausten sie los. Susi wurde genau vor ihrer Katzenklappe abgesetzt. Sie schlüpfte hindurch und lief geradewegs in die Küche. Richtig, da saß der Mann am Küchentisch, vor sich, wie so oft in letzter Zeit, eine große Flasche Whisky. Aber da war noch etwas anderes: einige Röhrchen mit Tabletten. Was hatte er vor? Susi wusste, dass das nichts Gutes bedeuten konnte. Aber was sollte sie machen, um Robert davon abzuhalten, dieses tödliche Zeug zu schlucken? Sie dachte scharf nach. Dann sprang sie lautlos auf die Fensterbank. Von dort aus war es ein weiter Sprung bis auf den Tisch, aber das konnte sie schaffen.
Ein Satz, und schon landete sie neben der Whiskyflasche. Sie nutzte den Schwung aus und schlitterte auf dem Bauch quer über die Tischplatte, wobei sie die Flasche und die Tabletten hinunterfegte. Im nächsten Moment stand sie auf dem Boden und setzte erneut zum Sprung an. Sie landete auf allen vier Pfoten direkt vor Robert, der vollkommen ungläubig von Susi zur zerschmetterten Schnapsflasche und wieder zu Susi guckte. Die Katze stand ihm Auge in Auge gegenüber und sah ihn eindringlich an. Dann legte sie vorsichtig den Goldstern vor Robert, und zwar so, dass dieser lesen konnte, was darauf geschrieben stand: „Gesegnete Weihnachten!“
Es war Robert, als erwachte er aus einem langen, schlimmen Traum. Er sah lange auf den Stern, dann lächelte er, nahm Susi auf den Arm und sagte: „Ich weiß, was du mir sagen willst! Ich glaube, du hast mich gerade vor einer großen Dummheit bewahrt! Johanna würde sicher wollen, dass du und ich zusammen Weihnachten feiern. Und sie wird in unseren Herzen dabei sein. Danke, meine liebe kleine Susi! Du hast mich gerettet, obwohl ich dich in der letzten Zeit so vernachlässigt habe! Ich denke, ich habe bei dir einiges gutzumachen!“ Die Katze räkelte sich genüsslich in seinem Arm und miaute ein zustimmendes, zufriedenes „Jau!“
Der Weihnachtsmann schaute lächelnd durchs Fenster, aber das sah nur Susi. Sie zwinkerte ihm fröhlich zu und kuschelte sich tiefer in Roberts Arm.

(c) Eva Zimmermann

 

*mit freundlicher Genehmigung der Autorin Eva Zimmermann

Inge Escher
Die etwas andere Weihnachtsüberraschung

Die Familie sitzt gemeinsam am Tisch, es herrscht gedämpfte Stimmung im Raum. Denn, heuer fällt für Moritz Weihnachten im üblichen Sinne, aus. 
Der Junge muss noch vor Weihnachten ins Krankenhaus, da sein Blinddarm raus soll. Moritz ist darüber sehr traurig und beinahe untröstlich. Wer legt sich denn schon während den Feiertagen freiwillig ins Bett? Doch die OP darf nicht verschoben werden, denn Moritz soll endlich wieder ganz gesund werden. Viel zu oft wurde er schon wegen einer ‚Blinddarmentzündung‘ arg von Bauchweh geplagt; einmal muss endlich Schluss damit sein. Eigentlich sollte er erst im Januar unters Messer, so war es geplant. Doch nun war überraschend ein Bett in der Klinik frei und der Termin wurde somit vorverlegt. 
„Unverhofft kommt oft", meint Oma. 
Mama bedauert nur ganz kurz ihren Sohn, denn ‚was sein muss, muss sein.‘ Da beißt die Maus keinen Faden ab. 
„Da musst du jetzt leider in den sauren Apfel beißen", erklärt Oma. 
 

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Moritz findet sich schließlich langsam einigermaßen damit ab. Angst hat er keine vor der bevorstehenden Operation. Denn: „Ein Indianer kennt keinen Schmerz!“ Oh wie cool er doch ist. Lisa- Schwesterherz, von ihm oftmals benannt als die Zimperliese, hatte vor einiger Zeit ihre Operation auch gut überstanden – und schließlich ist er ja kein Weichei und nicht so wehleidig wie Lisa. 
Seiner Schwester, erging es damals ähnlich, sie wurde ausgerechnet an ihrem Geburtstag als Notfall in die Klinik eingewiesen. Das war jetzt ein kleiner Trost für Moritz. Das fällt unter Gleichberechtigung, denkt er. 
Dass es sogar eine tolle Weihnachtsüberraschung, – trotz seines Krankenhausaufenthaltes, für ihn und seine Familie geben wird, – ja damit rechnen er und seine Eltern nicht. Diese überlegen nämlich, wie und womit sie ihrem Sohn zum Trost eine besondere Freude machen könnten. Auch die Großeltern überlegen hin und her. Vielleicht wird es in der Klinik am Heiligen Abend eine Möglichkeit für eine kleine Bescherung geben? Doch es wäre für Moritz nicht dasselbe – nicht so schön wie Weihnachten daheim zu feiern. Auf die Geschenke selbst, kommt es ihm dabei nicht drauf an. Sondern auf alles drum herum, was eben zu Weihnachten gehört. Gewiss steht in der Adventzeit im Eingangsbereich des Krankenhauses ein weihnachtlich geschmückter Baum. Die feierliche Stimmung, würde den Kranken im sterilen Krankenhaus fehlen. Vielleicht verströmen mit Nelken bestückte Orangen, die liegend auf Tellern oder hängend in den Räumen verteilt sind ihren Duft, wie daheim, so wie es Moritz gerne mag. Er wünscht sich insgeheim eine honigduftende Kerze zum Anzünden, wenn er schon auf seinen geliebten Bratapfelduft verzichten muss. An die himmlisch schmeckenden Plätzchen und Lebkuchen will er erst gar nicht denken. Ob er die überhaupt so kurz nach seiner Blinddarm-OP essen darf? „Atmet man nur Krankenhausluft und riecht eh nur alles nach Medikamenten?“, überlegt Moritz. 
Aus seinen Gedanken gerissen, hört er: „Wir könnten doch Vorfeiern und das Christkind schon zwei Wochen früher kommen lassen", schlägt Lisa – Schwesterherz vor. 
Auf was für dumme Ideen sie kommt. „Nein – dann schon lieber nachfeiern“, meint Moritz kleinlaut. 
Er zieht einen Schmollmund und es kommt ihm erneut in den Sinn, dass er womöglich noch in den Weihnachtsferien in der Klinik ist, obwohl er genau weiß, dass er dann wertvolle Schulunterrichtsstunden versäumen würde. So kann er sich wenigstens anschließend in den Schulferien ordentlich auskurieren. 
Oma meint: „Kinder ihr macht euch viel zu viele Gedanken. Erstens kommt es anders – zweitens als man denkt“. 
Die Erwachsenen mit ihren Sprüchen, die haben leicht reden, sie brauchen sich ja schließlich nicht operieren zu lassen. 
Als daheim bereits drei Kerzen am Adventskranz brennen und mehr als die Hälfte der Türchen vom Adventskalender geöffnet sind, ist es soweit. Moritz verabschiedet sich in der Schule von seinen Klassenkameraden, die ihm alles Gute wünschen. 
Einige Freunde versprechen, ihn zu besuchen. 
Wegen den Vorbereitungsmaßnahmen für die OP muss Moritz schon am Vorabend in der Klink ein passieren. 
Die Schwestern, die Ärzte – das ganze Pflegepersonal, – alle begrüßen ihn sind nett zu ihm. Nicht nur das Empfangskomitee, genauso auf der Station ist das Personal sehr freundlich. 
Der Narkosearzt verspricht ihm, während der Operation einen schönen Traum. 
Den hat Moritz dann auch, bald nach der OP. Oder ist es eher ein Albtraum? Er träumt nämlich, dass er nicht operiert zu werden braucht, weil bei der Untersuchung das in Verzweiflung geratene Ärzteteam auf dem Ultraschallbild seinen Blinddarm erst gar nicht finden kann, – upps! – 
Als er wieder die Augen aufschlägt, ist alles schon vorbei und es geht ihm sogar den Umständen entsprechend gut. Das schnell wirkende Narkosemittel, das er nicht einmal richtig wahrgenommen hat, wirkt nach und Moritz ist noch sehr müde. Deshalb bleibt er noch ein paar Stunden in der Aufwachstation. Der Durst plagt ihn ein bisschen, er darf aber noch nichts trinken. Stattdessen kommt er an den Tropf, ihm wird eine Infusion gelegt, die ihm auch die Schmerzen nimmt. Später wird er von zwei Krankenschwestern mitsamt seinem Bett durch die halbe Klinik gerollt. Der Bub kommt sich dabei ganz wichtig vor und fühlt sich wie ein König, der zum Thron gefahren wird. 
Er wird in ein schönes helles Krankenzimmer gebracht. Dort ist er nicht alleine. Neben ihm steht noch ein zweites Bett, indem ebenfalls ein Junge liegt, – etwa in seinem Alter. 
Tim, so heißt der andere kleine Patient. Auch Tim schläft sich zunächst einmal ein bisschen gesund. 
Am nächsten Tag schielt einer der Jungen vorsichtig zum anderen hinüber. Als die erste Scheu überwunden ist, freunden sich Tim und Moritz schnell miteinander an. 
„Geteiltes Leid – halbes Leid", kommt es der Oma in den Sinn, als sie ihren Enkel besuchen kommt. Tims Eltern sind auch da. 
Da die beiden Jungens, nicht andauernd Besuch haben können, spielen sie gemeinsam, um sich die Zeit etwas zu vertreiben, ‚Ich sehe was, was du nicht siehst‘ sowie Sprichwörter ergänzen und etliche andere Ratespiele. Sie dürfen ja noch nicht aufstehen. 
Nachdem es ihnen besser geht, folgen Kartenspiele wie SkipBo, Pass auf! und Neuner raus. Nur beim Mensch-ärgere-dich-nicht spielen, fallen wegen der unebenen Bettdecke immer die Spielfiguren um; das mag Moritz überhaupt nicht leiden. 
So vergeht der Tag sehr schnell. Der nächste ebenso. 
Die Beiden haben sehr viel Spaß miteinander, doch das sich gegenseitige Witze erzählen unterlassen sie lieber, weil sie spüren, dass das Lachen trotz ‚Bauch halten‘, weh tut. Das bekommt der frischen Narbe nicht so gut, wenn sie so herzhaft lachen müssen. „Übermut tut selten gut." Wieder ein Oma- Zitat. 
Mittlerweile hat es draußen angefangen zu schneien. Der erste Schnee in diesem Winter. Moritz beobachtet von seinem Fensterplatz aus, den riesigen weißen Flocken zu, die wie kleine Glitzersternchen vom Himmel herunter schweben. 
Es sieht beinahe aus wie im Märchen. Sehr romantisch und vorweihnachtlich. – 
Am nächsten Morgen, als er die Augen öffnet, hat eine riesige wunderschöne Decke aus Schnee, draußen alles weiß zugedeckt. Was für ein tolles Naturbild! – 
Als am Nachmittag, also ein Tag vor Heiligabend, Oma ihn besuchen kommt; süß duftende Plätzchen und Lebkuchen auspackt – die selbstverständlich geteilt werden – sind die Jungs vollauf zufrieden. Sie sitzen gemütlich am Bettrand, trinken jeder ein kleines Gläschen Kinderpunsch und dürfen ein wenig von dem Gebäck probieren, das Oma, Mama und Lisa gebacken haben. 
Die Oma zündet alle vier Adventskranzkerzen an und erzählt den Kindern von früher. Von Weihnachten, damals vor mehr als fünfzig Jahren, als sie noch ein kleines Mädchen war und ihre Eltern sehr wenig Geld zur Verfügung gehabt hatten. Oma erzählt, wie unter dem Christbaum, ein vom Vater selbst gebauter, nagelneuer Holzschlitten stand. Mit richtigen Kufen und einer Schnur, um damit den Berg hinauf zu ziehen. Wie ihr Vater und ihre Mutter sich freudig zuzwinkerten, weil ihnen die Überraschung so gut gelungen war. Während sie selbst keine Minute länger aufzuhalten war, sofort ihre Boots und die warme Jacke überzog und mit ihrem neuen Schlitten in den Schnee hinaus eilte, um ihr neues Gefährt gleich einmal auszuprobieren. Dass es damals ein sehr glückliches Weihnachten war, obwohl es keine weiteren Geschenke gab. – 
Richtig kuschelig, innerlich warm und gemütlich wird es Moritz und Tim bei den Erzählungen und sie vergessen Zeit und Raum, während sie schöne bekannte Weihnachtslieder gemeinsam singen. 
Leider fällt ihnen immer nur die erste Strophe von den Liedern ein. Schon war es Heiligabend. 
Moritz und Tim nutzen ihre gemeinsame Zeit, um Bilder für die Eltern, Geschwister und Großeltern zu malen. 
Im Krankenhaus befindend, haben sie wenige Möglichkeiten, für selbstgemachte Weihnachtsgeschenke. 
Doch dann geht es leider an das Abschied nehmen, weil Tim schon nach Hause entlassen und von seinen Eltern abgeholt wird. Die Kinder tauschen schnell noch ihre Adressen aus. 
Plötzlich allein, kommt sich Moritz einsam und verlassen vor. Er verspürt einen dicken Kloß im Hals und langsame aufsteigende Tränen. Als ihm vor Wehmut ganz schlimm zumute wird, klopft es an der Krankenzimmertür und bei seinem „Herein", treten ein: Lukas, Jonas und Maxi, drei aus seiner Klasse. Oh wie freut Moritz sich da. 
Sie singen ihm das fröhliche Rolf Zuckowski – Lied vor. 
„In der Weihnachtsbäckerei“, … 
Moritz stimmt mit ein, es geht ihm gleich wieder besser und lächelt. Als die Kinder gegangen sind, denn sie wollen ja rechtzeitig zur Bescherung daheim sein, kommt der Oberarzt ins Krankenzimmer zur Visite. Er schaut sich Moritz Bauch an, versorgt die Wunde mit einem Wundpflaster und sagt: „Ich mache deine Entlassungspapiere fertig, dann darfst du auch nach Hause. Du musst mir nur versprechen, dass du nicht herumtollst und noch brav ein paar Tage möglichst im Bett bleibst.“ 
Hurra! Das ist nun das schönste Weihnachtsgeschenk, nicht nur für Moritz, dem jetzt Freudentränen kommen – sondern eine gelungene Überraschung für die gesamte Familie. Das ist einfach toll. 
Endlich wieder daheim, gibt es Küsschen von Mama, Papa und Schwesterherz. „Ende gut – alles gut!", sagt erleichtert Oma und nimmt den seligen Moritz ganz fest in ihren Arm. 

© Inge Escher 
 

*Der Text ist in der Anthologie Literarische Bescherung - HoHoHo, Christkind, Engel und Co. ISBN: 978-3-7502-5571-5 veröffentlicht.

Harald Goerke
Der alte hungrige Weihnachtsmann

Von Jahr zu Jahr zur Weihnachtszeit hat der Weihnachtsmann mehr zu tun. Nicht weil es mehr Kinder gibt, die sich etwas wünschen.
Nein. 
Es werden jedes Jahr weniger Kinder geboren.
Aber, die Geschenke werden mehr und mehr und größer und größer. Und oftmals auch teurer.
Das ist dem Weihnachtsmann aber egal. Er muss nur alles rechtzeitig an die Kinder verschenken. Und alle wollen es persönlich von ihm haben.
Um das zu schaffen, helfen ihm immer mehr Engelchen, die all die Geschenke an geheimen Orten der Welt verstecken, sodass er nicht ganz so sehr schleppen muss. Denn schließlich ist er ja nicht mehr der Jüngste.
Seine Arbeitszeit beginnt immer im Advent, damit auch alle Aufträge wie immer erledigt werden können.
An einem schönen, klaren frostigen Dezembertag wanderte er, dick eingemummelt in seinem roten Mantel, der roten Mütze und den schweren warmen Stiefel, schwer bepackt schon am Vormittag los, um alle Kindergärten, Schulen und Vereine rechtzeitig aufsuchen zu können.

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Am Rande eines Dorfes wurden seine Beine so schwer, dass er sich auf eine sonnenbeschienene Bank setzte. Er genoss nun die warmen Sonnenstrahlen und sah den Wintervögeln zu, wie sie sich ihr Futter auf dem Feld vor ihm suchten. Ein Eichhörnchen- paar flitzte an seiner Bank vorüber, welches dann unter einem Baum nach versteckten Nüssen scharrte. Er lächelte, wusste er doch, dass Eichhörnchen ein schlechtes Gedächtnis haben.
Seinen schweren Sack hatte er neben der Bank abgestellt. Ihm entströmte ein köstlicher Duft von süßen Printen, Honigkuchen und Pfeffernüssen, der ihn schwach werden ließ und er griff in den Sack. Fröhlich und mit gesundem Appetit verspeiste er ein paar Lebkuchen.

In diesem Augenblick kam eine Mutter mit ihrem Sohn daher, den sie zur Schule bringen wollte. Das tat sie immer um diese morgendliche Zeit.
„Schau mal da Mammi“, rief dieser aufgeregt, und blieb stehen, „der Weihnachtsmann isst unsere Lebkuchen!“
Die Mutter blieb ebenfalls stehen und trat auf ihn zu und schüttelte den Kopf: „Das ist aber nicht fein von dir, was du da tust, lieber Weihnachtsmann, den Kindern die Lebkuchen wegzufuttern. Und außerdem macht selber essen, dick!“
Und der Junge rief: „Das ist Diebstahl. Die Lebkuchen gehören den Kindern!“
Dem Weihnachtsmann blieb vor Schreck der Bissen im Halse stecken.
„Komm Mama, son bösen Weihnachtsmann, will ich nicht sehen!“
Verschämt senkte der Weihnachtsmann den Kopf und die Mutter mit ihrem Jungen machten sich weiter des Weges.
Plötzlich leuchtete es glitzernd hell um ihn herum auf. Eines seiner helfenden Engelchen in weißem Gewand mit Sternchen versehen, saß neben ihm auf der Bank und legte seinen Arm um ihn und drückte ihn zärtlich an sich.

„Jaja Weihnachtsmann, so sind die Menschen. Seit vielen Jahren kommst du immer pünktlich zu ihnen, um sie zu erfreuen. Das alles nehmen sie als selbstverständlich hin. Aber, wenn der Weihnachtsmann müde und hungrig ist und etwas Lebkuchen
nascht, gönnen sie es ihm nicht. Dabei geht ihnen nichts ab. Du hast davon mehr als genug in deinem Sack. Lass den Kopf nicht hängen!“
Das Engelchen drückte ihn noch einmal zärtlich: „Machs gut lieber Weihnachtsmann.“
Dann erlosch das Leuchten um ihn herum und der Weihnachtsmann war wieder mit sich und seinen schweren Gedanken über die immer hartherziger werdenden Menschen alleine.
Nach einer Weile schob er seine trüben Gedanken beiseite und erhob sich, wischte noch einen letzten Krümel aus seinem weißen Bart, schulterte seinen Sack und stiefelte schweren Herzens in das Dorf vor ihm, um dort seine Gaben zu verteilen. Er wollte die Hoffnung an das Gute im Menschen nicht aufgeben.

 

 

*Geschichte enthalten in dem Buch "60 wunderbarere Geschichten aus 60 wunderbaren Jahren" von Harald Goerke

*Erschienen in der Anthologie 60 wunderbare Geschichten ...

*mit freundlicher Genehmigung von Harald Goerke - zu seiner Amazon-Autorenseite.


Christina Telker
Die Entdeckung

Elke saß auf der Couch, um sie herum lagen einige Backbücher, die sie im Laufe ihres Lebens gesammelt hatte. Die Adventszeit war wieder einmal, schneller als erwartet, in greifbare Nähe gerückt und es galt ein paar Rezepte für die Weihnachtsbäckerei heraus zu suchen. Als sie noch so in ihre Gedanken versunken war, läutete das Telefon. Heike, ihre Tochter rief an. „Hast du schon angefangen Plätzchen zu backen?“, war ihre erste Frage. „Nein. Ich bin gerade dabei einige Rezepte heraus zu suchen“; gab die Mutter zur Antwort. Jetzt folgte ein heiterer Austausch der unterschiedlichsten Anregungen, bis Elke sagte: „Weißt du noch? Kannst du dich noch erinnern? Sicher warst du damals zu klein. Oma verstand es hervorragen zu backen. Ihre Lebkuchen waren unübertroffen. Ich ärgere mich jedes Jahr aufs Neue, dass ich sie mir nicht habe geben lassen. Erst als ich älter wurde, merkte ich schmerzhaft den Verlust. Ach wenn ich diese Rezepte noch hätte!“ „Ach ja“, begann jetzt auch Heike zu schwärmen, „das wäre tolle. Du weißt, ich werde im nächsten Jahr ein kleines Kaffee eröffnen. Den Raum habe ich jetzt auch schon gefunden. Wenn ich dort zur Weihnachtszeit etwas Besonderes anbieten könnte, dass es nirgends sonst gibt, das würde mir Kundschaft bringen. Aber ich denke, wir haben schon alles durchgesucht, damals als wir gemeinsam den Boden aufräumten.“ „Ja, leider“, bestätigte die Mutter.

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Als das Telefonat beendet war, dauerte es noch ein Weilchen bis Elke wieder zu ihrem Vorhaben zurückkehren konnte. Die Erinnerung hatte sie gefangen genommen. Nach einer Tasse Tee, machte sie sich jedoch frohgemut weiter daran, die schönsten Rezepte heraus zu suchen.  Gegen Abend lag dann eine stattliche Anzahl von Rezepten vor ihr, die ausprobieren wollte. Elke musste lächeln, als sie an das eine Rezept dachte, dass in jedem Jahr zur Weihnachtsbäckerei gehörte. Es befand sich in einem Backbuch und nannte sich ‚Teufelsküsse‘, da sehr viel Schokolade dafür benötigt wurde. Da ihre Mutter aber vom Teufel keinen Kuss haben wollte, das Rezept jedoch großartig fand, gab sie dem Rezept einfach einen anderen Namen ‚Schokoknöpfe‘ und schon war es für sie kein Problem mehr sie zu backen. ‚Ach ja, wenn doch nur das Rezept der Großmutter noch da wäre. Ob es heute noch funktionieren würde? Viele Zutaten hatten sich verändert im Laufe der Zeit‘, so gingen Elkes Gedanken.

Als Heike zum Adventskaffee erschien, freute sie sich über die gelungenen Kreationen ihrer Mutter. „Möchtest du nicht zu mir ziehen?“, fragte sie in den letzten Jahren zum wiederholten Male. Immer hatte die Mutter abgelehnt. Es gab immer neue Gründe die sie vorbrachte um nicht ihren Heimatort zu verlassen. „Wenn ich dann im kommenden Jahr mein Kaffee eröffne, könntest du mir eine große Hilfe sein. So würdest du dich schnell einleben. Was meinst du, was wir alles gemeinsam schaffen könnten.“ Mutter und Tochter hatten sich schon immer gut verstanden. Die Idee mit dem Kaffee war verlockend, das musste Elke zugeben und was hielt sie wirklich noch hier, überlegte die Mutter. „Ich werde es mir überlegen. Im Frühjahr komme ich mal vorbei und schau es mir an“, sagte sie nun zu ihrer Tochter. „Mutti! Das wäre großartig!“ Voll Jubel umarmte Heike ihre Mutter. Sie hatte schon nicht mehr daran geglaubt, die Mutter irgendwann überzeugen zu können. ‚Wie gut war doch die Idee, der Mutter im Kaffee noch einmal eine Aufgabe zu geben‘, dachte die junge Frau jetzt.

Wie versprochen, kam die Mutter Anfang März um sich die Ideen ihrer Tochter anzusehen. Die Handwerker waren gerade dabei die Räume zu renovieren. Heike legte der Mutter ihre Entwürfe vor, wie sie sich das Kaffee eines Tages vorstellen könnte. Mit einem Simulationsprogramm hatte sie alles selbst entworfen. Nun berieten die beiden Frauen und brachten gemeinsam ihre Ideen ein. Manches wurde verändert, anderes blieb so wie Heike es sich vorstellte. Am nächsten Tag gingen beide gemeinsam zu den Ämtern um die noch erforderlichen Wege zu erledigen. Zurückgekehrt ging Elke schweren Herzens zum Makler um ihr Haus zum Kauf anzubieten. Ein wenig Vorfreude auf das Neue, das nun auf sie wartete war auch dabei, aber der Abschiedsschmerz überwog, immerhin war es ihr Elternhaus von dem sie sich nun verabschiedete. Schnell fand sich ein Käufer, bei dem Elke auch ein gutes Gefühl hatte und ihm gerne ihr Haus überlies. Schon bald begann sie mit dem Packen der Umzugskartons. Nach so einem langen Leben in einem Haus, galt es Wichtiges von unwichtigem zu unterscheiden. Nicht alles konnte mitgenommen werden.

Als der Mai Einzug hielt und die Bäume im Garten ihre ersten Blüten zeigten, hielt der Umzugswagen vor dem Haus. Als alles verladen war, gingen Mutter und Tochter noch einmal durch alle Räume um Abschied zu nehmen. Heike strich ab und zu liebevoll mit der Hand über die Wände. Als sie in der Küche angekommen waren, hielt sie plötzlich inne. Noch  einmal berührte sie die gleiche Stelle, diesmal etwas intensiver. „Mutti, schau, hier ist was“, rief sie ihrer Mutter zu. „Was soll da schon sein? Früher hat man nicht so exakt gearbeitet. Wird eine leichte Unebenheit im Mauerwerk sein“, gab sie zur Antwort, kam aber noch einmal zurück um sich die Stelle genauer zu betrachten, sie die Tochter ihr zeigte. Jetzt strich auch sie mit der Hand darüber. Da war etwas, das spürte sie nun auch. Mit einem Messer lösten sie vorsichtig die Tapete und entdeckten eine kleine Tür, nicht größer als ein mittleres Schneidebrett. Mit einem Dietrich öffneten sie das Schloss und standen vor alten Schriften. Unterschiedliche Zettel und Hefte waren hier sorgfältig übereinander gestapelt. Behutsam nahm Elke den Stapel an Schriften aus dem Fach. Ein Jubelschrei entfuhr ihr, als sie die Handschrift ihrer Mutter erkannte. Wenig später wurde beiden Frauen klar, dass waren die gesuchten Rezepte der Großmutter. Elke hielt den Stapel der Schriften an sich gedrückt. ‚Danke Mutter, für diesen letzten Gruß‘, dachte sie bei sich. Als daheim die Möbel wohnlich gestellt und das neue Zimmer eingerichtet war, machten sich die beiden Frauen in aller Ruhe daran die Rezepte zu lesen und zu sortieren. Nichts hielt sie davon ab in den nächsten Wochen, trotz sommerlicher Hitze, Lebkuchen zu backen. Immerhin mussten sie die Rezepte ausprobieren um sie zur Adventszeit ihren Gästen anzubieten. Jedes einzelne Rezept wurde fein sortiert in eine Kartei eingegeben. Als sich die Frauen für die schmackhaftesten zehn Sorgen entschieden hatten, meldeten sie diese zum Patent an.

Als dann im Spätherbst Großmutters Lebkuchen und Weihnachtstorten im Kaffee angeboten wurden, riss der Ansturm der Gäste nicht ab. Schnell hatte sich herum gesprochen, dass es im Kaffee „Großmutters Schatzkästchen“ besondere Naschereien für den Gaumen gab. Als die beiden Frauen am Heiligen Abend zur Christmesse gingen, dankten sie Gott für das Geschenk, das sie im letzten Moment in ihrem alten Haus entdecken durften. Voller Zuversicht blickten sie eine Woche später ins neue Jahr.

© ChTelker

*mit freundlicher Genehmigung der Autorin - Zur Internetseite von Christina Telker

Peter Wendlandt

Vorweihnachtliche Impressionen oder
Alle Jahre wieder derselbe Schmarrn

Immer wieder zur selben Jahreszeit fühle ich mich auf besondere Art genervt. Dann sind die Sommerferien zu Ende, die Plagen werden wieder in die Schulen entsorgt. In den Supermärkten entdecke ich bereits erste Weihnachtsmänner, Lebkuchen und sogar Christstollen, dabei traue ich meinen Augen einmal mehr nicht, obwohl ich es hätte wissen müssen. Wir haben hochsommerliche Temperaturen, gehen in Shirts und kurzen Hosen auf die Straße, schwitzen am Arbeitsplatz, quetschen uns in Eisdielen und stürzen uns letzte Male in Freibädern ins kühle Nass, um uns zu erfrischen. In den Supermärkten aber wird bereits die alljährliche Kollektion an Weihnachtsleckereien aufgefahren, die eigentlich noch keine Sau sehen will, aber trotzdem gedankenlos gekauft und konsumiert wird. Es schmeckt ja auch so fantastisch gut! Gut, das Zeug wurde bereits ein Jahr zuvor produziert und muss endlich aufgebraucht werden, aber das sieht man nicht so verbissen und will auch niemand wissen, obwohl es sich auch nicht um Produkte handelt, die mit Bio nichts zu tun haben. Auch wenn ich wieder versehentlich ein paar Nikoläuse aus dem Regal auf den Boden fallen lasse, interessiert das niemand. Das ist Ausschuss, Bruchschokolade, dieser Verlust wird mit Waren anderer Kunde an der Kasse heimlich und ganz selbstverständlich verrechnet. An dieser Stelle kann ich auch meine Schadenfreude nicht verhehlen über eine Bekannte, die für eine Handvoll alter Lebkuchenplätzchen stolze sieben Euro bezahlt und das erst zuhause gemerkt hat. Egal, gegessen wird es trotzdem, und wenn es einen zerreißt! Da sind schon ganz andere Dinge im Magen gelandet, ohne zu wissen, was man in Wirklichkeit zu sich genommen hat, und sogar unfallfrei verarbeitet. Aber solange sich diese Dinge nicht bewegen und binnen weniger Minuten den Weg zum Hinterausgang gefunden haben, ist alles in Ordnung. Auch bei Weihnachtsschokolade und Weihnachtsgebäck.

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Die Supermärkte geben jedes Jahr den Startschuss für den letzten Event des Jahres, von dem sich alle gerne gefangen nehmen und abzocken lassen. Diese Hinweise auf das Jahresende kommen schleichend und unterschwellig und stoßen mir ebenfalls immer sauer auf. Von nun an wird gebettelt. Plötzlich versuchen sich Vereine, von denen man das ganze Jahr über nichts gehört hat, auf Straßenfesten im Verkauf von Backwerk, Grillgut und Handarbeiten, sogar Adventsschmuck, selbstverständlich zugunsten weihnachtlicher Good-Will-Aktionen und nicht für die eigene Kasse, woran ich eisern glaube, was aber immer heftig bestritten wird. Auch wird wieder an die Spendenbereitschaft appelliert zugunsten des Elends armer Menschen bei uns und auf der ganzen Welt, was eigentlich in den Verantwortungsbereich der Politik fällt, die unsere gewählten Volksvertreter aber aus Eigennutz nicht geregelt bekommen. Straßenmusiker nerven in Fußgängerzonen mit falsch gespielten weihnachtlichen Melodien und Folklore aus ihrer Heimat mit Gitarre, Trompete, Panflöte und Kassettenrecorder, Drehorgelspieler kurbeln sich einen Wolf und grinsen dümmlich in die Gegend, ebenfalls in der Hoffnung auf einen Obolus für ihre schwere Arbeit. Straßenfeste laden ein zum Alkoholkonsum, was besonders Papa erfreut und jugendliche Kampftrinker, um wenigstens vorübergehend den Alkopops zu entsagen, aber alles erträglicher erscheinen zu lassen. Und manche bekannten Gesichter erlebt man plötzlich auf eine ganz andere, vor allem beschwingte Weise.

Auch knien vermehrt herbei gekarrte Leute am Boden und hoffen ohne Zutun mit Mitleid heischenden Blicken auf milde Gaben. Würden sie wenigstens vor Bankgebäuden knien, hätte dies eine gewisse aktuelle Note und ich würde verständnisvoll lächeln und nicken. Aber was ich wirklich davon zu halten habe, habe ich eines Tages erlebt. Von wegen Spende, von wegen milde Gabe! Ich wollte einen minimalen Geldbetrag spenden, aber da ich gerade kein Kleingeld hatte, dachte ich, wechsle ich ihm einen Fünfeuroschein. Wäre der Mann ein Pitbull gewesen, er hätte mich garantiert in der Luft zerrissen. Ein anderer Mann hielt ein gemaltes Papier hoch, auf dem ungelenk geschrieben stand „Hunger und keine Arbeit“. Dieser sah sich alsbald genötigt, verärgert seinen Standort zu wechseln. Ein älterer Mann wollte ihm erklären, wo sich das Arbeitsamt befindet, was ihn aber partout nicht interessierte, ich hatte ihm großzügig eine Leberkässemmel gekauft, um sein gröbste Magenknurren abzustellen. Der Mann hatte sich dadurch wieder provoziert gefühlt, in einer mir  unverständlichen Sprache geschimpft und mir die leckere Semmel hinterher geworfen. Dann waren da noch der Mann mit der Sammelbüchse und sein Esel, die gemeinsam ums Überleben eines kleinen Zirkus kämpften. Da ich klar auf der Seite des Tieres stand, spendierte ich ihm uneigennützig eine Mohrrübe. Der Vierbeiner war sichtlich erfreut darüber und ich überzeugt, in diesem Moment einen Freund gewonnen zu haben. Beim despektierlichen Kommentar seines zweibeinigen Begleiters aber stellte ich die Ohren auf Durchzug. Er sah auch ganz danach aus, als säße bei ihm das Messer locker.

Vor dem großen Weihnachtsfinale wird sich auch vermehrt die Zeitung zunutze gemacht. Man hat plötzlich Angst, während der Feiertage allein zu sein, man möchte nicht gern mit der Familie feiern, weil das immer so ätzend und nach Schema F abläuft, das Fest der Liebe einmal mehr im alkoholbedingten Streit endet und die Psychiatrien Sonderschichten fahren. Kontaktanzeigen sind auch nicht immer das Wahre, meist bekommt man nur verzweifelten Ausschuss ab, gebraucht und abgelegt. Eine schnelle Nummer ist oft das Einzige, das unterm Strich herauskommt. Was gibt die Zeitung sonst noch her? Vorankündigungen. Weihnachtsschlussverkäufe überteuerter und überflüssiger Waren, die die Welt nicht braucht, Bitten der Gastronomie um Reservierungen für überteuerte Weihnachtsdinners, bei denen man nicht satt wird, geschossenes Wild der Jägervereinigungen inklusive Überraschungsschrotkugeln, dass auch der Zahnarzt seinen Reibach macht, Künstlermärkte, an denen fleißige Hausfrauen, Vereine und Hobbykünstler ihre Ganzjahresbasteleien zum Verkauf anbieten und kaum etwas daran verdienen. Auch wird man plötzlich auf Geschäfte aufmerksam, von denen man nie etwas gehört hatte, die nun für immer schließen und ihre Waren verramschen. Auch das ist eine Vorweihnachtszeit, auf die ich liebend gerne verzichten möchte.   

Dann beginnen die Weihnachtsmärkte, bereits im Sommer geplant und oft genug schon auf Ende November terminiert. Da interessiert nicht, dass noch der Totensonntag im Kalender steht. Die einen singen auf dem Friedhof „Ich hatte einen Kameraden“, die anderen auf dem Marktplatz „Ihr Kinderlein kommet“. Das beißt sich zwar ganz entschieden, Minderheiten regen sich darüber auch auf, sie werden aber des schnöden Mammons wegen großzügig ignoriert. Glaubt man an Reinkarnation, macht das aber Sinn. Den Vater und die geselligen Leute freut es, kommen sie doch endlich von den üblichen Drogen wie Bier, Schnaps, Prosecco und Wein weg und erholen sich bei Glühwein oder Glühpunsch. Das wiederum hat auch den Vorteil, dass bei entsprechender Kälte der Organismus gut durchgespült wird und Toiletten zu beliebten Anziehungspunkten werden, wie nach verkorksten Prostata-Operationen. Das hat aber auch den Vorteil, dass der Konsument meist gut gelaunt ist, für Stimmung sorgt oder sich einfach ins Bett legt und die Klappe hält, um die Wirkung des übermäßig konsumierten gepanschten Fusels abzubauen. Ansonsten schlendert man wie immer gelangweilt durch die Weihnachtsmärkte, betrachtet desinteressiert die Auslagen der Buden und Stände mit der unumstößlichen Gewissheit, dass man den Ramsch nicht braucht und der Kommerz das Weihnachtsfeeling richtig erschlägt. Schade, dass man seine Freizeit nicht besser zu nützen weiß.

Dann spielt natürlich auch das Klima eine nicht unwesentliche Rolle. Bricht die Adventszeit an, wünscht man sich Schnee, weil das einfach irgendwie dazugehört. Was bekommen wir stattdessen? Kälte, mittels der Ohren und Nase abfallen, Regen, Glatteis, Nebel, ausgefallene Heizungen und alles, auf das man bestimmt verzichten kann. Nach wenigen Tagen ist man genervt und wünscht sich Sommer, Sonne, schönes Wetter. Falls es überhaupt schneit, dann nur in höheren Lagen und die Schneedecke reicht nicht mal zum Skifahren. Egal, dann hat man eben mehr Zeit für ultimativen Weihnachtsplanungen und -vorbereitungen. Essen wir diesmal etwas Besonderes oder traditionell wieder dasselbe? Wie viele Kekssorten wollen wir backen, wie viele werden wieder aus Desinteresse verschenkt oder letztlich weggeworfen? Produzieren wir sie, wenn alle außer Haus sind oder nachts, dass sie nicht gleich weggefuttert werden, oder darf beziehungsweise muss die Familie mitarbeiten? Wer wird an Heiligabend eingeladen und warum? Wie sieht es mit dem Kirchgang aus, nachdem es vergangenes Jahr zum großen Flop gekommen war und die Familie während der Mitternachtsmesse alkoholbeseelt zu schnarchen begonnen hatte? Und schließlich die Gretchenfrage: Man möchte diesmal endlich konsequent dem jährlichen Kaufrausch entsagen, aber was könnte man trotzdem als Kleinigkeit schenken und wie werden die Beschenkten darauf reagieren? Ich habe einen kleinen Weihnachtsratgeber beherzigt. Manchmal beiße ich mir dabei auf die Zunge, manchmal komme ich nicht daran vorbei zu artikulieren.

Was ich am liebsten sagen würde: „Oh Mann, schon wieder Socken.“ Da sage ich stattdessen: „Ui fein, meine letzten zehn Paar sind gerade erst alle kaputt gegangen.“ Oder: „Noch mehr Plätzchen? Wer soll die denn alle essen?“ Ich sage lieber: „Toll Schatz, ich finde eh’, dass du etwas schmal um die Hüften geworden bist.“ Was ich auch gerne sagen würde ist: „Können deine Eltern nicht mal alleine Weihnachten feiern? Zwei Fresser mehr reißen ein großes Loch in die Kasse.“ Was aber sage ich um des lieben Friedens Willen? „Prima, die zwei hab’ ich schon seit Nikolaus nicht mehr gesehen.“ Was mir ebenfalls immer auf der Zunge liegt, wenn der Magen knurrt und das Mittagessen steht zeitlich noch nicht fest: „Was soll das heißen: Der Braten ist noch nicht durch? Ist schon wieder etwas schief gelaufen?“ Was sage ich stattdessen? „Macht nichts, Schatz. Die Beilagen ess’ ich sowieso am liebsten.“ Was ich aber am Allerliebsten sagen würde ist „Scheiß Kommerz! Scheiß Weihnachten! Scheiß Langeweile!“ Aber was sage ich Idiot? „Frohes Fest!“

Diese und ähnliche Sprüche klopfe ich schließlich in trauter Runde, um Stimmung in die steife Versammlung hineinzubringen. Zugegeben, sie werden nicht immer verstanden oder ich werde dafür getadelt, aber mir ist das egal. Ich brauche das einfach. Nur so ertrage ich die Weihnachtszeit und das ganze Brimborium, den die Menschen damit veranstalten. Und falls es tatsächlich einen Himmel gibt, hat man sich bestimmt längst mit Grausen abgewandt, davon bin ich felsenfest überzeugt. Denn irgendwann ist den vergangenen 2000 Jahren hundertprozentig etwas falsch gelaufen. Halleluja, gelobt sei der Herr!

(c)Peter Wendlandt

*ich danke Peter Wendlandt für die Bereitstellung dieser Geschichte.
Informationen zum Autor und weitere Texte finden sich auf seiner Autoren-Homepage.

Weihnachtlich geschmückte Futterkrippe im Wald
Bild: Ulli / dreamies.de

Barbara Acksteiner
Damals ...

Es war Weihnachtszeit, ich wollte etwas ausspannen, Skilaufen, lange Spaziergänge machen und gemütliche Stunden am Kamin verbringen. All das versprach ich mir von einem Kurzurlaub, im Waldhaus, in Torfhaus. Den Tag meiner Anreise werde ich nie vergessen.

Draußen lag viel Schnee und es war bitterkalt. Ich hatte mir einen Pferdeschlitten gemietet, der mich dort hinbringen sollte. Über meine Knie wurde ein warmes Lammfell gelegt und los ging es. Unaufhörlich fiel der Schnee in dichten Flocken herab zur Erde. Alles war in eine weiße Pracht gehüllt. Jeder Baum, jeder Strauch war mit einer dicken Schneepracht bedeckt. Die Natur sah wie gemalt aus. Es erinnerte mich an meine Kindheit. In Gedanken hörte ich die Stimme meiner Mutter. Sie las mir oft Wintermärchen vor und ich ertappte mich dabei, dass ich mir in meiner Phantasie die winterliche Landschaft stets so vorgestellt hatte. Ich genoss die weiße, weihnachtliche Idylle des Winterwaldes.

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Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als eines der Pferde zu wiehern anfing. Der Kutscher schnallte mit der Zunge und ich hörte ihn sagen: „Ruhig, mein Alter, ganz ruhig!“

Die Pferde trabten unermüdlich weiter durch den Wald. Ihre Hufe und die Kufen des Schlittens hinterließen tiefe Spuren im Schnee. Die Zeit verflog. Es wurde dunkel. Der Mond schien durch die Tannen und ich hatte das Gefühl, er lächelte mir zu. Oben am Himmelszelt glitzerten abertausende von Sternchen. Sie sahen wie Diamanten aus und ihr heller Schein führte uns durch die Nacht.

Stunden später war ich in Torfhaus angekommen. Mit knallroten Wangen, durchgefroren, aber glücklich entstieg ich dem Schlitten und verabschiedete mich.

Die Herbergseltern begrüßten mich herzlich. Nachdem ich ausgepackt hatte, ging ich ins Kaminzimmer. Das Feuer im Kamin knisterte und in einer Kiepe lagen Scheite Buchenholz. Der Raum strahlte eine gemütliche Atmosphäre aus. Ich setzte mich an einen Tisch und bestellte mir heißen Tee mit Zitrone, dazu ein Schmalzbrot mit Harzkäse. Meine Wangen fingen an zu glühen und eine wohlige Wärme durchströmte meinen Körper. Langsam kroch Müdigkeit in mir hoch.

Ich begab mich in mein Zimmer. Etwas später sank ich zufrieden in mein Bett, zog mir die Daunendecke über die Ohren und kuschelte mich ein. Meine Augenlider wurden schwer, fielen zu und ich schlief tief und fest ein.

Der nächste Morgen begann wunderschön. Die Sonne schien, kein Wölkchen trübte den Himmel und der Schnee funkelte im Sonnenschein. Ich trat ans Fenster. Ein leichter Wind wehte und die Tannenspitzen bewegten sich lautlos hin und her. Ich stand nur da und war fasziniert. Gerade wollte ich den Platz am Fenster verlassen, als ich auf der Lichtung Rehe und einen Hirsch, einen gewaltigen Zwölfender, erblickte. Der Schnee lag hoch und obwohl die schlanken Beinchen im Schnee versanken, kamen sie mit aufmerksam aufgerichteten Ohren langsam näher. Sie waren nicht mehr weit von Waldhaus entfernt, als ich ein Rufen vernahm: “Kommt, kommt her!“

Der Herbergsvater ging behutsam auf das scheue Wild zu. Jetzt sah ich, dass hier Futterkrippen standen und diese für das Rotwild mit leckeren Kastanien gefüllt wurden. Für einen Augenblick sah ich dem friedlichen Treiben noch zu, dann entfernte ich mich lautlos vom Fenster.

Nachdem ich gewaschen, gekämmt und angezogen war, ging ich frühstücken. Der Frühstücksraum war weihnachtlich hergerichtet. Es roch nach Kaffee, frischen Brötchen und Tannengrün. Auf jedem Tisch stad ein Adventsgesteck und die Kerzen waren angezündet,

Nachdem ich gefrühstückt hatte, zog ich meine Winterjacke an, setzte die Mütze auf, schlug mir den selbstgestrickten Schal um den Hals, stopfte die Hände in die Fäustlinge und verließ meine Unterkunft. Ich wollte die nähere Umgebung kennenlernen.

Mein Weg führte mich auf einem kleinen Pfad, der tief in den verschneiten Wald führte. Die Fichten, Tannen und Kiefern trugen eine dicke Schneehaube. In Gedanken versunken stapfte ich durch den Schnee, der laut unter meinen Füßen knirschte. Es war empfindlich frostig, obwohl die Sonne vom Himmel strahlte. Ich hatte ein eisiges Kinn und das Gefühl, als würden an meiner Nasenspitze Eistropfen bammeln. So zog ich mir mit klammen Fingern die Mütze noch tiefer in die Stirn und mit dem Schal vermummte ich mein Kinn, das sich durch die Kälte taub anfühlte. Meine eiskalten Hände verstaute ich samt Fäustlingen in den Jackentaschen und stiefelte weiter.

Am frühen Morgen herrschte reges Treiben im Wald. So kreuzten Rehe, Hirsche, Häschen, Fuchs und ein Waschbär meinen Weg und über mir in den Tannen saßen, sangen oder pfiffen oder flogen Eichelhäher, Kreuzschnabel, Dompfaff und Meisen. An einem Baumstamm hing ein Buntspecht und sein prächtiges Gefieder wirkte in der weißen Landschaft paradiesisch. Die Welt um mich herum schien den Atem anzuhalten, so friedlich war es hier. Keine Autos, kein Lärm, keine Maschinen, nur das Zwitschern der vielen Vögel begleitete mich auf meinem Waldspaziergang.

Damals … an Heiligabend.


*mit freundlicher Genehmigung der Autorin - zur Autorenseite von Barbara Acksteiner

*mit freundlicher Genehmigung der Autorin - Zur Autorenseite von Barbara Acksteiner

Elke Bräunling
Herr Meier und der Zauber zwischen den Jahren

Wie jeden Nachmittag traf Anton hinten am Gartenzaun Nachbar Meier. Der wartete schon auf ihn, als er über die Wiese zur Gartengrenze trottete, so wie er hier immer auf ihn wartete.
„Na, Anton!“, rief er ihm entgegen. „Was gibt es Neues?“
„Etwas Doofes und etwas Tolles“, antwortete Anton.
„Lass mich raten!“ Herr Meier wiegte den Kopf hin und her, überlegte. „Doof ist, dass das Weihnachtsfest so schnell vorüber gegangen ist und toll ist, dass wir bald Silvester und das neue Jahr feiern.“
Hm. Treffer! Anton war verblüfft. „Stimmt. Aber woher weißt du das, Onkel Meier?“, fragte er.
„Ich war schließlich auch einmal so alt wie du und habe in diesen Tagen zwischen den Jahren genau das gleiche gedacht.“ Herr Meier grinste. „Und soll ich dir etwas verraten? Heute denke ich noch genau so. Es ist die Magie dieser Zeit.“

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„Magie?“ Anton staunte ein wenig. Was wusste der alte Nachbar von Magie? Hatte er auch Zaubererbücher gelesen?
Herr Meier nickte. „Es ist ein bisschen wie ein Zauber. Man will das Alte festhalten und gleichzeitig auch das Neue haben. Zwischen den Jahren sagt man zum alten Jahr leise ‚Adieu‘ und dann kommt immer wieder so etwas wie Abschiedsschmerz. Da hilft nur das Freuen auf all die schönen Dinge, die das neue Jahr bereithält oder die man für die nächsten Monate geplant hat.“
„Den Skiurlaub und Fastnacht und dann mein Geburtstag.“ Antons Augen leuchteten auf. Was für viele schöne Dinge!
„Ostern und Ferien und Gartenzeiten und Blumenfreude“, fuhr Nachbar Meier fort.
„Schwimmen, Sommerfeste und die Ferien am Meer“, ergänzte Anton.
„Grillpartys“, fiel Herr Meier ein, „und Erntefeste und süße Beeren und helle Nächte.“
„Später dann der Jahrmarkt und das Weinlesefest“, sagte Anton. „Dann Halloween, Laternenzeit, Advent, Nikolaus und dann ist schon wieder Weihnachten.“
„Oh je.“ Herr Meier schmunzelte. „Und dann … dann …“
„Dann sitzen wir schon wieder zwischen den Jahren und wissen nicht, ob wir traurig sind oder ob wir uns freuen. Aufs nächste Jahr schon wieder. Ist das nicht verrückt?“ Anton lachte.
„Das Leben ist verrückt“, sagte Herr Meier. „So einfach ist das.“
Ja, so einfach.

© Elke Bräunling

*mit freundlicher Genehmigung der Autorin - zur Autorenseite von Elke Bräunling

Barbara Pronnet
Der Weihnachtsgewinn

 „Bin gleich wieder da Schatz, ich hol nur schnell die Fernsehzeitung und wünsche den Lehmanns schöne Feiertage“. Ich winkte meinem Mann in der Küche zu, der schon den Lachs für heute  Abend zubereitete. Ich schnappte mir meinen Mantel und die Hundeleine und schnalzte unserer Mischlingshündin Lara zu. Sie lief schwanzwedelnd vor mir ins Treppenhaus und wir verließen gemeinsam das Haus.
Ich liebte diese Stimmung. Es war Heiliger Abend, früher Nachmittag und es war alles erledigt. Wohnung geputzt, der Baum geschmückt. Mein Mann und ich würden mit Lara einen gemütlichen Weihnachtsabend und ruhige Feiertage verbringen. Vielleicht ein paar Freunde treffen, aber sonst hatten wir Urlaub und nichts vor bis Sylvester.
Es hatte etwas geschneit und es lag ein wunderbarer Zauber in der Luft.

Ich wollte noch schnell in das kleine Schreibwarengeschäft gehen und ein wenig mit dem alten Ehepaar Lehmann plaudern. Die beiden standen seit Jahrzenten in ihrem kleinen Laden und waren mittlerweile Treffpunkt für jung und alt in unserem Viertel. Eigentlich eine Rarität heutzutage.

Ich befahl Lara schön brav draußen zu warten und drückte die kleine Ladentüre auf. Mich umfing gleich der bekannte Geruch nach Papier, Süßigkeiten und Zimtaroma.

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„Grüße sie Frau Beck, schön dass sie noch vorbei kommen.“ freute sich Frau Lehmann und strahlte mich an. Sie war eine kleine rundliche Frau mit grauen Haaren, Brille und einem herzlichen Lächeln im faltigen Gesicht. Ihr Mann saß hinter der Theke auf einen Stuhl. Hr. Lehmann war dünn, groß und sein krummer Rücken machte ihm ständig zu schaffen und er wurde immer mehr dement. Eine große Hilfe war er seiner Frau schon lange nicht mehr und er sprach auch kaum mehr ein Wort. Es war einfach nur traurig.
Zwei alte Menschen die schon längst im Ruhestand sein sollten, es sich aber nicht leisten konnten obwohl sie mehr als vierzig Jahre geschuftet hatten, ging mir durch den Kopf. Mein Mann und ich, alle in der Umgebung wussten, dass die beiden von ihrer kleinen Rente nicht leben konnten und deshalb das Geschäft nicht aufgaben. Ich hatte die beiden schon lange in mein Herz geschlossen.
Ich lächelte zurück: „Ich wünsche ihnen beiden wunderbare Weihnachten und hoffentlich geruhsame Feiertage“ sagte ich fröhlich. Frau Lehmann drückte mir schon meine Fernsehzeitung in die Hand. „Das wünschen wir ihnen auch und genießen sie ihre Feiertage, gell Klaus?“ rief die alte Dame ihrem Mann zu. Der nickte und winkte zu mir rüber. Ich zahlte meine Zeitung und da sah ich eine kleine Lostrommel auf dem Tresen stehen. Ein paar Lose waren noch drin. „Ich nehm mir noch eins, vielleicht ist ja noch eine Weihnachtsüberraschung drin.“ Ich zog ein Los raus.“Ich mache es heute unter dem Christbaum auf, dann hab ich noch ein Geschenk auf was ich mich freuen kann“. Ich wollte zahlen, aber Frau Lehmann legte ihre kleine Hand auf meine. „Das ist mein Geschenk für ihre Treue alle die Jahre und viel Glück“. Sie freute sich so, dass ich dankend annahm. Wir umarmten uns noch und ich verließ mit vielen Winken den kleinen Laden.

Schnell liefen Lara und ich nach Hause und dann wurde es doch noch etwas hektisch mit Kochen, Umziehen und Kerzen anzünden. Nach einem wunderbaren Mahl setzten wir uns zum Christbaum und bescherten uns. Ralf und ich schenkten uns nur Kleinigkeiten und Lara bekam einen herrlichen Beißknochen. Plötzlich fiel mir das Los ein. Ich lief in die Garderobe und zog es aus der Manteltasche.

 Das hat mir Frau Lehmann heute geschenkt. Sie sah so glücklich aus, dass ich nicht nein sagen konnte.“ erzählte ich Ralf. „Dann mach es auf, deine Niete“ lachte er. Ich riss es auf und starrte auf den Beleg.
Ich hatte 5.000 Euro gewonnen. „Das gibt es doch nicht“, sagte ich völlig baff. Mir wurde heiß und kalt und ich fühlte mich plötzlich furchtbar. Ralf und ich waren gesegnet. Wir hatten beide unsere Berufe, immer gespart, eigene Wohnung, was auf der hohen Kante und geerbt. Es ging uns mehr als gut.

„Jetzt hast du ein schlechtes Gewissen weil gerade du so viel Geld gewonnen hast und nicht irgendein armes Geschöpf, stimmt‘s mein Schatz?“ Mein Mann verstand mich natürlich sofort.
„Ja und ich werde den Gewinn auch nicht behalten. Ich weiß auch schon wem ich es gebe“ sagte ich bestimmt. „Dann lass uns doch noch einen kleinen Spaziergang machen?“ grinste mein Mann und ich gab ihm einen dicken Kuss. Wir waren halt doch vom selben Stern.

 Zusammen mit Lara stapften wir durch die stille Winternacht und liefen direkt zum kleinen Schreibladen der Lehmanns. Dahinter wohnte das alte Ehepaar in einer kleinen Einliegerwohnung.  Es brannte Licht. Ich nahm das goldene Kuvert, in welchem das Glückslos lag und legte es auf die Fußmatte und klingelte. Wir rannten Hand in Hand nach Hause, Lara tollte vor uns her und wir freuten uns wie kleine Kinder.

Wir wussten natürlich, dass die Lehmanns das Geschenk bestimmt nicht annehmen würden.

Wir waren vorbereitet. Am nächsten Vormittag des ersten Weihnachtsfeiertages klingelte es bei uns und ich sah im Spion die beiden alten Leute stehen. Ich öffnete und musste einfach lachen. „Bitte kommen sie rein, wir haben sie schon erwartet“ überfiel ich die beiden und ich führte sie ins Wohnzimmer zum gedeckten Tisch. Mein Mann begrüßte sie herzlich und wir setzten uns alle an den Esstisch.
Frau Lehmann hielt zitternd das Glücklos in der Hand.

„Bitte lassen sie mich was sagen“ fing ich gleich an, mein Herz klopfte aufgeregt.“ Sie kommen um das Los zurück zu geben. Sie werden sagen, dass es mein Gewinn ist und es ist ihnen unangenehm und peinlich, aber lassen sie mich ausreden. Wir haben sofort entschieden, dass niemand anderer als sie beide den Gewinn verdient haben, auch wenn sie mir das Los nicht geschenkt hätten, hätte ich mich so entschieden. Wir wissen, dass sie noch nie im Urlaub waren, krank im Laden stehen, täglich Schmerzen haben und auf vieles verzichten. Sie beide haben all die Jahre so viel entbehrt und waren trotzdem tagtäglich freundlich, hilfsbereit und großzügig zu uns allen und es ist uns ein Herzenswunsch ihnen das Los zu überreichen. Bitte nehmen sie es an, machen sie uns bitte die Freude. Es ist doch Weihnachten“.

Frau Lehmann stand auf und kam zu mir. „ Du gutes Kind“, sagte die alte Dame und streichelte mir die Wange. „Was sollen wir sagen, uns fehlen die Worte. Wir können nur danke sagen und werden dieses mehr als großzügige Weihnachtsgeschenk sinnvoll einsetzen, nicht war Klaus? Wir kaufen dir als erstes einen bequemen Fernsehsessel“. Hr. Lehmann nickte eifrig, er hatte sicher nicht alles verstanden aber ihm liefen die Tränen über die eingefallenen Wangen und er sagte plötzlich leise „Danke“.
Ich lief zu ihm und drückte ihn ganz fest an mich.

Wir verbrachten einen wunderbaren Feiertag mit den beiden und ich fühlte eine unendliche Freude in mir, denn jemanden etwas schenken ist das größte Glück besonders zur Weihnachtszeit.

Ich hatte wirklich das große Los gezogen

 

*mit freundlicher Genehmigung der Autorin - zur Autorenseite von Barbara Pronnet

Antje Steffen
Snowy, der Weihnachtsschneemann

Snowy blickte sich um. Natürlich freute er sich darüber, ein Schneemann im Weihnachtsland zu sein. Etwas stimmte den kleinen Schneemann allerdings traurig. Weil er gerade drei Wochen war, durfte er bei den Vorbereitungen für das Weihnachtsfest nicht helfen. Wäre er nur früher auf die Welt gekommen. Zwei Wochen hätten gereicht. Schneemänner durften dem Weihnachtsmann und seinen Elfen helfen, wenn sie fünf Wochen waren. Aber Snowy war zu jung und deshalb konnte er das hektische Treiben nur beobachten. Wie gern wäre er ein Weihnachtsschneemann gewesen wie Curly. Curly war Snowys bester Freund und konnte mit seinen fünfeinhalb Wochen dem Weihnachtsmann helfen.

Während Snowy dastand und die anderen Schneemänner und die Elfen beobachtete, kam Curly vorbei. Er rief:
„Hey, Snowy. Hast du Lust, nachher mit mir Schlittschuhlaufen zu gehen?“
Normalerweise lief Snowy gerne mit den anderen Schlittschuh, heute mochte er nicht. Er antwortete:
„Ach nein, ich glaube, lieber nicht.“
Curly zuckte mit den Schultern.
„Dann nicht, aber solltest du Lust bekommen, kannst du nachkommen.“
Snowy nickte. Er würde nicht zu den anderen gehen. Bestimmt erzählten sie die ganze Zeit, wie toll es war, für den Weihnachtsmann zu arbeiten. Als Curly weitergegangen war, wischte Snowy sich verstohlen eine Träne weg. Niemand sollte wissen, wie traurig er war, dass er kein Helfer sein durfte.
 

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Bald beendeten die Schneemänner und Elfen ihre Arbeit. Für heute war Schluss und alle machten Feierabend. Die älteren Elfen und Schneemänner gingen nach Hause, um es sich gemütlich zu machen. Die Jüngeren wollten Spaß haben. Sie gingen zum See, um Schlittschuh zu laufen oder an den Hang zum Rodeln und Skifahren. Einen Moment überlegte Snowy, ob er nicht doch Curlys Einladung annehmen sollte. Er hörte das Lachen und die fröhlichen Stimmen und wäre gern dabei gewesen. Dann dachte er daran, worüber alle lachten und beschloss, lieber einen Spaziergang zu machen. Snowy blickte sich um und machte sich auf den Weg in den nahen Wald. Dort würde er seine Ruhe haben und nicht ständig daran erinnert werden, dass er dem Weihnachtsmann nicht helfen durfte.

Während Snowy durch den Wald wanderte, dachte er darüber nach, wie es weitergehen sollte. Sollte er das Weihnachtsland verlassen? Aber, wo konnte ein Schneemann hin? Nein, er würde hier bleiben müssen. In Gedanken versunken, bemerkte Snowy fast den alten Elfen nicht, der ein paar Meter vor ihm auf dem Boden lag. Als Snowy die Gestalt entdeckte, lief er schnell zu ihr. Sofort erkannte Snowy, dass es Eliah war, der dort lag. Snowy beugte sich über den Elfen, um nachzusehen, was mit ihm los war. Eliahs Gesicht war schmerzverzerrt. Es hellte sich etwas auf, als der Elf Snowy erkannte.
„Snowy! Gut, dass du kommst. Ich bin über eine Baumwurzel gefallen und kann nicht mehr aufstehen.“
Snowy sah sich die Sache genauer an. Eliahs rechtes Bein stand in einem unnatürlichen Winkel ab. Der Alte hatte es sich bei dem Sturz gebrochen. Schnell überlegte Snowy, wie er am Besten helfen konnte. Er blickte Eliah ins Gesicht.
„Wie lange liegst du hier?“
„Ich weiß nicht. Ich bin gleich nach Arbeitsende losgegangen. Ich friere, kannst du mich wärmen?“
Snowy dachte nach. Wenn Eliah hier noch lange liegen blieb, würde er erfrieren. Snowy war zwar erst drei Wochen, doch er hatte bereits gelernt, zu helfen. Er sagte:
„Ich kann dir im Moment nur meinen Schal geben. Er ist groß, so dass ich dich darin einwickeln kann. Ich werde dein Bein verarzten und dich nach Hause bringen.“
Dankbar lächelte Eliah den kleinen Schneemann an, während dieser begann, ihn in den Schal zu hüllen. Als das erledigt war, sah Snowy sich suchend um. Bald hatte er passende Knüppel gefunden, um damit das gebrochene Bein zu schienen. Zum Glück hatte Eliah ein Seil. Damit konnte Snowy die Knüppel befestigen. Snowy sah Eliah an.
„Ich werde dir jetzt wehtun müssen, sonst kann ich dein Bein nicht richten.“
Eliah nickte. Er biss die Zähne zusammen und versuchte, die Schmerzen auszuhalten. Snowy arbeitete zügig. Er musste Eliah ins Dorf bringen, damit dieser ins Warme kam und vom Arzt behandelt werden konnte.

Bald war es geschafft. Snowy hatte Eliahs Bein gerade gemacht und mit den Knüppeln dafür gesorgt, dass es so blieb. Jetzt suchte er nach einer Möglichkeit, den Elfen nach Hause zu bringen. Da er nichts fand, was ihm helfen konnte, lud Snowy sich Eliah auf den Rücken. Der Elf war nicht schwer, aber geschwächt und Snowy musste vorsichtig sein, damit Eliah ihm nicht herunter fiel. Langsam machte der Schneemann sich auf den Weg ins Weihnachtsdorf. Oft musste er Pause machen, doch er gab nicht auf.

Eine halbe Stunde später erreichten die zwei die Häuser. Snowy klopfte an die Tür des ersten Hauses. Sera, die Bewohnerin, öffnete. Schnell erkannte sie, was geschehen war. Sie holte Snowy und Eliah ins Haus und half dem Schneemann, den Elfen auf das Sofa zu betten. Sie sagte:
„Ruh dich aus, Snowy. Ich werde den Doktor holen.“
Snowy nickte, zu mehr war er nicht in der Lage. Er ließ sich neben Eliah nieder und wartete auf Sera und den Doktor.

Auf dem Weg zum Doktor traf Sera den Weihnachtsmann. Dieser bemerkte, wie aufgeregt, die Elfe war. Er fragte:
„Was ist mir dir geschehen, Sera? Warum bist du so aufgeregt?“
Sera berichtete ihm schnell was geschehen war. Der Weihnachtsmann hörte der Elfenfrau aufmerksam zu und begleitete diese zum Doktor. Gemeinsam machten die drei sich auf den Weg zu Seras Haus.

Snowy hatte Eliah nicht eine Minute aus den Augen gelassen. Obwohl er müde war, gab er auf den Elfen acht. Als er hörte, dass Sera zurück war, atmete Snowy erleichtert auf. Es fiel ihm schwer, wach zu bleiben. Erstaunt sah Snowy, dass der Weihnachtsmann mit Sera kam. Snowy hatte den Weihnachtsmann zwar schon gesehen, doch normalerweise hatten nur die Weihnachtsschneemänner mit ihm zu tun. Santa Claus wandte sich an Snowy.
„Hallo, mein kleiner Freund. Dein Name ist Snowy, richtig?“
Snowy nickte. Santa lächelte.
„Ich bin stolz auf dich. Wenn du Eliah nicht gefunden hättest, hätte er dort im Wald nicht überlebt. Ich möchte dir danken. Und als Zeichen meines Dankes, hast du einen Wunsch frei.“
Snowy konnte es kaum glauben. Er durfte sich etwas wünschen! Zuerst wollte der kleine Schneemann aber wissen, wie es Eliah ging. Er drehte sich zum Doktor und fragte:
„Wie geht es ihm? Wird Eliah gesund?“
Der Doktor lächelte.
„Dank deiner Hilfe wird Eliah bald ganz gesund. Allerdings kann er in diesem Jahr nicht mehr bei den Weihnachtsvorbereitungen helfen.“
Bedauernd sah der Doktor zum Weihnachtsmann. Dieser zuckte mit den Schultern.
„Hauptsache, Eliah geht es bald wieder gut. Wir werden es schon schaffen, seine Aufgaben zu erledigen.“
Snowy räusperte sich.
„Santa, könnte ich nicht für Eliah einspringen? Ich weiß, ich bin noch zu jung, aber ich würde gerne ein Weihnachtsschneemann sein.“
Santa blickte von Snowy zu Eliah und zurück zu Snowy. Er lächelte.
„Natürlich kannst du uns helfen. Ein Schneemann, der tapfer und mutig ist wie du, der darf auch ein Weihnachtsschneemann sein.“
Am liebsten hätte Snowy laut los gejubelt, doch Eliah war eingeschlafen und er wollte ihn nicht wecken.

Am nächsten Tag war Snowy früh unterwegs. Er war der glücklichste Schneemann im ganzen Weihnachtsland. Endlich durfte er ein Weihnachtsschneemann sein und Santa Claus helfen, das Weihnachtsfest vorzubereiten.

© Antje Steffen

*mehr Geschichten von Snowy findet ihr in dem Buch "Snowy, der Weihnachtsschneemann" von Antje Steffen


 

*Ich danke Antje Steffen für ihre freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung dieser Weihnachtsgeschichte.

Weitere interessante Abenteuer von Snowy könnt ihr in dem Buch "Snowy, der Weihnachtsschneemann" 
ISBN-13: 978-3741272615 nachlesen.

 


Peter Wendlandt
Der Sohn des Zimmermanns

Wenn es die knapp bemessene Zeit erlaubt, geht Gottes Sohn durch den Himmel, um sich umzusehen, mit den Menschen zu sprechen, sich ihre Sorgen und Nöte anzuhören, falls dies im Himmel überhaupt vorkommt, oder Bekannte aus früheren Zeiten zu treffen, um mit ihnen zu plaudern und alte Freundschaften aufleben zu lassen. Er sucht Neuankömmlinge auf, um ihnen für ihren neuen Lebensabschnitt Trost und Mut zuzusprechen und zu gratulieren, dass sie trotz vieler Hemmnisse auf der Erde ein wohlgefälliges Leben geführt haben. Er interessiert sich auch für die Aktivitäten, die durchgeführt werden, wohnt gerne konzertanten Veranstaltungen bei. Bei allem, was er unternimmt, besticht er durch überaus große Herzlichkeit und Einfühlsamkeit, dass sich jeder in seiner Nähe geborgen fühlt und freut, mit ihm ein paar Worte gewechselt zu haben. Die Begegnung mit Jesus ist stets etwas Besonderes, um die man sich auch reißt.

Befindet sich Gottes Sohn auf dem Rundgang durch das Paradies, lässt er sich Zeit, wobei der Begriff Zeit nach irdischen Maßstäben im Himmel nicht existiert. Er spricht mit den Menschen, so lange sie möchten, beweist im wahrsten Sinne des Wortes eine Engelsgeduld und achtet darauf, dass sie positiv gestimmt sind und dies weitergeben an andere Personen. So herrscht immer eine frohe Stimmung im Himmel, der sich niemand entziehen kann.

Natürlich kommt es auch im Himmel vor, dass es Momente gibt, an denen man nicht gut drauf ist. Man ist zurückhaltend, melancholisch, nachdenklich, vielleicht auch depressiv oder sogar aggressiv gestimmt, weil man mit dem falschen Fuß aufgestanden ist. Man ist auch im Himmel nur Mensch, da können derlei Gefühlsschwankungen durchaus vorkommen. Merkt man, dass man einen dieser Tage erwischt hat, zieht man sich wohlweislich in sein Schneckenhaus zurück, ist man lieber mit sich selbst allein und hofft, dass sich der Zustand alsbald ändert. Man will ja nicht als Miesepeter dastehen, alle vergraulen oder riskieren, aus dem Himmel verwiesen zu werden. Gottes Sohn entgeht dies nicht, er verfügt über feine Sensoren, mit denen er alle Gefühlsschwankungen empfängt. Es ist für ihn auch keine Schwierigkeit, die betreffenden Personen aufzuspüren. Wie zufällig erscheint er bei ihnen, manchmal genügt ein flüchtiger Blickkontakt, um alles ins Lot zu rücken. Doch bei hartnäckigen Fällen, da muss gesprochen werden. Aber Gottes Sohn macht das gerne. Er ist in jeder Beziehung einzigartig.

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Einmal wanderte Jesus wie gewohnt durch den Himmel, wechselte ein paar Worte hier mit Himmelsbewohnern, scherzte dort mit anderen, verbreitete eine erhabene, positive Stimmung, als er an einem idyllischen Park vorbeikam, der seine Aufmerksamkeit erregte. Kinder tollten umher und spielten mit einem kleinen Hund, Vögel saßen in den Zweigen eines Baumes und trällerten aus Leibeskräften ihre Melodien. Aber nicht das war es, das Jesus aufgefallen war. Sein scharfes Auge erspähte einen weißhaarigen, alten Mann, der abseits auf einer Bank saß und nicht gerade einen frohen Eindruck machte. Er starrte vor sich auf den Boden, seufzte immer wieder und wischte sich auch verschämt eine Träne aus dem linken Auge. Interessiert blieb der heilige Mann stehen und beobachtete ihn. Der Alte befand sich in einem Zustand, der eigentlich undenkbar war für jemanden, der die mannigfaltigen Freuden des Paradieses genießen durfte.

Er suchte den Blickkontakt des Greises, als der hergestellt war, versuchte er es mit einem Lächeln und einem aufmunternden Kopfnicken. Die Reaktion darauf war nicht gerade so, wie Jesus es sich vorgestellt hatte. Der alte Mann errötete, stand auf und ging mit raumgreifenden Schritten davon. Allem Anschein nach schämte er sich wegen etwas und wollte einer Konversation aus dem Weg gehen.

Jesus sah ihm überrascht nach. Schließlich kam es nie vor, dass man ihm aus dem Weg ging. Normalerweise wäre es für ihn ein Leichtes gewesen, seiner habhaft zu werden und ihn zur Rede zur stellen, andererseits, er wollte sich auch nicht aufdrängen. Er war bei Problemen eine von vielen Ansprechstationen, die jederzeit bereit waren zu helfen und Seelen zufriedenzustellen, das wussten alle im Himmel, damit natürlich auch dieser Mann. So dachte er, dass er alsbald zu ihm kommen würde, um sich trösten zu lassen und Lebensmut zu tanken.

Jesus sah diesen Mann 14 Tage später wieder. Er befand sich abermals auf einem Rundgang durch den Himmel, wollte mit Neuankömmlingen ins Gespräch kommen, ihnen Trost und Zuversicht spenden für die neue Zeit. Natürlich erinnerte er sich an den traurigen Mann und suchte ihn. Er entdeckte ihn wieder in einem Park, sitzend auf einer Bank, mit demselben traurigen Blick wie Wochen zuvor. Er saß allein abseits einer Gruppe, starrte vor sich auf den Boden und schien nicht zu merken, was um ihn herum geschah. So war es für den heiligen Mann einfach, sich ihm zu nähern, dass er ihm nicht wieder entwischen konnte. Als der Alte schließlich merkte, wer da vor ihm stand, erzitterte er, sah ihn erschrocken an und wechselte die Gesichtsfarbe.

„Mein lieber Freund, was bedrückt dich?“ fragte Jesus sanft und lächelte ihn an. „Hast du Probleme, mit denen du nicht klar kommst? Kann ich dir irgendwie helfen?“

„Mit verkniffenem Gesicht schüttelte der alte Mann seinen Kopf. „Vielen Dank für das Angebot, aber mir kann keiner helfen!“

„Sag das nicht, mein Freund. Du bist hier im Paradies!“

„Ja schon, ich weiß. Das ist auch schön so. Aber trotzdem...“

„Mein Freund, ich verstehe deine Verzagtheit nicht. Du wurdest im Paradies aufgenommen, weil du ein gottgefälliges Leben geführt hast, das wird nicht jedem zuteil. Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern herrlich in den Zweigen, die Menschen ringsum sind froh gestimmt. Du kannst dir jeden Tag aussuchen, was du essen und trinken möchtest, du kannst dir aussuchen, welche Beschäftigung du nachgehen oder ob du einfach nichts tun möchtest. Du bist zu einem freien Menschen geworden, kannst tun und lassen, was du möchtest, du kannst dein Glück mit Händen greifen, trotzdem bist du traurig. Sag mir, was ist los mit dir? Was bereitet dir Kummer?“

„Ach weißt du, ich freue mich ja, dass ich hier im Himmel verweilen kann“, bekam er zu hören, „es konnte mir wirklich nichts Besseres passieren, als hierher kommen zu dürfen. Meine Gemütsverfassung hat auch wirklich nichts damit zu tun.“

„Dann öffne bitte dein Herz und lass mich an deinem Kummer teilhaben, mein Freund“, forderte Jesus ihn auf.

Zögernd nickte der alte Mann, seufzte und suchte nach geeigneten Worten. „Weißt du, es hat mit meinem irdischen Leben zu tun. Als ich auf der Erde weilte, ging ich dem Beruf des Zimmermanns nach. Es war eine harte, aber auch sehr schöne Arbeit, die mir viel Spaß bereitete. Ich hatte einen lieben Sohn, aber den habe ich leider sehr früh verloren. Das habe ich nie richtig verwunden und dieser schwere Schicksalsschlag hat mein Leben verändert, trost- und freudlos gemacht. Das einzige, was mich aufrecht erhalten hat, war mein felsenfester Glaube, dass ich ihn einmal im Himmel wieder treffen würde und mit ihm zusammen sein könnte. Aber jetzt bin ich schon so lange im Himmel, herumgeirrt und habe gesucht, aber gefunden habe ich ihn nicht. Ich weiß nicht, was ich noch alles tun muss, bis ich ihn endlich gefunden habe und ihn wieder in meine Arme schließen kann. Ich bin ganz verzweifelt, und nichts will mir Freude bereiten.“

Da ging ein merklicher Ruck durch Jesus, mit großen Augen sah er sein Gegenüber an. Hinter seiner Stirn begann es zu arbeiten, er rekapitulierte im Geiste, was er zu hören bekommen hatte und zog eine Schlussfolgerung, die ihm auf einmal Freudentränen in die Augen trieb. Er wurde von einer tiefen Bewegtheit ergriffen, konnte gar nicht anders als sein Gegenüber freudig erregt in die Arme zu schließen und an seine Brust zu pressen.

„Vater“, rief er voller Freude und tief bewegt, „mein Vater! Habe ich dich endlich gefunden! Auch ich war schon so lange auf der Suche nach dir! Du ahnst ja nicht, wie ich mich freue!“

Der alte Zimmermann starrte ihn entgeistert an, dann breitete er ebenfalls seine Arme aus, um ihm tief bewegt unter Freuden-tränen um den Hals zu fallen und fest zu umarmen. Und mit tränenerstickter Stimme schluchzte er auf: „Pinocchio! Mein Sohn! Endlich bist du wieder bei mir! Wo hast du nur so lange gesteckt?“

(c)Peter Wendlandt

*mit freundlicher Genehmigung von Peter Wendlandt: zu seiner Autorenseite!

Eva Zimmermann
Fritzchen und Frätzchen

„Jetzt reicht es aber!“
Fritzchen, der kleinste und jüngste Engel der Helferschar des Weihnachtsmanns, zuckte zusammen. So laut war sein Boss noch nie geworden!
Fritzchen folgte dem Blick des alten Mannes und sah das Unfassbare nun auch: Unter den Zweigen des ausladenden Weihnachtsbaums, der reich geschmückt vor dem Schreibtisch des Weihnachtsmannes stand, balancierte auf drei Pfötchen ein kleiner braun-weißer Hund. Das vierte Beinchen hatte er angehoben, und um den Stamm des Baumes bildete sich eine rasch größer werdende Pfütze. Obwohl der kleine Engel den Zorn seines Chefs verstand, musste er sich ein Lachen verkneifen. Sicher, ein Hund gehörte nicht in den Himmel, aber seit seiner Ankunft vor einigen Tagen hatten alle das tapsige, kleine Kerlchen liebgewonnen. Allerdings ging seither vieles drunter und drüber, da der Vierbeiner zu jedem Schabernack bereit war. Auch passierte ihm in seiner ungestümen, tollpatschigen Art so manches ungewollte Missgeschick. Zum Beispiel war er in die Backstube geschlichen und hatte von allen Weihnachtsplätzchen den Zuckerguss geleckt. Schleck, der Küchenengel, vertrieb ihn schleunigst, indem er eine Handvoll Mehl nach ihm warf. So eingepudert war der fellige Geselle in die Spielzeugwerkstatt geflüchtet und hatte sich direkt neben den frisch lackierten Holzeisenbahnen kräftig geschüttelt. Die Spielzeugzüge sahen daraufhin eher paniert als lackiert aus. So kam es, dass alle Himmelsbewohner den Hund zwar putzig fanden, ihn jedoch nicht in ihrer Nähe haben wollten.

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Einige Tage zuvor hatte Blitz, der Postengel, das kleine Tier unbemerkt von einem Flug auf die Erde mitgebracht, wo er die letzten Wunschzettel eingesammelt hatte. Erst beim Ausladen der Postbeutel hatte Blitz ihn entdeckt. Fritzchen war so begeistert von dem kleinen Kerl, dass der Weihnachtsmann es nicht übers Herz gebracht hatte, den Hund unverzüglich wieder zurückzuschicken. Die übrigen Engel hatten Fritzchens neuen Freund „Fratz“ getauft, doch jeder rief ihn bald nur noch „Frätzchen“.
Frätzchen schlief am Fußende von Fritzchens Bett, und es war eigentlich die Aufgabe des kleinen Engels, auf ihn ein Auge zu haben. Allerdings war der Hund so unberechenbar bei seinen Einfällen, dass Fritzchen das beim besten Willen nicht schaffte. Und nun war das Maß voll.

„Fritzchen, der Hund muss schnellstens wieder zurück auf die Erde! Ich erteile dir die Aufgabe, ein gutes Zuhause für deinen kleinen Freund zu finden! Hier, nimm mein Fernrohr und sieh dich um!“
Der kleine Weihnachtshelfer nahm das goldene Instrument, das der Weihnachtsmann ihm reichte, setzte sich traurig auf eine Wolke und sah auf das vorweihnachtliche Treiben unten auf der Erde hinunter.
Marie stampfte mit ihren Füßen, um sie vor dem vollkommenen Erstarren zu bewahren. Sie war sehr zufrieden mit dem Geschäft, das sie an ihrem Weihnachtsmarkt-Stand gemacht hatte, aber durch die Kälte, die ihr trotz des kleinen Heizöfchens in alle Knochen kroch, war es recht hart verdientes Geld.
Marie hatte das ganze Jahr über Schmuck gefertigt um ihn an ihrem Stand zu verkaufen. Sie arbeitete als Goldschmiedin bei einem Juwelier, aber die Ware für den Weihnachtsmarkt hatte sie in ihrer Freizeit hergestellt. Es waren ausgefallene, geschmackvolle Anhänger, Broschen und Ringe, die trotz ihrer Individualität und ausgezeichneten Verarbeitung erschwinglich waren. Ihr Chef hätte diese Stücke niemals in seinem eher bieder-traditionellen Geschäft angeboten, doch hier verkauften sie sich gut.
Es war der Tag vor Heiligabend und sie hatte sich darauf gefreut, das Fest mit ihrer Schwester zu verbringen. Seit ihre Eltern tot waren, hatten Susanna und sie Weihnachten immer zusammen verbracht, einmal bei Marie, einmal bei Susanna.
Am Morgen aber, als Marie sich gerade auf den Weg zum Weihnachtsmarkt machen wollte, rief ihre Schwester sehr zerknirscht an. Susannas Freund hatte sich eine besondere Überraschung ausgedacht und einen Weihnachtsurlaub für beide in Spanien gebucht. Susanna war drauf und dran, wegen Marie das Geschenk abzulehnen, doch Marie hatte ihr dieses Vorhaben ausgeredet mit dem Argument, sie sei vom Weihnachtsmarkt so erschlagen, dass sie eigentlich lieber über die Feiertage ordentlich ausschlafen als die Reise zu ihrer Schwester antreten würde. Die Tränen, die ihr bei dieser Lüge in den Augen standen, hatte Susanna zum Glück nicht sehen können.
Fritzchen ließ das Fernrohr sinken. Sein Entschluss stand fest, nachdem er die Traurigkeit in Maries Blick gesehen hatte. Er hatte aber noch einen anderen Menschen beobachtet und überlegte nun, wie er es bewerkstelligen könnte, Marie das Weihnachtsfest nicht allein durch einen Hund unvergesslich zu machen. Er musste Frätzchen nur zum richtigen Zeitpunkt, wenn alle Geschäfte schon geschlossen hatten, zu Marie bringen …

Am Morgen des Heiligen Abend ging Marie einkaufen, denn ihr Kühlschrank war leer, da sie ja erwartet hatte, über die Festtage nicht daheim zu sein. Das Gedränge an den Kassen war enorm und sie kam fast zu spät zu ihrem Stand, der heute ein letztes Mal geöffnet sein würde, wenn auch nur bis um 14 Uhr.
Marie seufzte. Noch nie war sie Weihnachten allein gewesen. Sie hatte sich Zutaten für ein vegetarisches Festessen gekauft, aber wie traurig würde die einsame Mahlzeit sein! Auch die Flasche Wein würde das Gefühl der Verlassenheit kaum vertreiben können.
Die Zeit schlich dahin. Es zog heute nicht mehr viele Menschen auf den Markt und sie verkaufte nur ein einziges Schmuckstück an den Händler des Nachbarstandes, der noch schnell ein Geschenk für seine Frau brauchte.
Fritzchen saß auf einer Mülltonne, von der aus er Marie im Auge behalten konnte, ohne selbst gesehen zu werden. Frätzchen hatte er fest an sich gedrückt. Der kleine Hund hatte genau verstanden, was sein Freund ihm erklärt hatte. Er trug um den Hals eine Schnur mit einem Zettel, den Fritzchen geschrieben hatte. Dem Engel kullerte vor Abschiedsschmerz eine Träne über das Gesicht und fiel auf den Zettel. Einer der Buchstaben wurde dadurch ziemlich unleserlich, aber das merkte er nicht.
Als die Kirchturmuhr zweimal schlug, räumte Marie langsam ihre Sachen zusammen. Die meisten anderen Stände waren schon geschlossen, aber Marie hatte es nicht eilig. Gerade, als sie den letzten Karton schloss, spürte sie etwas auf ihrem Fuß. Sie sah hinab und entdeckte einen kleinen braun-weißen Hund, der eine Pfote auf ihre Stiefelspitze gelegt hatte und sie mit großen, dunklen Augen ansah. Marie beugte sich hinunter und streichelte seine pelzigen Ohren. „Na, du kleiner Wicht, wo ist denn dein Frauchen oder Herrchen? Hast du dich verlaufen?“ Sie nahm den Hund, der begonnen hatte an ihrem Bein hochzuspringen, auf den Arm. „Lass mich doch mal nachsehen, ob du nicht eine Telefonnummer am Halsband … oh, du hast ja gar keins!“ Marie setzte den Hund auf den nun leeren Verkaufstisch und tastete seinen Hals nach einem Mikrochip unter der Haut ab, konnte aber nichts finden. „Na, so etwas! Wo gehörst du denn nur hin?“ Erst jetzt bemerkte sie unter seinem dicken Fell einen Bindfaden, an dem ein Zettel befestigt war:

Ich heiße Frätzchen!
Bitte, nimm mich mit!


Marie kniff die Augen zusammen. „Wie heißt du? Fr… Das ist etwas verwischt! Fritzchen vielleicht?“ Als Frätzchen den Namen seines Freundes hörte, bellte er erfreut auf, was Marie als Zustimmung nahm. „Als gut, Fritzchen, dann werden wir wohl das Weihnachtsfest zusammen verbringen! Allerdings – du brauchst ja etwas zu fressen! Die Geschäfte sind inzwischen nicht mehr auf. Ob du dich mit einer vegetarischen Mahlzeit anfreunden könntest? Egal, lass uns erst mal heimgehen!“
Fritzchen hatte von seinem Beobachtungsposten alles verfolgt. Das war ja noch besser gelaufen, als er es gehofft hatte! Nun musste nur noch der zweite Teil seines Planes klappen …
„So, komm rein in dein neues Zuhause!“, sagte Marie und Frätzchen saust an ihr vorbei in die kleine Wohnung. Marie stellte ihm ein Schälchen Wasser hin, über das er sich sofort durstig hermachte, aber die gekochten Kartoffeln mit Gemüse rührte er nicht an. Er hatte zwar großen Hunger und nahm es normalerweise mit dem, was er fraß, nicht so genau, aber er hatte strikte Anweisungen von seinem geflügelten Freund bekommen, nichts anzurühren, das kein Fleisch enthielt. Außerdem sah der Hund, dass der kleine Engel draußen auf der Fensterbank saß, alles beobachtete und ihm einen strengen Blick zuwarf.
Marie seufzte. „Was mache ich nur mit dir? Fleisch habe ich keins und Hundefutter natürlich erst recht nicht!“
Ihr Blick fiel aus dem Fenster. Die Straße war wie ausgestorben, bis auf einen Mann, der mit einem Foxterrier unterwegs war. Er kam ihr irgendwie bekannt vor. Woher nur? Vielleicht war er ein Kunde des Juwelierladens? Nein, dort kauften nur mittelalterliche Männer mit Bauch und Glatze. Dieser aber hatte etwa ihr Alter, war schlank und sportlich und hatte volles braunes Haar. Dann fiel es ihr ein: Er war ihr neuer Nachbar, der vor ein paar Tagen in die Wohnung nebenan gezogen war. Sie beobachtete ihn weiter. Richtig, er wandte sich dem Haus zu und kurz darauf hörte Marie seine Schritte auf der Treppe.
Fritzchen sprang auf Maries Schoß, jaulte kurz und begann an ihrem Pulloverärmel zu kauen.
„Du hast Hunger, du armer Kerl! Was mache ich nur mit dir?“
In diesem Augenblick hörte man ein kurzes Bellen aus der Nachbarwohnung.
„Genau, das ist es! Komm, wir fragen einfach den Nachbarn nach Hundefutter! Er hat sicher genug für die Feiertage eingekauft!“

Fritzchen flatterte schnell auf das nachbarliche Fensterbrett. Aus der Wohnung drangen die Klänge eines Weihnachtsliedes. Der Engel beobachtete, wie der Mann, von dem Fritzchen wusste, dass er Peer hieß, die Wohnungstür öffnete. Er sprach kurz mit Marie, streichelte den Hund auf ihrem Arm und bat dann beide in die Wohnung. Verstehen konnte Fritzchen das Gespräch wegen der Musik nicht, aber er konnte die Gestik und Mimik deuten. Marie bestaunte den geschmückten Baum und machte offenbar eine bewundernde Bemerkung darüber. Der Mann lächelte und sprach eine Weile mit Marie. Er schien sie zu etwas überreden zu wollen. Es sah zunächst aus, als zierte sich die junge Frau ein wenig, aber dann lächelte auch sie, nickte und setzte den Hund auf den Boden. Der Foxterrier kam sofort angelaufen und die beiden Tiere beschnupperten sich. Offenbar war es Zuneigung auf den ersten Riecher.
Marie lief in ihre eigene Wohnung zurück. Währenddessen stellte Peer einen Napf mit Futter für Frätzchen auf den Boden. Hungrig stürzte sich der kleine Hund darauf und bald hatte er alles bis zum letzten Bröckchen vertilgt.
Kurz darauf kehrte Marie mit ihrer Lebensmitteltüte und der Flasche Wein zurück.
Fritzchen lächelte zufrieden und hopste vom Fensterbrett.
Sein Weihnachtsplan war aufgegangen!

©Eva Zimmermann

*mit freundlicher Genehmigung der Autorin Eva Zimmermann

Gabriele Maricic-Kaiblinger
Besuch

Seine Schritte knirschten im Schnee, als er den einsamen Waldweg entlangging. Der gefrorene Schnee und das kalte Licht des Mondes erhellten seinen Weg. Ab und zu fielen von einem Baum Flocken auf seinen bemützten Kopf oder gar auf seine Nase. Wenn dies passierte, wischte er die Nässe ganz schnell weg, da er ohnehin genug fror. Dann steckte er die Hand rasch wieder in die Jackentasche, denn Handschuhe hatte er keine angezogen. Er hatte ganz vergessen, wie kalt ein Winter in den Bergen sein konnte.

Als er aus dem Wald trat, konnte er schon das Haus sehen, das etwas abseits vom übrigen Dorf lag. Je näher er kam, desto heimeliger wurde ihm zumute. Es sah alles noch so aus wie früher. Na ja, fast. Ein wenig renoviert und modernisiert worden war natürlich. Das Haus wies eine neue Holzverkleidung auf, und der Stall zeigte sich in festem Mauerwerk. Eine alte und eine neue Rodel lehnten neben der Stalltür. Er erkannte die alte, und wieder wurde ihm warm ums Herz. Er war sich sicher, dass dies immer noch der schönste Hof im Ort war.

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Das Licht über der Eingangtür leuchtete, ansonsten war jedoch alles dunkel. Obwohl er vermutete, dass niemand zu Hause war, klopfte er. Doch alles blieb ruhig. Er sah auf die Uhr. Weihnachtsmettenzeit. Dort werden sie sein, in der Kirche. Er lächelte. Dann ging er zur Stalltür und freute sich, dass diese unverschlossen war. Er tastete sich ins Innere, fand den Lichtschalter und knipste das Licht an. Sein Blick fiel auf einen alten Melkschemel, und er lächelte. Dass der noch da war, trotz der modernen Melkvorrichtung, beruhigte ihn irgendwie. Trotz Neuem sollte das Alte nicht ganz verloren gehen – das fand er schön.

Er setzte sich neben das Kalb, das nicht weit von der Eingangstür auf Stroh gebettet war. Hier war es wenigstens etwas warm, und er musste nicht mehr so frieren, während er wartete. Wiederum drängte es ihn, zu lächeln. Er fühlte sich plötzlich so heimelig und weihnachtlich. War nicht Jesus in einem Stall zur Welt gekommen? Und nun saß er ebenfalls hier in einem Stall, genau am Weihnachtsabend.

Na, jetzt werde ich aber sentimental. Aber ... was macht das schon ... heute ...

"Können wir nicht hierbleiben und mit den neuen Sachen spielen?", fragte die zehnjährige Marianne die Mutter. Ihr Bruder, der zwölfjährige Christian, der eine solche Frage nie zu stellen gewagt hätte, blickte die Mutter nun ebenfalls erwartungsvoll an.

"Ich hör' wohl nicht recht", antwortete diese. "Am Weihnachtsabend nicht in die Christmette? Tja, wenn ihr am Nachmittag in die Kindermette gegangen wärt', aber wer hat denn gebettelt, erst in die Nachtmette gehen zu dürfen, von wegen schon zu erwachsen für die Babymesse und so ..."

Der Vater nickte bekräftigend zu diesen Worten, also seufzte Marianne resignierend und Christian wandte rasch seinen hoffnungsvollen Blick ab und zog sich seine Stiefel an.

"Ihr wollt' doch sicher dem Jesuskind auch Danke sagen, dafür, dass es euch gut geht und ihr einen Haufen Geschenke bekommen habt. Schließlich ist es der Geburtstag von Jesus, den wir feiern, nicht eurer", belehrte sie nun die Großmutter.

"Wir sind ja dankbar", warf Christian ein.

"Und freuen uns", ergänzte Marianne.

"Na, dann macht nun Jesus ein Geschenk und feiert seine Geburtagsmesse mit. Das ist für ihn so, wie wenn ihr eine Geburtagsparty feiert", erhob nun Großvater sein Wort. Er und Großmutter lebten mit ihrem Sohn und dessen Familie auf diesem Bauernhof, etwas außerhalb vom Dorf, kurz bevor der Wald begann.

"Ah", machte Marianne.

"Geburtstagsparty ...?! So hab' ich das noch gar nicht gesehen. Dann kommt endlich, das dürfen wir doch nicht verpassen", war Christians Kommentar zu Großvaters Erklärung.

Und so machte sich die Familie frohen Mutes auf den fünfzehnminütigen Weg ins Dorf zur Kirche.

Er streichelte das schlafende Kalb neben sich. Er fühlte sich wohl und es war ihm nicht mehr so kalt.
Seine Gedanken wanderten zurück. Zurück in seine Kindheit auf diesem Hof.

Mit drei Schwestern und einem Bruder war er hier aufgewachsen. Er und seine Geschwister hatten schon früh neben der Schule auf dem Hof mithelfen müssen. Doch so weit er sich erinnern konnte, mussten das ebenfalls die meisten anderen Kinder aus seiner Klasse, denn richtig reich war eigentlich keiner gewesen. Doch seiner Familie hatte es an nichts wirklich Wichtigem gefehlt und was es sogar im Überfluss gegeben hatte, war Liebe. Er erinnerte sich jedenfalls nur an eine glückliche Kindheit und Jugend. Trotzdem hatte es ihn fortgezogen, in die weite Welt, weg aus dem engen Bergdorf, ein bisschen Freiheit schnuppern. Da er der Älteste war, hatte ihn sein Vater zwar als seinen Nachfolger angesehen, der später den Hof übernehmen würde, doch so ein Leben hatte er sich überhaupt nicht vorstellen können. Und dann, mit neunzehn Jahren, hatte ihn hier nichts mehr gehalten. Nur einen kurzen Abschiedsbrief hinterlassend, hatte er sich eines Nachts davongeschlichen, sein eineinhalb Jahre jüngerer Bruder im seinen gegenüberliegenden Bett bereits tief und fest schlief geschlafen.

Tja und nun war er beinahe sechsunddreißig Jahre alt und saß hier im Stall und wartete auf seine Familie. Mit sehr gemischten Gefühlen, denn ... würden sie ihn jetzt noch sehen wollen? Waren sie nicht schon an ein Leben ohne ihn gewöhnt? Lebten seine Eltern überhaupt noch?

Solche und ähnliche Gedanken quälten ihn, bis ihn die Müdigkeit übermannte und er einnickte. 

Marianne lief auf dem Heimweg immer ein Stück voraus. Als sie in die Nähe des Hofes kam, blieb sie plötzlich stehen, drehte sich um und rief aufgeregt:

„Da ist Licht! Im Stall brennt Licht!“

„Wird dein Vater wahrscheinlich vergessen haben, auszuschalten“, war Großvaters Meinung.

„Auf keinen Fall. Ich hab's ganz bestimmt ausgeschaltet.“

„Vielleicht beschert das Christkind auch den Kühen“, bemerkte Christian.   

„Blödmann“, war Mariannes Antwort.

„War 'n Scherz“, verteidigte sich Christian.

„Eigenartig“, murmelte der Vater vor sich hin, als er zum Stall ging und die Tür öffnete. Seine Hand wollte bereits zum Lichtschalter greifen, als er ein Geräusch hörte und den Kopf wendete. Er sah einen Mann, der sich eben vom Melkschemel erhob und ihn anstarrte.

„Wer sind Sie?! Was tun … Oh Gott! Das kann doch nicht wahr sein … Martin?!“

Innerhalb einer halben Minute spiegelten sich in seinem Gesicht anfängliche Empörung, Unsicherheit, Erkennen bis hin zu Freude und sentimentaler Gefühlsregung wider.

„Bernhard“, stellte dieser fest – trocken, da es ihm schwerfiel, mehr zu sagen.

Und dann lagen sich die beiden Brüder in den Armen.

„Komm, komm mit rein. Na, die werden vielleicht Augen machen“, sagte Bernhard, als er sich aus der Umarmung löste.

Als sie das Haus betraten, rief der Großvater aus der Küche: „Und? Doch vergessen, abzuschalten – oder ist was Besonderes los?“

Er hatte kaum den Satz beendet, als plötzlich die Großmutter, die eben vom oberen Stockwerk in den Vorraum herunterkam, schrill ausstieß: „Nein!“

Die restlichen Familienmitglieder stürmten nun ebenfalls in den Hausgang und sahen die Großmutter in den Armen eines Mannes liegen, während der Vater daneben stand, breit grinste und sagte: „Was   g a n z   Besonderes ist los. Besuch ist da.“

„Mein Gott … bald siebzehn Jahre … Bub …“, stammelte Großvater und Tränen schimmerten in seinen Augen. Und die Großmutter schluchzte sowieso ununterbrochen und wollte Martin überhaupt nicht mehr loslassen. Nur die Kinder standen da und wussten überhaupt nicht, was los war.

„Kommt, kommt doch in die Stube“, meinte nun die Mutter, die begriffen hatte, wer da gekommen war, obwohl sie Martin nur aus Erzählungen kannte.

„Ja, komm“, brachte die Großmutter mühsam über die Lippen, „du musst ja Hunger haben.“

Sie begaben sich alle in die Stube, wo der geschmückte Weihnachtsbaum stand.

Während Martin aß, wurde er mit Fragen überhäuft.

„Wo warst du so lange?“ „Wo kommst du jetzt her?“ „Was hast du all die Jahre gemacht?“ „Warum hast du dich nicht gemeldet?“ „Warum bist du nicht früher gekommen?“

„Ja lieber, neuer Onkel, weißt du denn nicht, dass es Post, Telefon, Handy und Internet gibt?“, fragte da schließlich Marianne ganz frech.

„Oder hast du im Urwald gelebt?“, wagte Christian, nicht minder frech, zu fragen.

„Kinder!“, rief die Mutter.

„Ach lass sie nur. Im Grunde haben sie ja recht. Ich hätte mal was von mir hören lassen können. Aber … na ja … ich genierte mich eben ...“

Bei Kaffee und Weihnachtskeksen - die Kinder waren mittlerweile ins Bett geschickt worden, da es bereits ein Uhr nachts vorbei war, nicht jedoch ohne das Versprechen, ihnen morgen alles zu wiederholen, was der Onkel gesagt hatte - erzählte Martin seine Geschichte. Wie er voller Abenteuerlust und Fernweh von zu Hause weg ging. Wie er sich die ersten Jahre in Australien als Schafscherer verdingte und sich oft allein fühlte in diesem weiten, endlos weitem und einsamen Land, wie ihm damals schien.

„Die Schafscherer waren harte Burschen und hatten meistens nur derbe Sprüche oder Schweigen als irgendein gutes Wort oder Mitleid übrig ...“

Wie er schließlich nach Sidney ging, da er sich in der Stadt größere Chancen erhoffte, es zu etwas zu bringen. „Erst habe ich als Hilfskraft an einer Tankstelle gearbeitet, dann als Laufbursche und sozusagen 'Mädchen für alles' in einem Kaufhaus. Dazwischen war ich auch mal arbeitslos und ziemlich unten, aber davon will ich lieber nicht sprechen. Dann fand ich eine Stelle in einem Elektroladen. Und diese Arbeit machte mir zum ersten Mal richtig Spaß. Du weißt ja, Vater, ich hab' zwar auf deinen Wunsch hin die landwirtschaftliche Schule besucht, aber viel mehr habe ich mich fürs Kaufmännische interessiert. Letztes Jahr ging der Besitzer, der übrigens mein bester Freund geworden ist, in Pension und verkaufte mir den Laden. Natürlich brauchte ich dafür einen Kredit, aber das Geschäft läuft gut und in diesem Jahr habe ich schon einen großen Teil wieder zurückbezahlt und außer einem Mitarbeiter noch einen Lehrling eingestellt. Tja und nun, da es mir recht gut geht, habe ich mich wieder getraut, nach Hause zu kommen.“

„Aber Bub … du … du hättest doch jederzeit ...“, sagte sein Vater und musste dabei ein paar Mal kräftig schlucken.

„Ich weiß, aber ich wollte nicht … nicht als Versager ...“

„Wir lieben dich doch, unser Kind … du bist doch nie und nimmer ein Versager … hätten gern mal von dir gehört … irgendein Lebenszeichen … haben uns doch Sorgen gemacht ...“ Die Tränen seiner Mutter waren noch nicht versiegt.

„Ich weiß doch Mama, hab' oft daran gedacht, aber … versteht bitte … ich konnt' es einfach nicht.“

„Ich versteh' dich“, sagte da sein Bruder und legte ihm die Hand auf die Schulter.

„Danke“, antwortete Martin, „aber … da ist noch was ...“

Alle sahen ihn erwartungsvoll an.

„Ich … ich bin nicht allein gekommen ...“

„Was?!“, rief seine Mutter aus, in deren Kopf bereits bestimmte Gedanken heranreiften.

„Ich … ich bin verheiratet … habe eine Tochter und … und in sechs Monaten erwarten wir unser zweites Kind.“

„Wo sind sie?“

„In einem Gasthof im Nachbardorf.“

„Sag, bist du verrückt?!“, rief seine Mutter resolut, von Tränen keine Spur mehr. „Nicht genug, dass du so lange weg warst und mir ein Enkelkind vorenthalten hast – jetzt quartierst du deine Familie auch noch im Nachbardorf ein … was soll das?!“

„Na ja … ich wusste ja nicht, wie ihr mich aufnehmt ...“

„Wusstest du nicht, hat?! Wusstest nicht, dass deine Eltern dich lieben, auch wenn wir mal gestritten haben wegen deiner jugendlichen Flausen. Hol sie sofort her!“

„Aber Mama ...“

„Kein aber Mama ...“

„Es ist zwei Uhr morgens ...“

„Er hat recht“, wandte jetzt sein Vater ein, „aber morgen früh – das heißt, eigentlich ja heute früh – nach dem Frühstück holen wir sie sofort.“

„Aber schon ganz früh“, warf die Mutter noch ein, dann kullerten ihre Tränen abermals. „Das wird ein Weihnachtstag“, murmelte sie nur noch, bevor sie zu Bett ging.

 

(c) Gabriela Maricic-Kaiblinger

*Mit freundlicher Genehmigung von Gabriele Maricic-Kaiblinger 

Christina Telker
Der unscheinbare Engel

Die dunklen Fenster des Ortes begannen sich zu schmücken. Ja, fast konkurrierten sie untereinander, welches von ihnen wohl das Schönste sei. Grund dafür war die bevorstehende Adventszeit. Lichterbögen Fensterbilder, kunstvoll von Meisterhand geschnitzt, sahen fast majestätisch auf die vor sich hin flimmernden Plastiksterne hinunter. Keiner konnte es mit ihrer Schönheit  aufnehmen, meinten sie. Eins hatte jedoch alle gemeinsam, sie strahlten ihr Licht in die Dunkelheit hinaus. Bis auf eine Ausnahme und das war ein Engel, der Jahr für Jahr seinen Dienst auf dem Balkon einer Mietwohnung im dritten Stock eines Mehrfamilienhauses versah. Ursus, der schneeweiß gekleidete Engel mit einem langen Gewand, maß etwas vierzig Zentimeter und war damit schon ein rechtes Prachtexemplar seiner Gattung, unter den allbekannten Weihnachtsengeln. Dora, eine alte Dame, hatte ihn bereits von ihrer Großmutter übernommen. Sie war sozusagen mit ihm alt geworden, mit dem kleinen Unterschied, dass Engel nie altern im Gegensatz zu uns Menschen. Ursu wurde von keinem Licht angestrahlt, er stand ganz schlicht und einfach da und sah auf die Stadt hinunter, mit ihrem pulsierenden Leben. Viel hatte er schon gesehen und erlebt, in seinem langen Erdendasein. Die Zeit der Postkutschen, die Zeit als die Menschen begannen sich mit eigener Kraft auf Zweirädern fortzubewegen, dann kam die Zeit der Automobile. Ursus hatte all miterlebt, denn er wurde von Generation zu Generation weiter vererbt.

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Manch einer sah ihn, wenn er am Haus vorüberging und freute sich über ihn. Vor allem Kinder, sie waren zu jeder Zeit von ihm angetan. Was aber keiner ahnte, Ursus besaß die Gabe, in das Leben der Vorübergehenden einzugreifen, wenn er es für nötig hielt. So hatte er schon manchem Kind beigestanden. Hierzu verließ er seinen Platz auf dem Balkon und schwebte wie eine kleine Schneewolke, die kein Mensch so recht wahrnahm hinunter zum Geschehen. Er half Kindern, die sich einsam fühlten, um ihnen Mut zu machen. Er sandte einen Strahl der Hoffnung in Herzen von Menschen die verzweifelt waren. Ursus hatte ein besonderes Gespür dafür wo Hilfe gebraucht wurde.

Eines Tages, es war Mitte Januar und die Weihnachtszeit wieder einmal vorüber, holte Dora ihren Engel vom Balkon und verpackte ihn wie gewohnt in seine Schachtel in der er den Sommer verbrachte. „In diesem Jahr müssen wir umziehen“, sagte sie, als sie den Engel behutsam in Seidenpapier einschlug, damit er keinen Schaden nähme. ‚Ich darf zwar nur das Wichtigste mit ins Altenheim bringen‘, dachte sie bei sich, ‚den Engel werde ich auf alle Fälle mitnehmen. Er ist für mich das Wichtigste.‘ Von dem Umzug bekam Ursus nichts mit, er verschlief ihn sozusagen in seinem ‚Sommerquartier‘. Als Dora ihn vor Beginn der Adventszeit aus dem Schlaf erwachte, war er schon enttäuscht, nicht mehr die lebhafte Straße mit all den Vorübereilenden unter sich zu haben. Auf einem schmalen Fensterbrett war nun sein Standort. Nach ein paar Tagen, hatte sich Ursus jedoch an seine neue Umgebung gewöhnt. Jeder der Vorüberkam sah ihn bewundernd an. Einen Engel in der Weihnachtszeit hatte es hier noch nie gegeben. Auch seine Fähigkeit, in die Seelen der Menschen zu schauen, hatte sich Ursus erhalten. Wieder griff er, wie gewohnt helfend ein. Schon bald wunderte man sich über die positive Stimmung im Heim, die in diesem Jahr viel angenehmer war als zuvor. Auch als Dora eines Tages die Augen schloss und von einem himmlischen Boten in ein anderes Reich geholt wurde, stand Ursus nach wie vor  im Altenheim zur Weihnachtszeit auf einem Fensterbrett. Die Schwestern hatten sich seiner angenommen zur Freude aller Bewohner.

© Christina Telker

*mit freundlicher Genehmigung der Autorin - Zur Internetseite von Christina Telker

Gisela Brix
Ein Weihnachtsbaum für die Wiesenbewohner

Langsam ging das Jahr zu Ende und auf der Wiese war es Winter geworden. Ein sehr wichtiger Tag im Leben der Wiesenbewohner und der Elfen war nun gekommen, denn der Heilige Abend war da.

Alle Bewohner der Wiese wußten, dass sie an diesem Tag mit ihrem Winterschlaf begannen. Sie schliefen sehr lange und wachten erst wieder auf, wenn der Frühling gekommen war. Auch die beiden Elfen würden an diesem Tag ins Elfenland zurückgehen.

Das Elfenmädchen und der Elfenjunge saßen am Heiligen Abend am Ufer des zugefrorenen kleinen Baches und überlegten, wie sie ihren Freunden zum Abschied eine Freude machen könnten.
Nach einer Weile sagte das Elfenmädchen: „Unsere Freunde werden heute einschlafen und eine lange Zeit wird es für sie dunkel sein. Wir wollen ihnen einen Baum mit vielen Lichtern schenken. Davon können sie dann den ganzen Winter über träumen.“
Der Elfenjunge nickte und antwortete: „Ja, das wollen wir tun. Mitten auf der Wiese steht eine kleine Fichte. Dieses Bäumchen werden wir mit Lichtern schmücken.
Die Glühwürmchen leihen uns bestimmt ihre Laternen. Diese Laternen hängen wir an den kleinen Baum. Alle unsere Freunde werden das Leuchten sehen und kommen.“

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Während sie noch darüber sprachen, wo sie die Glühwürmchen suchen sollten, flog Frau Spatz vorbei und hörte das, was sie sagten. Sie kehrte um und landete neben den beiden Elfen. „Die Glühwürmchen sind dabei, ihre Laternen zu löschen, sie bereiten sich schon auf ihren Winterschlaf vor und können nicht mehr weit fliegen“, sagte sie.

Die Elfen erzählten ihr von ihrem Plan und Frau Spatz antwortete: „Ich weiß, wo sie sind und werde sie fragen, ob sie mitkommen. Ich treffe euch bei der kleinen Fichte“. Sie breitete ihre Flügel aus und flog davon.

Nach kurzer Zeit kam sie zurück und setzte sich vorsichtig neben die Elfen. Als sie bei ihnen war, sahen die Elfen, dass auf ihrem Rücken die Glühwürmchen saßen.

„Wir wollten gerade einschlafen,“ sagte ein Glühwürmchen: „Doch als Frau Spatz uns erzählte, dass ihr uns und unsere Laternen braucht, sind wir gekommen. Wir helfen euch gerne. Frau Spatz bringt uns wieder zurück und wir werden etwas später einschlafen.“

Sie stiegen vom Rücken des Vogels herunter und zündeten ihre Laternen an. Die beiden Elfen hängten die Lichter an den kleinen Baum, der nun so hell leuchtete, dass alle Tiere zur Wiesenmitte kamen, um das Wunder zu sehen.
Alle Gräser, die noch nicht schliefen, reckten sich, um den kleinen leuchtenden Baum anzuschauen und sich alles ganz genau zu merken, denn im Frühling wollten sie den Blumen davon erzählen.

Schweigend und mit glücklichen Gesichtern schauten die Wiesenbewohner den leuchtenden Heilig-Abend-Baum an. So etwas Schönes hatten sie noch nie gesehen.
Langsam senkten sich die Gräser wieder, die Käfer und alle anderen Wiesenbewohner gingen zurück zu ihren Schlafplätzen, schlossen ihre Augen und schliefen zufrieden ein. Ganz leise hörten sie beim Einschlafen die Stimmen der beiden Elfen: „Auf Wiedersehen bis zum nächsten Frühling.“

Als die Glühwürmchen ihre Laternen löschten, fielen ihnen immer wieder die Augen zu. Die beiden Elfen bedankten sich bei ihnen und setzten die müden Glühwürmchen auf den Rücken von Frau Spatz.
Langsam und vorsichtig flog sie davon und brachte die Glühwürmchen dahin, wo sie ihren Winterschlaf machen wollten.

Nun war das Jahr mit den aufregenden Abenteuern in der Blumenwiese vorbei. Nachdem die Wiesenbewohner eingeschlafen waren, gingen das Elfenmädchen und der Elfenjunge noch einmal über die Wiese. Sie wollten nachschauen, ob alle es für den langen Winterschlaf warm genug hatten.

Als sie sahen, dass alle gemütlich schliefen, gingen sie durch die geheime Türe ins Elfenland. Dort werden sie sich wie in jedem Winter mit den anderen Elfen treffen und erzählen, was sie alles auf der Wiese erlebt haben.

Den ganzen Winter lang bleiben sie im Elfenland. Doch wenn der erste Frühlingswind sie ruft, gehen sie zurück auf die Blumenwiese und wecken die Wiesenbewohner. Die Blumen beginnen zu blühen, die Gräser wachsen, die Bienen und Käfer summen und die Schmetterlinge fliegen wieder über die große Wiese am kleinen Bach.

© Gisela Brix - Eine Geschichte aus ihrem Buch: "Geschichten von der Elfenwiese"

Mit freundlicher Genehmigung der Autorin Gisela Brix - Eine Geschichte aus ihrem Buch: "Geschichten von der Elfenwiese"

Eva Zimmermann
Der Weihnachtsmann als Entführer

Es war kurz vor Weihnachten. Blitz, der Postengel, legte einen Brief vor den Weihnachtsmann.
„Oh, ein verspäteter Wunschzettel?“, schmunzelte dieser und nahm den dicken Umschlag in die Hand. „Aber der ist doch ...“, murmelte er verwundert, „... der ist doch von der kleinen Susa!“
Unter den Engeln brach Getuschel aus. „Von der Susa?“, fragte einer von ihnen schließlich. Der Weihnachtsmann nickte. „Ja, von der Susa. Klein ist sie inzwischen natürlich nicht mehr und ich bezweifle auch, dass noch irgendjemand sie unter diesem Namen kennt. Tja, es ist lange her ...“ Unschlüssig hielt er den Brief eine Weile in der Hand, bevor er sich einen Ruck gab und zum Brieföffner griff.
„Von der Queen höchstpersönlich“, brummte er, was Fritzchen, den jüngsten und kleinsten der Engel, zu der Frage veranlasste: „Wer ist denn das, die Queen?“
Der alte Mann hielt in seiner Bewegung inne und sah den neugierigen Engel an. „Das ist Susannah Charlotte, Königin von Weitland, Karoland und Delfinien, um nur einige ihrer Länder zu nennen. Was hat sie Weihnachten geliebt, als sie ein kleines Mädchen war! Einmal schaffte sie es sogar, die ganze Heilige Nacht über wach zu bleiben. Sie saß am Fenster und blickte unverwandt in den Himmel, da sie mich unbedingt sehen wollte; mich oder das Christkind oder zumindest die leuchtend rote Nase von Rudolf, meinem Rentier. Da gab es aber nichts außer einem bisschen Sternenflimmern.“

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Der Weihnachtsmann lächelte bei der Erinnerung, wurde dann aber schnell wieder ernst. „Heute hat Weihnachten allen Glanz und Zauber für sie verloren und ist reines Geschäft geworden. Sie ist eine alte Frau, eine strenge und unerbittliche Regentin, die von Regeln, Vorschriften und Disziplin gefangen gehalten wird. Es ist, als hätten sich stählerne Ringe um ihr Herz gelegt!“

Mit einem Seufzer riss er den Umschlag endlich auf und entnahm ihm einen Stapel Blätter. Fritzchen beobachtete, wie sein Gesichtsausdruck sich allmählich von Staunen zu Ärger verwandelte. Schließlich warf der Alte den Brief auf den Schreibtisch und rief: „Blitz, trommle bitte sofort alle zu einer Besprechung zusammen: Ruprecht, Christkind, Nikolaus und Befana, die italienische Weihnachtshexe. Nimm den Rentierschlitten. Ach, und Rudolf soll dann auch bei der Versammlung erscheinen!“

Kurze Zeit später saßen alle um den runden Tisch im Esszimmer des Weihnachtsmannes. Fritzchen sauste zwischen dem Tisch und der Küche hin und her, um die Gäste mit Kakao und Weihnachtsgebäck zu versorgen. Dabei versuchte der kleine Engel, so viel wie möglich von dem Gespräch aufzuschnappen.
„Ihr habt also auch alle eine Einladung der Königin bekommen?“, hob der Gastgeber an zu sprechen. „Ach, was sage ich, Einladung! Es ist eher ein Befehl, zu ihrer Weihnachtsfeier anzutreten!“
„Was glaubt die Alte eigentlich, wer sie ist?“, knurrte Ruprecht finster.
Nikolaus stimmte ihm zu: „Sie hat doch gar keine Ahnung mehr von Weihnachten!“
„Aber“, gab das Christkind zu bedenken, „sie hat inzwischen gemerkt, dass ihr ohne den Festzauber ihrer Kindheit etwas fehlt. Sie versucht eben auf ihre Weise, dieses Gefühl wiederzufinden!“
„Ihre Weise ist aber falsch! So wird sie nichts von dem, was sie sucht, jemals wiederentdecken“, rief Ruprecht aufgebracht.

„Und die seitenlangen Vorschriften, die sie uns macht! Da soll ich mich doch glatt in einen dunklen Anzug zwängen und eine dezente Krawatte tragen“, meuterte der Nikolaus, „und rasieren müssen wir uns am Ende auch noch!“, fuhr er mit einem Blick auf seinen und den weißen Rauschebart des Weihnachtsmannes fort.
„Mich will sie im Kostüm und mit elegantem Hut sehen! Erwartet sie vielleicht, dass ich Schuhe mit hohen Absätzen trage?“, kicherte Befana,
die alle nur in einem geflickten Rock und unförmigen Stiefeln kannten.
„Und Rudolf muss eine tierärztliche Bescheinigung haben, dass er gegen Tollwut geimpft und gegen Würmer und Flöhe behandelt wurde“, beschwerte sich der Weihnachtsmann. „Und Benimmregeln noch und noch! Sogar dafür, worüber wir mit der Königin sprechen dürfen, gibt es Vorschriften! Also, wenn ihr mich fragt - ich gehe da nicht hin!“
Die anderen nickten zustimmend.
Da zupfte etwas am Bart des Weihnachtsmannes. Er beugte sich zu Fritzchen hinab und lauschte dem, was der kleine Engel ihm ins Ohr wisperte. Nach und nach breitete sich ein Lächeln auf dem Gesicht des alten Mannes aus, bis er schließlich schallend lachte. „Fritzchen, du bist ein Goldstück! Genau das werden wir tun“, rief er.

Susannah Charlotte begab sich zur Ruhe. Sie sah auch im Bett diszipliniert und respekteinflößend aus, was aber außer ihrer Zofe nie jemand zu sehen bekam. Diese hatte sich gerade zurückgezogen und die Königin schloss die Augen. Im Geiste ging sie noch einmal Sitzordnung und Menüfolge für die morgige Weihnachtsfeier durch. Endlich hatte sie beschlossen, sich den Kindheitstraum zu erfüllen und all die ewig unsichtbaren Weihnachtsgeister einzuladen. Dem Blick eines Kindes mochten sie sich entziehen können, aber nicht dem Befehl einer mächtigen Königin. Über diesen Gedanken schlief sie ein.
Nicht lange, und ein lautes Poltern ließ sie hochschrecken. Vor ihrem Bett stand ein rotgekleideter Mann. Die Monarchin wollte nach ihren Dienern rufen, doch der Eindringling hielt ihr kurzerhand den Mund zu, während er sie aus dem Bett hob, zum Kamin hinübertrug und den Aufstieg zum Dach begann. Das wurde zwar sehr erschwert durch die sich heftig zur Wehr setzende Königin, aber endlich saß sie sicher im Rentierschlitten. Hier oben konnte keiner ihr Protestgeschrei hören.
In rascher Fahrt ging es zum Himmelstor, das sich lautlos öffnete und den Weg zum Haus des Weihnachtsmannes freigab.

Drinnen umfing sie die Wärme eines knisternden Kaminfeuers. Es duftete nach dem in der Raummitte stehenden Tannenbaum, nach Punsch, Lebkuchen und Zimt, nach Äpfeln und Mandarinen, nach Kerzen und Schokolade.
Doch keiner dieser Wohlgerüche drang zu Susannah Charlotte vor. Sie sperrte sich gegen alles, was um sie herum geschah, saß stocksteif auf dem ihr zugewiesenen Sessel und machte ein säuerliches Gesicht. Die Königin war ganz eindeutig nicht amüsiert, aber sie bewahrte Haltung, wie sie das seit ihrer Kindheit gelernt hatte.
Eine Schar von Engeln wuselte um sie herum, sang Weihnachtslieder, bot ihr Spekulatius an und gab sich größte Mühe, das Interesse der Besucherin zu wecken.
Die Königin verspürte einen feucht-warmen Luftzug im Nacken. Sie drehte sich um und sah die leuchtende Nase von Rudolf hinter sich. Sie musste sich zwar beherrschen, keinen Schrei auszustoßen, aber sie hatte schon ganz andere Schrecken überstanden, ohne mit der Wimper zu zucken.
Da schob sich eine kleine Hand in die ihre. Gleichzeitig hörte sie ein fröhliches Stimmchen: „Darf ich auf deinen Schoß kommen?“ Und noch ehe Susannah Charlotte entschieden ablehnen konnte, war Fritzchen schon hochgeklettert, streichelte über ihre faltige Wange und fragte: „Bist du wirklich Susa?“ Die Königin blinzelte: „Susa?“ Eine Erinnerung stieg langsam wie aus weiter Ferne auf. Sie sah das kleine Mädchen vor sich, das sie einst gewesen war, und einer der stählernen Ringe, der die Monarchin gefangen hielt, löste sich.
„Stimmt es, dass du eine ganze Nacht wach am Fenster gesessen hast, um den Weihnachtsmann zu sehen?“, schwatzte der Engel weiter.
Tränen traten in die Augen der alten Dame, als sie sich an jene Nacht erinnerte. Sie nickte, und ein weiterer Ring sprang auf.
Wie aus einem tiefen Schlaf erwacht, sah sie sich um und entdeckte alles, was sie als Kind so geliebt hatte. Ihre Augen wanderten im Raum umher, ihre Nase nahm die altvertrauten, aber lange vergessenen Gerüche wahr, sie summte die Melodien der bekannten Weihnachtslieder mit.
Fritzchen legte seine Arme um ihren Hals und flüsterte: „Und jetzt feiern wir Weihnachten!“
Es wurde ein zugleich besinnliches und fröhliches Fest. Haltung und Disziplin hatte die strenge Königin abgelegt. Alles, was sie aus ihrer Kindheit kannte, war wieder da und, mehr noch, sie feierte mit all den Personen, die sie früher vergeblich zu sehen versucht hatte. Es war das schönste Weihnachtsfest ihres langen Lebens.
Weit nach Mitternacht brachte der Weihnachtsmann die glückliche Königin in ihren Palast zurück, wo sie sofort in einen tiefen Schlaf fiel.

Kaum hatte das Morgengrauen eingesetzt, da sprang Susannah Charlotte, ohne wie gewöhnlich auf ihre Zofe zu warten, aus dem Bett und rannte mit wehendem Morgenmantel durch das Schloss, sehr zum Erstaunen aller Bediensteten. „Legt mehr Gedecke auf!“, rief sie ihnen mit fröhlicher Stimme zu. „Ändert das Menü! Es soll Gänsebraten, Rotkohl und Knödel geben statt Austern, Hummer und Kaviar! Ich will Äpfel und Zimt riechen! Stellt einen Tannenbaum auf und schmückt ihn! Ach nein, schmückt ihn nicht, das will ich selbst machen! Ladet das Volk von der Straße ein! Und Kinder, viele Kinder! Heute wird Weihnachten gefeiert!“

©Eva Zimmermann

Erschienen in InEsAnthologien / Literarische Bescherung - HoHoHo. Christkind, Engel und co.
epubli - ISBN 978-3-7502-5571-5

*mit freundlicher Genehmigung der Autorin Eva Zimmermann

*Erschienen in InEsAnthologien /  Literarische Bescherung - HoHoHo. Christkind, Engel und co. / epubli - ISBN 978-3-7502-5571-5

Heinz Riedel
Licht in dunkler Nacht

Der Mann auf dem Stuhl saß einsam in Kälte und Dunkelheit der Stube am Tisch. Auch im Herzen des Mannes war es dunkel. Nur hin und wieder ein tiefes Aufatmen verriet, dass Leben in der zusammengesunkenen Gestalt war.

Die Gedanken drehten sich im Kreis.

Das Glück mit der geliebten Frau, ihr plötzlicher Tod, der grausame Schmerz und dann der Alkohol — die Unterschlagung, das Gefängnis und nun seit Wochen Arbeitssuche ohne Erfolg, überall gingen die Leute auf Distanz mit dem Vorbestraften. Wie soll es weitergehen?

Der Mann hatte alles veräußert, um den größten Teil seiner Schulden zu bezahlen.

Nun saß er in seiner kalten Stube, und es hungerte ihn.

Er erhob sich, wollte das trostlose Zimmer verlassen. An diesem lichtlosen Abend des zweiten Advent, erinnerte er sich an sein Stammlokal am Rande der Stadt.

Dort kam ihm nur eine zurückhaltende Erwiderung seines Grußes, aber kein frohes "Hallo" entgegen, das ihn früher so schnell in den Kreis der lustigen Menschen geführt hatte.

Der Mann zog sich an einen Tisch in der Ecke zurück und wartete. Er schaute dem Wirt entgegen und suchte in dessen Gesicht nach der alten Herzlichkeit. Die abweisende Haltung des Wirtes und die höfliche Verbindlichkeit statt der freundlichen Worte von damals machten es dem Mann unmöglich, seine Bitte zu    äußern. Nein — hier hatte er doch keinen Kredit mehr.

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"Lass gut sein, ich will wieder gehen", murmelte der Mann und verließ die Gaststube.

Es war ihm gleich, wohin der Weg ihn führte. Er spürte nur die kalte

Dezemberluft, die ihm jetzt wohler tat als die Wärme in der Gastwirtschaft.

Die Stille des Abends und die raumgreifenden Schritte gaben seinen aufgewühlten Gedanken Ruhe und Klarheit. Er konnte über seine Lage nachdenken.

Der zwar in Dunkelheit gehüllte, aber von der Stadt fortstrebende Weg wies ihm gleichsam das Ziel. "Du musst die Vergangenheit überwinden, musst fort von hier, musst einen neuen Anfang suchen! "So dachte der Mann und wusste, dass er gütige Menschen dazu brauchte.

Nun, da er seine Lethargie überwunden hatte, wurde ihm auch klar, welchen Weg er gegangen war. Bald nach der nächsten Kreuzung würde die Straße durch Seifersdorf führen. Dort wollte er dann umkehren.

Kurz vor der Straßenkreuzung hörte der Mann ein klägliches Weinen. Er ging darauf zu und fand einen Jungen, der sich an einen Straßenpfahl gelehnt hatte. "Nun, nun, hab keine Angst und weine nicht, tröstete der Mann. Er hockte sich vor den Jungen hin, legte dem zitternden Jungen seine Jacke um und sprach freundlich auf ihn ein. Das löste die Zunge des Kindes.

"Ich war bei meinem Freund weit außerhalb unseres Dorfes. Dort haben wir die Zeit verspielt, dass ich beim Heimweg in die Dunkelheit geriet. Ich bin aber nachtblind, da konnte ich bald nichts mehr sehen. "

"Komm nur, mein Junge, ich will dich gern ins Dorf führen und dich zu deinen Eltern bringen", versprach der Mann. Er nahm den Jungen an die Hand und führte ihn die Straße entlang.

Das sich rasch erwärmende Händchen, das vertrauensvoll in seiner großen Hand lag, erwärmte auch das Herz des Mannes.

Er erinnerte sich, dass heute der zweite Advent war, und begann, dem Jungen zu erzählen, wie er Advent und Weihnachten als Kind erlebt hatte. "Heute aber", so schloss der Mann seine Berichte, "heute ist der schönste Adventssonntag meines

Lebens, weil ich einem Jungen in seiner Ratlosigkeit helfen konnte."

Da zog der Junge heftig an der Hand des Mannes und fragte beim Stehenbleiben: "Und ich, kann ich dir auch helfen?"

"Ach Kind, wenn du wüsstest, wie sehr du mir schon geholfen hast! " antwortete der Mann.

Die beiden Wanderer hatten das Dorf erreicht. Auf die Frage des Mannes, wie er das Elternhaus des Jungen finden könnte, erhielt er zur Antwort: "Das sechste Haus auf der rechten Seite."

Dort warf das Außenlicht über der Tür einen hellen Schein auf die Straße. Der Mann wollte sich von dem Jungen verabschieden.

Im gleichen Augenblick ging die Haustür auf. Die Eltern des Jungen waren im

Aufbruch, den Vermissten zu suchen. Sie nahmen ihn in ihre Arme und baten den Mann ins Haus.

Im hellen Licht der Stube sahen die Eltern das ganze Elend des Mannes. Die Mutter stellte für den späten Gast ein schnell bereitetes Abendbrot auf den Tisch, der Vater setzte sich dem Mann gegenüber und sprach mit ihm.

Die warme, gemütliche Stube und die Freundlichkeit der drei Menschen um ihn, öffneten das verzagte Herz des Mannes. Und es quoll aus ihm heraus, quoll heraus und ließ Not und Verzweiflung dunkle Schatten zeichnen.

Während der Junge am Adventskranz zwei Kerzen ansteckte, hörte der Vater dem Mann zu. Er erkannte den aufrichtigen Wunsch des Mannes, ein neues Leben zu beginnen, und sagte mit Nachdruck: "Das muss für Sie nun vorbei sein. Die Schuld ist gebüßt, sie darf Sie nicht mehr belasten.

"Das sagen Sie so", seufzte der Mann, "wohin ich komme, immer hängt es mir an." "Sie dürfen sich nichts daraus machen", ermunterte der Vater, "die Leute sehen eben nicht, wie unser Junge und wir Sie erleben, so  wie Sie wirklich sind." "Das haben Sie schön gesagt sprach der Mann und sein Gesicht entspannte sich, "ich danke Ihnen, das war ein gutes Wort." "Ach was, Worte allein helfen nicht viel.

"Doch, o doch, mir ja. Ihre gute Meinung über mich stärkt mich ebenso wie das Vertrauen Ihres Jungen unterwegs. Ich sehe ein Licht in der Ferne, weiß nur noch nicht, wie ich's werde fassen können."

"Ich will Ihnen helfen dabei. Wir wollen es nicht bei Worten bleiben lassen." Vier Augenpaare sahen in die flackernden Kerzen am Kranz. In die Stille fiel die Bitte des Jungen: "Vater, lies doch etwas vor!" Und der Vater schlug Jesaja 60 auf und las:

Mache dich auf, werde Licht! Denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir.

Die Lichter am Kranz erloschen; aber in den Herzen der vier Menschen am Tisch war große Helligkeit zurückgeblieben.

Der Mond hatte die Wolkenschicht vertrieben und leuchtete durch die Nacht. "Heut habe ich ein Wunder erlebt", sagte der Mann, "aus dunkler Nacht wird heller Schein."

 

*Mit freundlicher Genehmigung von Peter Riedel

*mit freundlicher Genehmigung von Peter Riedel (Sohn) - mehr zu seiner Person finden Sie auf seiner Vereins-Homepage


Gisela Brix
Suse ist beim Christkind

In der Kindheit ist die Weihnachtszeit geheimnisvoll wie ein Märchen und voller Wunder. Als Erwachsener glaubt man nicht mehr an solche Wunder und doch gehen gerade in
dieser Zeit die Gedanken zurück in die Kindheit und zu dem, was man dort erlebte.

Ich erinnere mich an einen Morgen in der Adventszeit als ich vergnügt aufwachte, denn ich hatte vom Christkind und von Engeln geträumt. Schnell sprang ich aus dem Bett, um Suse
davon zu erzählen. Suse war meine Puppe. Sie hatte Haare,die man flechten konnte und wenn man sie hin legte, schloss sie ihre Augen und sagte: „Mama“. Ich liebte Suse so sehr wieein Mädchen seine Puppe nur lieben konnte.

Ich lief zum Puppenwagen und blieb dort wie angewurzelt stehen. Der Wagen war leer. Entsetzt rief ich: „Suse ist weg“ und lief aufgeregt zu meiner Mutter. Lächelnd sagte meine
Mutter, dass Suse wohl beim Christkind wäre. Als ich sie verständnislos anschaute, erzählte sie, dass in der Adventszeit manchmal Engel auf die Erde geschickt werden, um Puppen von kleinen Mädchen zu holen und zum Christkind zu bringen. Sie sind dort eine Weile zu Besuch und werden am Heiligen Abend wieder zurück gebracht.

Sie nahm ein silbernes Fädchen aus Suses Puppenwagen und sagte, dass es ein Haar von dem Engel sei, der Suse geholt habe. Obwohl das Fädchen wie Lametta aussah,
glaubte ich ihr und war beruhigt. Damals war ich nämlich fest davon überzeugt, dass meine Mutter alles wusste.

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Im gleichen Moment entdeckte ich neben dem Puppenwagen einen Schuh von Suse und zuckte vor Schreck zusammen. Wenn Suse beim Christkind ankam und die anderen Puppen sahen, dass sie nur einen Schuh trug, würde sie von denen ausgelacht werden und das durfte nicht sein. Angestrengt überlegte ich, was ich tun konnte. Am Abend stellte ich den Schuh von Suse auf die Fensterbank und bat das Christkind, noch einmal einen Engel zu schicken, um den zweiten Schuh zu holen. Als Dankeschön für den Engel legte ich einen Spekulatius neben den Schuh und ging ins Bett. Am nächsten Morgen war beides nicht mehr da und ich war zufrieden.

Und doch machte ich mir Sorgen, ob der Engel des Christkinds Suse an Weihnachten wieder zu mir zurück brächte. Bei den vielen Puppen konnte schon mal vergessen werden, zu wem Suse gehörte. Es wäre schrecklich, wenn Suse zu einem anderen
Mädchen gebracht würde. Und so erinnerte ich das Christkind jeden Abend vor dem Einschlafen daran, wo Suse zuhause war.

Die Zeit bis Weihnachten verging in diesem Jahr besonders langsam. Als der Heilige Abend gekommen war, konnte ich vor Aufregung nicht still sitzen. Immer wieder horchte ich, ob das Glöckchen klingelte. Endlich war es soweit. Ich hörte die hellen
Töne des Weihnachtsglöckchens und lief in die Stube. Wie gebannt blieb ich stehen. Der Christbaum strahlte im Kerzenlicht, die Kugeln schimmerten und der Stern auf der
Spitze des Baumes leuchtete heller als die Sterne am Himmel.

Als ich mich staunend umschaute, entdeckte ich meine Suse. Sie saß neben dem Weihnachtsbaum, hatte beide Schuhe an und sah wunderschön in ihrem neuen gehäkelten rosa Kleidchen aus. Ihre Haare waren gekämmt und zu glänzenden Zöpfen geflochten, die von Zopfspangen mit grünen Schmetterlings-Motiven zusammen gehalten wurden. Glücklich nahm ich Suse in meine Arme - endlich war sie wieder da.

Erst dann bemerkte ich meine Geschenke. Unter dem Weihnachtsbaum lagen ein gehäkelter rosa Pullover, der genauso aussah wie Suses Kleidchen und die gleichen Zopfspangen mit grünen Schmetterlingen wie Suse sie in ihren Zöpfen trug. Meine
Freude war so groß, dass ich mich wie im Himmel fühlte.Immer wieder schaute ich an diesem Abend meine Suse an und nickte ihr lächelnd zu. Und oft meinte ich, dass auch
sie lächelte und mir zunickte.

Plötzlich spürte ich, wie meine Mutter ihren Arm um mich legte. Liebevoll sagte sie: „Ich verspreche dir, dass deine Puppe nie mehr wieder fort geholt wird. Ich werde mit dem Christkind darüber reden.“ Sie hielt ihr Versprechen und Suse blieb
immer bei mir.

Das rosa Kleidchen und den rosa Pullover gibt es schon lange nicht mehr, doch Suse ist immer noch da und erinnert mich an den Zauber einer längst vergangenen Zeit.

(c) Gisela Brix

Mit freundlicher Genehmigung der Autorin Gisela Brix!

Harald Goerke
Frieda und ihr schönstes Weihnachtsgeschenk

Rums. Krach. Stille.
Frieda, 9 Jahre, erwachte in völliger Dunkelheit. Sie hörte Geräusche und dumpfe Stimmen. Sie lag im Kellerdurchbruch von einem Haus zum anderen auf einem Feldbett.
Sie hatte geschlafen und war erwacht. Sie sah nicht die Hand vor Augen. Sie rief: „Mama!“ Es gab keine Antwort.
Ihre Stimme klang dumpf. Das kam ihr ganz komisch vor. Wie von Ferne hörte sie dumpfe Stimmen, die irgendetwas riefen. Sie konnte es nicht verstehen. Es rumpelte weit weg.
Etwas später wusste sie, dass es Steine waren, die da klapperten. Dann mit einem Male sah sie einen kleinen Lichtschimmer, der immer größer wurde. Sie hörte ihren Namen rufen.
„Mama!“, rief sie als Antwort. Momente später war das Loch so groß, dass sie aufgefordert wurde hindurch zu kriechen. 
Friedas Mutter nahm sie glücklich und unverletzt in die Arme.
Was war geschehen?
Eine Fliegerbombe hatte das Haus getroffen, sodass der Kellerdurchgang zugeschüttet war und nur ein kleiner Hohlraum übrig blieb, in dem Frieda schlief.
Im Nachbarhaus, welches nichts abbekommen hatte, wohnte Frieda mit ihrer Mutter auf zwei kleinen, zugigen Zimmer mit wenigen Möbeln.
Ihren Vater hatte sie nie kennengelernt.

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Frieda hatte den Schock gut verkraftet und freute sich auf das kommende Weihnachtsfest. 
Trotz Lebensmittelknappheit 1944 schafften es die Nachbarn, Mehl, Zucker und etwas Butter aufzutreiben, um zusammen Weihnachtsplätzchen zu backen. Überall roch es wunderbar.
Sie konnte sich nicht erinnern, dass es mal so schön gerochen hatte.

Der Krieg kam immer näher und den Kindern wurde von der Polizei untersagt, die Schulen zu besuchen, da es zu gefährlich war und die alten Lehrer, die nicht als Soldaten
eingezogen worden waren, mit den Kindern nicht rechtzeitig Bunker oder Keller aufsuchen konnten.
Dann kam der Heilige Abend.
Gemeinsam mit der Mama besuchte Frieda den Kindergottesdienst in der nahe gelegenen kleinen, halb zerstörten, Kirche.
Frieda durfte den Altarraum betreten und das Lied „Stille Nacht, Heilige Nacht“ singen, welches sie mit der Gemeindeschwester vorher eingeübt hatte.
Was in einer Kirche selten vorkam, die anwesenden Kinder und Erwachsenen klatschen Beifall.
Frieda erfreute das mit großem Stolz. Singen war ihre Leidenschaft. Für ein paar Stunden vergaßen alle den herrschenden Krieg, waren froh gelaunt und wünschten sich Frohe Weihnachten.
Zuhause angekommen empfing Frieda ein gedeckter Gabentisch. Es waren die schönsten Geschenke, die sie in ihrem Leben bekommen hatte. Sie fiel ihrer Mama um den
Hals und dankte ihr mit Freudentränen, die ihr an den Wangen herunterliefen.
Was war da alles zu sehen und sollte ihr gehören: Ein bunter Teller mit ein paar Weihnachtsplätzchen, einen Kamm, ein Stück Seife und eine Zahnbürste.

© Harald Goerke

*Erschienen in der Anthologie 60 wunderbare Geschichten ...

*Erschienen in der Anthologie 60 wunderbare Geschichten ...

*mit freundlicher Genehmigung von Harald Goerke - zu seiner Amazon-Autorenseite.


Gabriele Maricic-Kaiblinger
Das Kind in der Krippe

„Ich will es nicht! Ich lass es wegmachen", kreischte Karin ihre Eltern an.

Weiß der Teufel, woher die wussten, dass sie schwanger war. Sie selbst wusste es ja erst seit einer Woche sicher.

Nachdem sie den ersten Schock überwunden gehabt hatte, hatte sie es Ernst, ihrem Mann, erzählt und dieser überrascht reagiert. Weder positiv, noch negativ, sondern einfach nur überrascht. Sie waren erst fünf Monate verheiratet und beide noch jung mit ihren ein- und dreiundzwanzig Jahren. Beider Eltern hatten von so einer jungen Ehe abgeraten, aber sie hatten sich durchgesetzt. Kinder waren noch kein Thema für sie gewesen. Ernst arbeitete als Elektroverkäufer und hatte die Chance, in zwei Jahren zum Filialleiter aufzusteigen. Karin war Friseurin und wollte im nächsten Jahr die Meisterprüfung ablegen. Sie hatten eine kleine Wohnung gemietet, gingen oft mit Freunden aus und freuten sich schon auf die vielen Reisen, die sie geplant hatten. An eigene Kinder wollten sie, wenn überhaupt, frühestens in sechs Jahren denken. Und nun das!

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Wenn ich den erwische, der die Pille erfunden hat, wenn sie doch nichts nützt, hatte Karin voll Zorn gedacht, als sie vom Arzt nach Hause gegangen war.

Den Eltern hatten sie es eigentlich nicht erzählen wollen, denn deren Einstellung kannten sie. Abtreibung war da zutiefst verpönt.

„Du tötest Leben“, sagte Karins Mutter noch verhältnismäßig ruhig.

„Das ist noch kein Leben!“, schrie Karin.

„Ab dem Zeitpunkt der Befruchtung ist es Leben. Nach ein paar Wochen schlägt bereits ein Herz.“ Ihre Mutter versuchte sachlich zu bleiben.

„Es ist   m e i n   Bauch!“

„Daran hättest du früher denken müssen.“

Es war sinnlos, mit ihrer Mutter zu diskutieren. Sie hatte ihre feste Überzeugung und Karin ebenso. Karins Vater sagte nichts. Er blickte sie nur mit traurigen Augen an, was Karin jedoch näherging, als wenn er getobt hätte. Ernst war ihr gleichfalls keine Hilfe, obwohl der doch einer Abtreibung zugestimmt hatte, als sie allein darüber gesprochen hatten.

Als sie nach Hause fuhren, meinte Ernst plötzlich: „Was meinst du, ob wir das Baby nicht doch bekommen sollten?“

Karin starrte ihn entgeistert an. „Sag mal, spinnst du? Du hast doch selbst gesagt … wir waren uns doch einig!?“

„Ich meine ja nur. Ob jetzt oder später ...“

„Was?! Meine Eltern haben dir wohl das Gehirn vernebelt. Was wird aus unseren Reisen?“

„Verschieben wir.“

Karin sagte nichts mehr. Sie war zu empört, um noch mal was zu sagen.

Am nächsten Tag ging sie zum Arzt und ließ sich einen Termin zur Abtreibung geben. Schweigend legte sie am Abend den Terminzettel auf Ernsts Teller. „21. Dezember“ stand darauf. Ernst schwieg ebenfalls, als er es gelesen hatte. Er legte den Zettel nur beiseite und aß dann. Sie sah ihn erwartungsvoll an, aber er blickte nur einmal vom Essen auf, sein Blick verweilte kurz nachdenklich auf ihrem Gesicht und – das war's dann schon. Noch vier Wochen bis zum Termin. Noch ein paar Wochen Bedenkzeit, hatte der Arzt gesagt. Aber für Karin gab es nichts mehr zu bedenken.

Der Alltag verlief wieder wie gewohnt. Beruflich wie privat. Ernst sprach nicht über die Abtreibung, und so schnitt ebenso Karin das Thema nicht an.

Am dritten Adventsonntag besuchten Karin und Ernst die Hl. Messe. Nach der Messe, als alle Leute gegangen waren, zündeten sie noch eine Kerze an. Dazu mussten sie bis nach vorne gehen, und da bemerkten sie, dass in der großen Krippe bereits das Jesuskind lag.

„Merkwürdig“, sagte Karin zu Ernst, „das wird doch normalerweise erst an Hl. Abend reingelegt.“

Ernst zuckte nur die Schulter. „Werden schon einen Grund haben.“

Karins Blick blieb eine Weile auf dem Kind haften, unwillkürlich strich sie sich über ihren Bauch. Und das Antlitz des Kindes in der Krippe schien ihr plötzlich so lebendig, dass sie tief im Inneren davon berührt wurde.

Auch am nächsten Tag ging ihr dieser Ausdruck nicht aus dem Sinn, und sie machte sich Gedanken, was ihr Baby wohl für Gesichtszüge haben würde. Über diese Gedanken erschrak sie selbst.

Werd' ich jetzt verrückt? Bin froh, wenn ich die Abtreibung endlich hinter mir habe.

Eine Woche später gingen sie wieder zur Messe. Schulkinder führten ein Weihnachtsspiel auf.

„Ach deshalb lag das Kind wohl schon früher in der Krippe, die mussten ja proben“, flüsterte Karin Ernst zu. Dieser nickte.

Sie hatten die Kirche bereits verlassen, als Karin auf einmal sagte: „Komm, lass uns nochmal reingehen.“

„Warum?“

„So halt.“

Er tat ihr den Gefallen.

Auf einmal ging Karin ganz schnell, als würde sie gezogen. Vor der Krippe blieb sie stehen. Noch ausdrucksvoller fand sie heute die Gesichtszüge des Kindes. Ganz ernst kam es ihr vor, doch plötzlich schien es zu lächeln, ja gar zu strahlen.

Was ist das nur? Warum berührt mich das so tief?

Erst als Ernst sie am Arm zupfte, wandte sie ihren Blick ab.

„Willst du hier übernachten?“, fragte er.

Sie gab keine Antwort.

„Hast du Angst?“, fragte Ernst am Tag vor dem Abtreibungstermin.

Karin schüttelte verneinend den Kopf.

„Ich komme mit, wenn du möchtest.“

„Nein! Auf keinen Fall!“

Am nächsten Tag, als Ernst von der Arbeit heimkam, rief Karin ihm gleich entgegen: „Musste verschoben werden, der Termin.“ Sie versuchte, das Leuchten in ihren Augen zu verbergen.

„Ach ...“, entfuhr es Ernst, und Karin konnte nicht deuten, ob es ein erfreutes oder ein enttäuschtes „Ach“ war.

Den Heiligen Abend wollten Karin und Ernst alleine verbringen. Die Verwandtschaftsbesuche sollten am 25. drankommen. Karin hatte einen kleinen Baum geschmückt. Sie sangen sogar ein paar Weihnachtslieder. Beim Essen schob Karin Ernst ein Kuvert, umwickelt mit roten Schleifen, hin.

„Was … wir wollten uns doch nichts schenken ...“

„Das wird dir bestimmt gefallen.“

Ernst öffnete das Kuvert und zog einen Zettel heraus. Es war der Zettel, auf dem „21. Dezember“ stand. Aber nun war das Datum dick und rot durchgestrichen. Ernst sah Karin fragend an.

„Nicht verschoben. Abgesagt“, sagte sie und diesmal verbarg sie das Leuchten in ihren Augen nicht mehr.

 

(c) Gabriele Maricic-Kaiblinger

*Eine Geschichte von Gabriele Maricic-Kaiblinger

Christina Telker
Ein Haar vom Christkind

Leise fiel der Schnee vom Himmel. Vom Vollmond begleitet, schritt das Christkind, in der vor Frost klirrenden Nacht behutsam durch den Wald, einen schweren, voll beladenen Schlitten hinter sich her ziehend. Behutsam streifte es die Zweige der Tannen beiseite, möglichst keine Unruhe zu verursachen, um die Tiere des Waldes nicht zu erschrecken. Bei der alten, dicken Kiefer in mitten der Schonung angekommen, lud es die mitgebrachten Gaben vom Schlitten und legte sie appetitlich angeordnet, um den Stamm des Baumes aus. ‚Auch meine geliebten Tiere brauchen ein Christfest‘, dachte es bei sich. ‚Sie haben es schwer genug in  diesem kalten Winter. ‘ Als der Schlitten gänzlich geleert war, betrachtete das Christkind mit einem Lächeln sein Werk. ‚So jetzt könnt ihr kommen. Ich wünsche euch ein gesegnetes Christfest‘, dachte es und zog sich mit seinem Schlitten in die Schonung zurück. Von hieraus beobachtete es das Ganze noch eine Weile. Erfreute sich daran, als es sah, daß der erste Hase vorsichtig heran hoppelte und begann, die Möhre mit Genuß zu verspeisen. Als das Christkind sah, dass sich der ‚Gabenbaum‘ wohl nach und nach im Wald herumgesprochen hatte, zog es sich endgültig in die Schonung zurück.

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Eng war der Weg zwischen den schwer mit Schnee beladen Tannen zurück. So geschah es wohl, dass das eine oder andere goldene Haar des Christkinds in den Zweigen hängen blieb. Bei Morgengrauen erschien der Förster, um ebenfalls seinen Tieren den Tisch zu decken, so sah er, dass bereits ein anderer vor ihm im Walde gewesen war. Nur wenige Reste erinnerten unter der alten Kiefer an das Festmahl. ‚Wer kann das nur gewesen sein‘, überlegte der Förster. Meinte er doch diesen Platz, unter der alten Kiefer, nur alleine zu kennen. Als er sich so umblickte und nach Spuren des nächtlichen Spenders suchte, entdeckte er plötzlich in manchen Zweigen der Tannen ein feines, zartes Glimmern.

Im ersten Moment hielt er es für die Strahlen, der gerade aufgehenden, Sonne. Beim Nähertreten erkannte er jedoch schnell, dass dies ein Irrtum war. Behutsam nahm er einen dieser goldenen Fäden in die Hand, um ihn zu betrachten. ‚Das Christkind war hier‘, kam ihm plötzlich die Erkenntnis. Mit viel Vorsicht sammelte er die wenigen Haare des Christkinds von den Tannen der Schonung und nahm sie mit heim.

Als er am nächsten Morgen den Christbaum für seine kleine Tochter schmückte, hing er diese goldenen Haare in die Tanne. Welch ein Jauchzen erfüllte am Abend das Weihnachtszimmer als das kleine Mädchen die goldenen Fäden im Christbaum entdeckte. Auch die Frau des Försters war begeistert von diesem besonderen Schmuck ihres Baumes und so machte sie sich ihre eigenen Gedanken. Als im nächsten Jahr wieder der Baum geschmückt wurde, erbat sie sich einen Moment allein im Weihnachtszimmer zu sein, von ihrem Mann. Dieser wunderte sich zwar, aber ließ es mit einem Schmunzeln geschehen. Als sich am Abend zur Bescherung die Tür zum Weihnachtszimmer öffnete, glitzerte der Christbaum wie im Märchen. Jedes Stück Glanzpapier hatte die Mutter das Jahr über aufgehoben und in feinste Streifen geschnitten. Hiermit hatte sie nun den Baum geschmückt. Wie staunten an den Weihnachtsfeiertagen die Gäste, die bei der Försterfamilie einkehrten. Solch einen Baum wollten auch sie gerne haben. So hielt nach und nach das Lametta Einzug in die Weihnachtszimmer. Auch heute erfreuen wir uns noch daran.

© Christina Telker

*mit freundlicher Genehmigung der Autorin - Zur Internetseite von Christina Telker

Eva Zimmermann
Warum Martha ihr Weihnachtsgeschenk erst zu Ostern bekam

Der Weihnachtsmann war zufrieden mit seiner geleisteten Arbeit. Da die Ladung seines Schlittens umfangreicher denn je gewesen war, hatte sein Rundflug um die Welt in diesem Jahr noch länger als zu den vergangenen Weihnachtsfesten gedauert. Der alte Mann lehnte sich behaglich in seinem gepolsterten Sitz zurück, zog die Felldecke bis zum Kinn und gähnte. Er war von der anstrengenden Nacht rechtschaffen müde. Auch Fritzchen, der kleinste und jüngste Engel unter den Helfern des Weihnachtsmanns, machte einen schläfrigen Eindruck.
Nur ein einziges Kind war noch zu beschenken: die kleine Martha, die in einem weit abgelegenen Haus am Waldrand wohnte. Ein liebes Mädchen, für das die allerletzten Päckchen in dem Jutesack hinten auf der Ladefläche vorgesehen waren.
Als eines der Rene den Kopf wandte, sah es, dass der Weihnachtsmann eingenickt war. Das Zugtier machte seine Kameraden darauf aufmerksam und alle drehten sich kichernd um. Durch diese kurze Unaufmerksamkeit kam der Schlitten leicht ins Schlingern. Niemand, nicht einmal Fritzchen, merkte, dass dabei der letzte, fast geleerte Sack hinunterfiel.

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Mit sanftem Ruck hielt der Schlitten auf dem Dach von Marthas Haus und riss den alten Mann aus seinem Nickerchen. Er schrak auf, rieb sich die Augen und griff hinter sich, stutzte, schob seine Hand suchend von links nach rechts und wandte schließlich den Kopf um. Nichts! Kein Sack, keine Päckchen! Er erstarrte einen Augenblick vor Schrecken, rief dann aber seinen Renen zu: „Gut, gut! Ihr Schlingel habt mir einen Streich gespielt, weil ich eingeschlafen bin. Ihr habt mich ja schön reingelegt! Aber nun rückt Marthas Geschenke wieder raus!“
Verwundert sahen die Tiere einander an. Sie waren damit beschäftigt gewesen, den Schlitten durch die Lüfte zu tragen, wie sollten sie da die letzten Päckchen versteckt haben? “Fritzchen, hast du etwa …“ Aber ein Blick in die unschuldigen Engelsaugen ließ auch die letzte Hoffnung des alten Mannes schwinden.
Dem Weihnachtsmann dämmerte allmählich die traurige Wahrheit. Er hievte sich ächzend vom Schlitten und stapfte dann ratlos auf dem Dachfirst hin und her.
„Wenn ihr die Geschenke nicht habt, dann gibt es nur eine Möglichkeit: Wir haben sie verloren! Und was machen wir nun? Suchen fällt aus, denn es schneit zu sehr. Sie sind längst unter dem Schnee verschwunden. Die findet irgendein glückliches Kind dann im Frühjahr. Also, was schlagt ihr vor?“
Unter den Renen brach eine lautstarke Diskussion aus. Jedes gab seine Meinung zum Besten, aber ein brauchbarer Vorschlag war nicht darunter. Der Weihnachtsmann raufte sich den Bart vor Verzweiflung. „Von allen Kindern hat Martha ihre Geschenke am meisten verdient. Und nun so etwas!“, stöhnte er.
Plötzlich wurden sie von einem leisen Quietschen unterbrochen. Die Dachluke öffnete sich langsam und ein kleines Mädchen sah heraus. „Weihnachtsmann, du bist es!“, rief es erfreut, „Aber warum machen deine Rene denn so einen Krach? Und weshalb siehst du so traurig aus?“
„Ach, Martha, das ist eine schreckliche Geschichte! Ich weiß gar nicht, wie ich es dir sagen soll“, antwortete der Alte.
„Na, kommt doch erst mal alle ins Warme, dann kannst du mir erzählen, was passiert ist“, schlug Martha vor.
Das war eine Einladung, den das Grüppchen auf dem Dach gern annahm. Zwar wurde es im Wohnzimmer ein wenig eng mit all den Rentieren, aber es war mollig warm. Martha gab den Tiere Karotten, die sie genüsslich kauten.
Der Weihnachtmann und Fritzchen nahmen dankbar die heiße Schokolade an, die Martha ihnen reichte. Der alte Mann setzte sich in den Lehnstuhl und beichtete die ganze Sache. Zu seiner großen Erleichterung brach Martha nicht etwa in Tränen, sondern in lautes Lachen aus. „Das ist ja eine lustige Geschichte! Und weißt du was, Weihnachtsmann?“, rief sie, „Ich brauche eigentlich sowieso keine neuen Spielsachen. Ich habe doch schon so viele, und es gibt gar keine anderen Kinder, mit denen ich die Sachen ausprobieren könnte. Hier ist es so abgelegen. Sogar die Schule ist zu weit weg für mich.“
Martha beklagte sich nicht, aber der Weihnachtsmann merkte auch so, dass das Kind wegen seiner Einsamkeit traurig war. „Ja, aber wer wohnt denn sonst noch hier in diesem großen Haus?“, fragte er. „Nur meine Eltern und ich. Du hast Recht, das Haus ist für uns drei eigentlich viel zu riesig! Die meisten Zimmer benutzen wir gar nicht. Früher, als meine Großeltern es gebaut haben, war es voller Kinder. Mein Vater hatte nämlich viele Geschwister. Das muss lustig gewesen sein!“ Martha seufzte wehmütig.
Der Weihnachtsmann sagte nachdenklich: „Du brauchst ein ganz anderes Weihnachtsgeschenk als die Spielsachen, die in dem verlorenen Sack waren. Lass uns mal nachdenken …“
Fritzchen kletterte auf den Schoß seines Chefs und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Martha war ganz still, um die beiden nicht zu stören. Sie hatte das Gefühl, dass sich da gerade eine ganz große Idee zusammenbraute und sie fühlte plötzlich Schmetterlinge in ihrem Bauch herumflattern. Gespannt beobachtete sie das Gesicht des Mannes, dessen Stirn zuerst von tiefen Furchen durchzogen gewesen war. Dann aber machte sich allmählich ein Lächeln auf seinem Gesicht breit und schließlich sagte er nickend zu dem kleinen Engel: „Ja, ich glaube, das ist eine ausgezeichnete Idee! Fritzchen, du bist ein Goldstück!“
Mehr verriet er nicht. Stattdessen stellte er Martha viele Fragen zu dem großen Haus, dem umliegenden Wald mit dem kleinen See, den Eltern und deren Berufen. Der Vater war einmal Lehrer gewesen, hatte aber nun einen großen Garten angelegt, einen Stall gebaut und betrieb einen kleinen Bauernhof, mit dessen Erträgen er die Familie ernährte. Die Mutter war gelernte Kindergärtnerin und verbrachte einen Teil des Tages damit, Martha zu unterrichten, da es zur Schule zu weit war. Der Weihnachtsmann nickte befriedigt und sagte dann: „Weißt du was, Martha? Ich glaube, wir kommen in ein paar Monaten noch einmal zu dir. Dann können wir gleich den Osterhasen mitbringen!“
Obwohl Martha vor Neugierde fast platzte, ließen ihre Besucher sich nichts weiter entlocken, sondern verabschiedeten sich. Martha winkte dem Rentierschlitten noch lange nach.
Die Monate zogen ins Land. Der Schnee schmolz und, wie vorhergesagt, wurden Marthas Weihnachtsgeschenke von Kindern gefunden, die sich darüber freuten.
Der Weihnachtsmann und Fritzchen waren beschäftigt. Sie arbeiteten mit Hochdruck an ihrer Idee, statt, wie sonst um diese Zeit, sich im Bett von den Anstrengungen des Dezembers zu erholen.
Blitz, der Postengel, beförderte Briefe hin und her, vermittelte Telefongespräche zwischen seinem Boss und Marthas Eltern, ja, lernte sogar, wie man E-Mails verschickte und eine SMS verfasste. Aus der sonst um diese Jahreszeit stillen Weihnachtswerkstatt hörte man eifriges Sägen und Hämmern und Fritzchen hatte ständig bunte Farbkleckse an den Fingern.
Als die ersten Osterglocken blühten, flog der voll beladene Rentierschlitten wieder los. Auf dem Kutschbock saß neben Fritzchen und dem Weihnachtsmann auch eine kleine Gestalt mit langen Ohren und ängstlichen Augen. Für den Weihnachtsmann war es eine ganz neue Erfahrung, unter sich das grünende, blühende Land zu sehen und die laue Luft im Gesicht zu spüren. Er sah fasziniert auf die ungewohnte Aussicht, die sich ihm bot. So bemerkte er zuerst gar nicht, dass der Osterhase immer blasser um das Näschen herum wurde und sich krampfhaft an den Sitz krallte. Seine flatternden Ohren wirkten fast wie Segel, sodass der kleine Hase Angst hatte, bald abzuheben. Dann jedoch griff die große Hand des alten Mannes nach ihm und schob den kleinen Gesellen unter seinen roten Mantel. Hier konnte ihm nichts passieren.
Endlich landete der Schlitten neben Marthas Haus. Die kleine Familie kam sofort auf die Wiese gelaufen und begrüßte die Gäste voller Freude. Martha war ganz zappelig, wusste sie doch, dass sie nun endlich – neben ihren Ostereiern – auch ihr Weihnachtsgeschenk bekommen sollte. Staunend sah sie zu, wie der Schlitten entladen wurde. Da kamen zahlreiche bunte Kinderbetten zum Vorschein, Tische und Stühle in allen Farben, Regale, Bälle und Springseile, Klettergerüste und Schaukeln und sogar ein Schlauchboot. Die Möbel wurden von Fritzchen und Marthas Vater ins Haus getragen.
Dann war nur noch ein Ding auf dem Schlitten. Der Weihnachtsmann hob es mit Mühe heraus. Es war ein großes Brett, das an Pfosten genagelt war. Marthas Eltern halfen dem alten Mann, das Schild an der Einfahrt zum Haus aufzustellen.
Nun konnte Martha endlich sehen, was darauf geschrieben stand:
Ferienheim für Stadtkinder
Mit offenem Mund las sie die Aufschrift des Schildes zweimal, bevor sie es endlich begriff. Dann aber fiel sie dem alten Mann mit einem Jubelschrei um den Hals. „Weihnachtsmann, das ist das beste Weihnachtsgeschenk, das du mir machen konntest! Nun werde ich nie mehr allein spielen müssen!
Der Osterhase hatte das allgemeine Durcheinander genutzt und all seine mitgebrachten Eier versteckt. So kam es, dass der Weihnachtsmann auf Einladung von Martha erstmals in seinem langen Leben auf Ostereiersuche ging und so großen Spaß daran hatte, dass er ernsthaft erwog, in Zukunft auch die Weihnachtsgeschenke zu verstecken!

©Eva Zimmermann

*mit freundlicher Genehmigung der Autorin Eva Zimmermann

Heinz Riedel
Wir warten

Oh ja, warten muss gelernt sein!
Das fordern die vielen Wartezimmer, die wir im Leben überall antreffen.
Im Wartezimmer der Arztpraxis müssen sich sogar die Ungeduldigsten seiner zähmenden Macht beugen. Zuletzt gibt auch der Unruhigste es auf, seine Kleidung durch das Hin und Her rutschen auf dem Stuhl zu strapazieren und greift nach dem bereitliegenden Lesestoff, mit dem er dann sein Wissen durch altbackene Zeitschriften und zugleich seinen Vorrat an Bakterien und Bazillen auffrischen kann.
Die Unruhe ist erst beendet, wenn die Sprechstundenhilfe den Patienten namentlich aufruft. Der Seufzer ertönt: „Na, endlich!“

Die Wartesäle der Bahnhöfe verfügen über einen raffinierten Mechanismus, dem Wartenden die Zeit, sogar den kleinsten Sekundenschritt zu dehnen: Die schmucklose Bahnhofsuhr. Kein Wunder, wenn Viele den Versuch unternehmen, der schleppenden Zeit mit einem Schluck Muntermacher Beine zu machen.

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In den langen Wartefluren der Verwaltungsgebäude beschäftigt uns das Grübeln über Vorschriften und gesetzliche Bestimmungen. Schlimmer – und eine besondere Qual dieses Wartens – ist die nie endende Aufmerksamkeit, mit der die Bürotür überwacht werden muss, damit man bei der Aufforderung „Der Nächste bitte!“ rechtzeitig davorsteht und sich niemand vordrängeln kann.

In den Wartegängen der Gerichtsgebäude bringt nicht einmal der Ruf „Der Nächste bitte!“ Erlösung. Hier zittert jeder davor. Ihm folgt, womit sich jeder auf der Bank in den qualvollen Warteminuten, immer wieder beschäftigt hat: Das Urteil.

Recht bequem dagegen wartet es sich im Vorzimmer eines Generaldirektors. Bei einer Erfrischung und einer dicken Brasil scheint das Warten Freude zu bereiten. Aber auch hier beunruhigt die störende Frage, in welcher Laune man den Generaldirektor antrifft und welche Erfolgschancen sich bieten werden. Warten ist eine Last mit Reih-Stehen, großer Angst und viel Unsicherheit.

Die Alten und Schwachen, die Kranken im Bett warten mit Schmerzen des Körpers und großer Seelenqual auf den Samariter – ja, letztendlich auf den Samariter Tod, auf das Licht, das aus der Finsternis hervorleuchtet.
Licht bringt Klarheit, Wärme, Freude. Auf Licht warten lässt Hoffnung wachsen.

Am ersten Advent zünden wir eine Kerze an. Mit diesem Licht beginnt unsere Wartezeit vor dem Stall von Bethlehem, betreten wir den weihnachtlichen Warteraum.
Hier gibt es kein In-der-Reihe-Stehen, plagt keine Angst, beunruhigt keine Unsicherheit.

Der Weg durch diesen Warteraum wird immer heller. Es ist der Weg der Weisen aus dem Morgenland. Die Wartezeit zur Weihnacht ist kein Käfig, in dem wir unruhig hin und her laufen müssen. Wir können uns betätigen, all unsere Sinne einsetzen, an das Ziel zu gelangen.
So schauen wir das Licht. Es wächst symbolisch am Adventskranz. Es wächst in uns, wenn wir mit offenen Augen, in die sich mehrenden Kerzenflammen blicken, mit Augen, die das reinigende Feuer der Flamme, die Helle und Liebe des Lichtes, wahrnehmen, wie Kinder es in frommer Einfalt tun.

In dieser Wartezeit vor Weihnacht lassen wir unsere Stimme erklingen, singen fröhlich die Lieder zur Weihnacht und das Gloria der Engel auf dem Felde. Frei von dem was alltäglich ist wird sich unsere Stimme zu einem Lobgesang steigern.
Auch unsere Ohren sollen teilnehmen. Wir öffnen sie in den Schlummerstunden des Dezembers, in der Stille der Dunkelheit. Wenn alles Laute, alles Grelle vergeht lauschen wir den Gedichten und Erzählungen zur Weihnachtszeit.

Oh ja, im Warteraum zur Weihnacht können wir uns vielen Beschäftigungen hingeben – äußeren und inneren. Dieser Warteraum ist deshalb kein unbeliebtes Wartezimmer des täglichen Lebens mit Angst und Unsicherheit. Es ist der Raum, in dem wir uns der Freude durch Tätigkeiten mit Leib und Seele öffnen sollen.
Wir können sinnvoll unsere Hände rühren. Mit ihrer gestaltenden Arbeit transportieren wir Liebe und Andacht in unsere Seele und können durch alles was die Hände geformt haben, Liebe und Freude weitergeben an alle, die wir gerne haben. Es gibt so schöne Einfälle, wie man die Zuneigung zum anderen in ein selbst geschaffenes Weihnachtsgeschenk einbauen kann, um schenkend Herz und Gemüt des Empfängers zu streicheln.

Die eigene Seele streicheln wir, wenn wir unseren Christbaumschmuck mit eigenen Händen herstellen und dabei unsere Freude auf Heiligabend, unsere Hingabe an das Kind in der Krippe in den Baumschmuck einfügen.
Sogar die Wohnstube wird ihre Alltäglichkeit verlieren, wenn wir sie durch unsere Einfälle und mit tätigen Händen schmücken, so die alltäglichen Sorgen verjagen und den Weg freimachen für die Fröhlichkeit. Wenn wir in das Zimmer treten, öffnen wir nicht nur die Stubentür, sondern auch die Tür zum Stall von Bethlehem.
Die Tür zur Weihnacht zu öffnen, helfen uns dann sogar die lieblichen Düfte, die im Advent das Haus vom Pfefferkuchenbacken erfüllen. Bei Kerzenschein, adventsfrohen Gesprächen und Weihnachtsmusik können uns dann, über die Zunge, auch die geheimnisvollen morgenländischen Gewürze in Printen, Spekulatius und Christstollen helfen, den Weg der drei Weisen zu finden.

Unser Warten ist Freude.
Dieser Freudenruf erklingt immer wieder in der Adventszeit. Das Wartezimmer des alltäglichen Lebens betreten wir mit dem Seufzer: O ja – Warten muss gelernt sein!
In die Wartezeit Advent treten wir mit Freude ein, weil wir unser Herz mit Seligkeit füllen können durch alle Sinne: Die leuchtenden Augen, die lauschenden Ohren, die klingende Stimme, die tätigen Hände.

O ja – Dieses Warten ist Freude!
Es ist Advent.
Es ist Warten auf die Ankunft des Herrn.
Wartet nicht mit geschlossenen Augen und verschlossenen Herzen!
Vielleicht kommt der Herr morgen schon vorbei!

(c) Heinz Riedel

*eingereicht von Peter Riedel (Sohn)

* mit freundlicher Genehmigung von Peter Riedel

Gabriele Maricic-Kaiblinger
Es begann in der Silvesternacht

Verflixt! Fast 22 Uhr ...

Monika schlüpfte rasch in ihre Schuhe, die sie sich extra zu der schwarzen Jeans gekauft hatte, zog die dicke Jacke über den schwarz und silbern glitzernden Pullover, schnappte ihre Handtasche und verließ die Wohnung.

Was für ein Tag! Heute war wirklich alles schief gelaufen. Am Morgen hatte sie verschlafen, aus der Dusche war nur kaltes Wasser gekommen, dann war sie vor lauter Eile in die falsche U-Bahn eingestiegen – was ihr in den zwölf Jahren, die sie in Wien lebte, noch nie passiert war. Natürlich war sie nicht pünktlich im Büro erschienen, und natürlich war der Chef heute ausnahmsweise pünktlich gewesen, und so hatte sie seine Version von Pünktlichkeit über sich ergehen lassen müssen. Ähnliche Missgeschicke waren gleichfalls noch am Nachmittag passiert – sie wollte sich lieber nicht mehr daran erinnern.

Die Silvesterparty fand nur zwei Straßen von Monikas Wohnung entfernt, in ihrem Stammlokal statt. Sie hastete die fünf Stufen zum Eingang hinauf und knallte, als sie schon die Hand zum Türknauf ausstrecken wolle, mit einem Mann zusammen, der eben die Stufen hinunterzuhasten im Begriff war.

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„Au“, kam es aus beider Munde. Monika kniete auf einem Bein und hielt sich ihren Fuß. Sie hatte sich an der Kante einer Stufe gestoßen. Langsam nahm sie die Hand wieder weg.

„Tut mir leid“, sagte der Mann.

Ein Loch! Auch das noch! Nur ein Stückchen Strumpfhose, natürlich ebenfalls in schwarz, war zwischen Hosenende und Schuhe zu sehen und ausgerechnet hier war nun ein kleines Loch, von dem eine kurze Laufmasche wegging.

„Sch...“, rief sie aus.

„Manfred“, sagte der Mann.

Monika blickte verdutzt auf und registrierte erst jetzt, dass die Ursache ihres Übels noch dastand und starrte diese – ihn - an. Sonst nicht auf den Mund gefallen, wusste sie in diesem Moment nicht, was sie sagen sollte. Sie stand auf.

So ein Blödmann, dachte sie in ihrer Wut und ließ ihn einfach stehen.

Der Saal war bereits voll und die Stimmung ausgelassen. Sie sah sich um – mit dem Gefühl, dass jeder auf ihr Loch in der Strumpfhose starrte – bis sie die winkende Arbeitskollegin entdeckte.

„Na endlich.“ Mit diesen Worten empfing diese sie, als Monika sich bis zum Tisch durchgerungen hatte.

„Fragt nicht“, entgegnete sie, um gleich weiteren dummen Bemerkungen ihrer Kollegen vorzubeugen.

„Stoßen wir an“, sagte einer der Kollegen und erzählte ein paar anzügliche Witze, was die Situation wieder entspannte und auch Monika zum Lachen brachte.

„Du, der starrt dich schon die ganze Zeit an“, bemerkte später plötzlich eine Kollegin.

„Wer?“, fragte Moni.

„Na, der Typ da drüben an der Bar.

Monika drehte sich langsam um, blickte kurz Richtung Bar, konnte jedoch keinen Typen erkennen, der sie anstarrte. „Das bildest du dir bloß ein.“

„Glaub ich nicht“, antwortete die Kollegin und grinste.

„Tanzen wir?“, hörte Monika da schon neben sich.

Tanzen? Ich und tanzen? Nun gut, er kann ja nicht wissen, dass ich nie tanze.

„Ja gern“, antwortete sie, erhob sich und folgte ihm zur Tanzfläche.

Was tue ich da? Ob es seine Augen waren, die so strahlten, oder sein charmantes Lächeln? Blödsinn! Charmant, so ein altmodisches Wort ... was ist nur los mit mir?

Auf einmal wurde sie sich wieder des Lochs in der Strumpfhose bewusst und hoffte, dass sie ihm nicht auf die Füße stieg, damit er keinen Grund hatte, runterzuschauen.

Acht Lieder hindurch tanzten sie. Er sprach über dies und das, sie hörte ihm – ganz entgegen ihrer sprechbegeisterten Art - einfach nur zu und war fasziniert. So fasziniert, dass sie nicht mehr ununterbrochen ihr Loch in der Strumpfhose wahrnahm. Warum sie so von ihm fasziniert war, wusste sie nicht. Sie wusste ebenfalls nicht, warum sie keine Schwierigkeiten beim Tanzen hatte, obwohl, seit sie das erste und letzte Mal getanzt hatte, fünfzehn Jahre vergangen waren.

Und als sie so tanzten, kam ihr mit einem Mal der vergangene Sommerurlaub in den Sinn. Bei ihrer Schwester in Tirol war sie gewesen, und diese hatte ihr von einer Hellseherin erzählt. Monika glaubte zwar nicht fest an so etwas, aber sie war dem Mystischen trotzdem nicht gänzlich abgeneigt. So hatte die Neugier gesiegt und die Schwester sie zu der Hellseherin, die nahe Innsbruck wohnte, fahren müssen.

Was hatte diese ihr gesagt? Den Mann fürs Leben würde sie zu Silvester kennenlernen ...

Monika musste lächeln bei der Erinnerung. Nicht schlecht, hatte sie damals gedacht, mit über dreißig würde es schon bald Zeit, den Mann des Lebens kennenzulernen. Aber später, zurückgekehrt in den Alltag, hatte sie diese Voraussage wieder vergessen, bis ... ja, bis jetzt beim Tanzen.

Ob vielleicht ... Roland heißt er ... ob Roland ... er muss es sein ... wieso wäre ich sonst so fasziniert von ihm?

Ihre Augen bekamen einen eigenartigen Glanz, und sie fühlte sich leicht und glücklich. Erst dann an der Bar, zu der sie ihm widerspruchslos gefolgt war, merkte sie, wie erschöpft sie war. Aber die Pause und der Drink taten ihr gut, danach fühlte sie sich wieder fit, und sie tanzten weiter.

Als es zwölf Uhr schlug und die Stimmung und der Jubel rundherum ihren Höhepunkt erreichten, küsste Roland sie lange und intensiv. Dann gingen sie ins Freie, wie die meisten anderen ebenfalls, um das Feuerwerk zu sehen. Danach lud er sie zum Essen ein. Essen, trinken, tanzen, der Abend ging wundervoll weiter, bis er um etwa zwei Uhr früh meinte, er müsse jetzt leider gehen. Der Abschiedskuss war nochmals lang und intensiv, und als er dann nur kurz: „Wir sehen uns“, sagte, dachte sie sich nichts Schlechtes dabei. Nur kurz der Gedanke, dass eigentlich ja gar keine Telefonnummern ausgetauscht worden waren, aber was machte das schon, wenn man füreinander bestimmt war, würden sich automatisch Wege zueinander ergegen. Sie sah ihm verträumt-lächelnd nach, nun erst erinnerte sie sich wieder an ihre Kollegen. Auch das Loch in der Strumpfhose war mit einem Mal wiederum spürbar. Mitttlerweile waren noch zwei Bekannte dazugekommen, und die Runde amüsierte sich prächtig.

„Ah, sie kennt uns noch ...“ Den und ähnliche Sprüche musste sich Monika anhören, aber da stand sie drüber. Erst als einer der Hinzugekommenen: „Den kenn ich, den Roland. Seine Frau kommt morgen oder besser gesagt heute aus dem Krankenhaus ... zweites Baby ...“, sagte, wurde sie unsanft auf den Boden der Tatsachen zurückbefördert. Sie konnte es nicht fassen.

So was muss mir passieren. Mir! Das gibt’s doch nicht ... Scheißkerl ...

„Nie wieder geh ich zu einer Hellseherin“, rief sie laut aus.

„Was?!“, fragte eine Kollegin verdutzt. Auch die anderen am Tisch sahen sie überrascht an.

„Ach nichts. Nichts! Ich geh jetzt“, antwortete Monika und tat es. Sie konnte die lustige Stimmung um sich herum nicht mehr ertragen. Sie verließ das Lokal, frustriert, zornig, hastete die Stufen hinunter und –  stieß mit einem Mann zusammen, der eben im Begriff war, die Stufen hinaufzuhasten. Er fing sie auf. Sie blickte zu ihm auf.

Schon wieder der ... das gibt’s doch wohl nicht! Der hat mir gerade noch gefehlt zu meinem Glück. Verdammt ...

Monika warf ihm einen bösen Blick zu, riss sich los und lief, ohne ein Wort zu sagen, davon.

Kurz vor zwölf Uhr Mittag klingelte es.   E r   stand draußen, der Zusammenstoß-Mann. Mit einem riesigen Blumenstrauß.

Was will dieser Blödmann!? Woher weiß er überhaupt, wo ich wohne ...?

„Ich will mich entschuldigen“, sagte er und drückte ihr den Riesenstrauß in die Hand.

„Ich weiß“, sprach Manfred weiter, „ich bin ein Tollpatsch und habe nicht aufgepasst, aber ich war so in Gedanken gestern Nacht. Meine Mutter ... sie ist krank, und gestern war so ein Tag ... es hieß, wenn sie diesen Tag übersteht, dann ... dann geht es wieder bergauf und nun ... ich glaub, sie hat das Schlimmste überstanden. Es tut mir leid, dass wir zweimal zusammengestoßen sind ... also, eigentlich ja nicht ... also, darf ich Sie zum Essen einladen ... kleine Wiedergutmachung ...?“

Monika war sprachlos ob dieses Redeflusses. Sie nickte, bat ihn erst mal herein und dann nahm das Schicksal langsam seinen Lauf ... und wer weiß, vielleicht gab es doch mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als sich erahnen ließen …

 

*Geschichte enthalten in dem Buch: "still-dröhnend und lichterdunkel" von Gabriele Maricic-Kaiblinger ISBN 978-3-7392-0575-5 

*Eine Geschichte von Gabriele Maricic-Kaiblinger - aus dem Buch: "still-dröhnend und lichterdunkel"