Anita Menger 2021
Holterdipolter
Es war der 6. Dezember, Nikolaustag. Sabrina bereitete in der Küche das Abendessen vor. Das war kein leichtes Unterfangen, denn ihre 1 ½ -jährige Tochter Amelie rückte ihr entweder nicht von der Pelle, um nur ja alles genau zu sehen oder sie öffnete Schubläden und Türen und zog heraus was sie erwischen konnte. Sabrina durfte sie keine Sekunde aus den Augen lassen.
Ihre beiden Söhne, der 5-jährige Felix und der 3 ½-jährige Leo spielten inzwischen, heute verdächtig friedlich im angrenzenden Wohnzimmer. Sabrina warf immer wieder einen Blick durch die offene Tür, um zu sehen ob auch wirklich alles in Ordnung war.
Jeden Moment erwartete sie ihren Mann Klaus, der, wie schon im letzten Jahr, den Nikolaus für die Kinder spielen würde. Das Kostüm und den Jutesack hatte er bereits morgens ins Auto gelegt, so konnte er sich gleich nach der Arbeit umziehen. Sie hoffte, dass er diesmal das „Holterdipolter“ besser hinbekommen würde als letztes Jahr. Sabrina grinste bei dem Gedanken daran, wie nervös und ungeschickt Klaus gewesen war. Ein guter Schauspieler war, ihr sonst so selbstbewusster Mann, beileibe nicht.
Zum Glück waren die Kinder noch zu klein, um misstrauisch zu werden. Ob sich aber der 5jährige Felix immer noch täuschen ließ?
Ein lautes Miauen riss Sabrina aus ihren Gedanken. Sie warf ihrer Katze, die im Flur in der Ecke zwischen den Türen zu Wohnzimmer und Küche saß, einen Blick zu und rollte mit den Augen.
Mika, wie sie die kleine Diva nannten, saß vor ihrem Fressnapf und zeigte ihr wieder einmal in ihrer unnachahmlichen Art, dass sie das Futter, welches Sabrina ihr vorgesetzt hatte, als Zumutung empfand. „Nichts da, meine Süße!“ sagte Sabrina und ignorierte den vorwurfsvollen Blick, den Mika ihr zuwarf als sie die Tür zum Flur schloss.
Sabrina nahm Amelie an die Hand und ging mit ihr ins Wohnzimmer. Sie setzte sich aufs Sofa während Amelie auf die Spielecke zulief. Leo blickte auf und stellte zum x-ten Mal die Frage: „Mama, wann kommt der Nikolaus?“ Sie wollte gerade erklären, dass er jeden Moment da sein müsste als sie auch schon ein lautes Klopfen an der Haustür vernahmen. Die beiden Jungs sprangen auf und setzten sich blitzschnell zu ihr aufs Sofa. Lächelnd stand Sabrina auf und öffnete dem Nikolaus die Tür. Sie begrüßte ihn freundlich und bat ihn herein.
Mit schweren Schritten folgte er über den Flur und trat dann ins Wohnzimmer. „Ho, ho, ho, wen haben wir denn da?“ fragte er, noch in der offenen Tür zum Flur stehend, als sein Blick auf die Kinder fiel, die jetzt alle drei artig auf dem Sofa saßen. Sabrina stellte ihm die Kinder vor und setzte sich dann wieder zu ihnen aufs Sofa. Amelie kletterte sofort auf ihren Schoß und kuschelte sich an sie.
Der Nikolaus rief zuerst Felix zu sich. Dieser trat tapfer vor, woraufhin ihm der Nikolaus mit tiefer Stimme seine üblichen Fragen stellte.
Nicht üblich war jedoch das laute Miauen, das seine wohl einstudierten Sätze immer wieder unterbrach. Mika hatte sich angeschlichen und ihr geliebtes Herrchen erkannt. Sie nutzte ihre Chance ihn zu umgarnen, indem sie ihm schmeichelnd und auffordernd schnurrend um die Beine strich.
Sabrina fing einen Blick von Felix auf, der misstrauisch von Mika auf den vermeintlichen Nikolaus und wieder zurücksah. Sie bemerkte außerdem, dass Klaus aus dem Konzept kam und langsam zu schwitzen anfing. Kurzentschlossen stand sie auf, nahm Amelie auf den Arm, schnappte sich Mika mit der freien rechten Hand, beförderte sie zurück in den Flur und schloss die Tür.
Nach diesem kurzen Zwischenspiel fragte der Nikolaus Felix, ob er auch ein Gedicht aufsagen könne. Stolz bejahte Felix und sagte den auswendig gelernten Vers auf. Der Nikolaus lobte ihn und rief dann Leo zu sich. Dieser klammerte sich ängstlich an Sabrinas Bein und brachte, entgegen seiner sonstigen Art, kaum ein Wort heraus. Der Nikolaus machte es gnädig, sprach freundlich zu ihm und gab dann den beiden Jungs ihre Nikolaussäckchen. „Danke Nikolaus!“, sagte Felix artig, Leo dagegen hatte schon die Flucht ergriffen und rannte auf die Spielecke zu. Bevor Felix ihm folgte, wies er den Nikolaus darauf hin, dass seine kleine Schwester auch etwas bekommen müsse.
Der Nikolaus bedankte sich lachend für den Hinweis und wandte sich Amelie zu, die Sabrinas Hals fest umschlungen hielt und sich weigerte ihm auch nur einen Blick zu schenken. Das ihr zugedachte Säckchen nahm Sabrina entgegen von der sich Niko-Klaus mit einem Augenzwinkern verabschiedete. Abschließend rief er den Kindern zu: „Liebe Kinder, ihr wisst ja, ich muss weiter – bleibt brav und lernt fleißig. Im nächsten Jahr komme ich wieder und werde mich davon überzeugen!“ Daraufhin schwang er den Jutesack auf den Rücken und ging hinaus.
Kaum hatte er das Zimmer verlassen kamen Felix und Leo zu Sabrina. Begeistert zeigten sie ihr die Geschenke, die in ihren Nikolaussäckchen versteckt waren. Nachdem Sabrina die Schätze gebührend bestaunt hatte verzogen sich die beiden Jungs in die Spielecke und sie ging mit Amelie in die Küche. Felix und Leo würden erst einmal beschäftigt sein, so konnte sie das vorbereitete Abendessen anrichten.
Sie hatte gerade die Teller auf den Tisch gestellt, da hörte sie vom Flur her ein zorniges: „Mika, du …!“ und gleich darauf ein lautes Klirren und Scheppern. Erschrocken nahm sie Amelie wieder auf den Arm, öffnete die zum Flur führende Tür und schaute hinaus. Sie sah Klaus auf dem Boden liegen, über sich die Lichterkette, die zuvor das Treppengeländer geschmückt hatte.
Sabrina konnte sich ausmalen was passiert war, sicher war Mika ihrem Mann wieder einmal zwischen die Füße gelaufen, so dass er strauchelte und vergeblich nach Halt suchend, bäuchlings auf dem Boden landete.
Die Lichterkette über den Schultern, die er beim Fallen heruntergerissen hatte, richtete Klaus sich gerade mühsam auf als Sabrina mit Amelie auf dem Arm bei ihm ankam und grinsend das kuriose Bild betrachtete das sich ihren Augen bot.
Amelie krähte lautstark: „Papa – Niko!“ und streckte Klaus freudestrahlend ihr Nikolaussäckchen entgegen. Da konnte Sabrina ihr Lachen nicht mehr zurückhalten.
„Schön, dass du dich so amüsierst!“ knurrte Klaus leicht säuerlich, befreite sich von der Lichterkette, zog Schuhe und Jacke aus, schlüpfte in seine Hausschuhe und streckte Amelie seine Arme entgegen. Sie ließ sich willig von ihm auf den Arm nehmen und kuschelte sich an seine Schulter. Schnell versöhnt lächelte Klaus Sabrina an, gab ihr einen zärtlichen Kuss und legte, den noch freien Arm um sie. Gemeinsam gingen sie ins Wohnzimmer, wo Klaus stürmisch von seinen beiden Söhnen begrüßt wurde.
Mika indessen saß, als würde sie das Ganze nichts angehen, im Flur und putzte sich in aller Seelenruhe.
Na, was denn, schließlich hatte sie doch nur für das gewünschte „Holterdipolter“ gesorgt.
Anita Menger
Alle Jahre wieder
Marianne stand in der Küche und holte gerade den fertig gebackenen Stollen aus dem Backofen.
Sie stellte ihn auf den Küchentisch, dann kümmerte sie sich um die Butter, die sie zum Schmelzen bereits auf den Herd gestellt hatte. Mit dieser musste der Stollen noch eingepinselt werden, bevor sie ihn anschließend mit Puderzucker bestäuben konnte.
Während die Butter langsam schmolz überlegte Marianne was noch alles zu tun war, denn morgen war der 1. Advent und sie bekamen heute, wie jedes Jahr, zu dieser Zeit, Besuch von ihrer Schwiegermutter. Ihr Mann Peter und ihre Tochter Sabrina waren gerade unterwegs, um sie vom Bahnhof abzuholen.
Marianne mochte die Mutter ihres Mannes, war sich aber nicht ganz sicher ob diese sie auch mochte. Sie waren beide sehr verschieden in ihrer Art. Ihre Schwiegermutter war im Umgang mit ihren Mitmenschen sehr reserviert. Sie legte viel Wert auf ihr Äußeres und hatte in Beruf und Haushalt alles im Griff. In der Familie führte sie das Kommando, was sich auch in ihrem Ton mit dem sie ihre „Bitten“ aussprach wiederspiegelte.
Marianne dagegen war ihren Mitmenschen gegenüber vielleicht manchmal etwas zu offen und kleidete sich gern leger. Ihr Haushalt war zwar sauber, aber zeitweise etwas chaotisch, womit sie sich in den ersten Jahren ihrer Ehe immer wieder süffisante Blicke ihrer Schwiegermutter einhandelte.
Erst nachdem ihr Sohn Felix und zwei Jahre danach ihre Tochter Sabrina zur Welt gekommen waren besserte sich ihre Beziehung nach und nach. Marianne hätte sich ihr Verhältnis trotzdem etwas herzlicher gewünscht, aber das war wohl zu viel verlangt.
So war sie nach wie vor ein Nervenbündel, wenn der Besuch ihrer Schwiegermutter bevorstand.
Die letzten Jahre war ihr, trotz aller Anstrengungen, regelmäßig etwas danebengegangen. Sei es, dass sie das Essen versalzen, den Stollen zu früh aus dem Ofen genommen hatte oder ihr zum Ausgleich dazu, im Jahr darauf, die Plätzchen verkohlten und was es an Katastrophen eben noch so gab. Eigentlich musste sie langsam alle Pannen durchhaben, man sollte meinen, dass jetzt nichts mehr schief gehen konnte.
Um aber ganz sicher zu gehen ging sie jetzt zum wer weiß wievielten Male in Gedanken ihre To-Do-Liste durch: Die Zimmer waren fertig geputzt und dekoriert, die Kerzen warteten nur noch darauf angezündet zu werden. Plätzchen und Lebkuchen hatte sie bereits gebacken und sie waren ihr auch gelungen. Für das Adventsessen war alles besorgt und, was möglich war, bereits vorbereitet.
Die Kinder hatten ihre Anweisungen erhalten und sich bereit erklärt am Adventssonntag nicht gleich nach dem Essen aufzuspringen und in ihre Zimmer zu verschwinden. Sabrina würde nach dem Essen noch den Tisch abdecken und die Spülmaschine einräumen, dafür würde Felix nachmittags mit Hund Hasso Gassi gehen.
Alles in Ordnung dachte Marianne abschließend und wandte sich wieder ihrem Vorhaben zu. Nachdem sie den Stollen mit der flüssigen Butter eingepinselt hatte nahm sie den Puderzucker aus dem Schrank, holte sich ein kleines Sieb und einen Esslöffel, um den Puderzucker über den Stollen zu sieben.
Sie war gerade dabei ihn in das Sieb zu geben, als sie oben eine Tür zuschlagen und den lauten, langgezogenen Ruf: „Hassoooo!“ hörte. Das anschließende Poltern auf der Treppe ließ sie nichts Gutes ahnen, aber es ging alles so schnell, dass Marianne hinterher nicht mehr sagen konnte was genau passiert war.
Sicher war, dass Hasso, auf der Flucht vor Felix, dem er einen Schuh entwendet hatte, in die Küche gejagt kam. Er lief Marianne, die sich in dem Moment umdrehte, um zu sehen, was da vor sich ging, gegen die Beine und brachte sie zu Fall. Sie hörte Felix noch schimpfen: „Hasso, du tollpatschiges Kalb!“, dann landete sie auch schon unsanft auf dem Hosen- und Küchenboden und war über und über mit Puderzucker bestäubt.
Felix und Hasso, der immer noch seine „Beute“ im Maul hatte, standen über ihr. Hasso wedelte mit dem Schwanz, legte ihr den Schuh in den Schoß und sah sie treuherzig an. Felix versuchte krampfhaft einen Lachanfall zu unterdrücken.
Prompt ging gerade jetzt die Haustür auf und ihr Mann kam mit Sabrina und seiner Mutter herein.
Gleich darauf standen alle um Marianne herum, die mit einem verzweifelt, resignierten Gesichtsausdruck einen nach dem anderen ansah. Als ihr Blick den, ihrer Schwiegermutter traf sagte diese mit hochgezogenen Augenbrauen: „Du willst mir jetzt aber nicht den Platz neben dir anbieten, oder?“ Marianne traute ihren Ohren nicht. Hatte ihre Schwiegermutter sich da gerade wirklich einen Scherz erlaubt?“ Als sie jetzt auch noch das Zucken in deren Mundwinkeln entdeckte, fiel ihr endgültig der Kinnladen herunter.
War es ihr verdutzter Gesichtsausdruck, oder war die Schmerzgrenze der Anwesenden erreicht? – Wer weiß?
Fast gleichzeitig prusteten alle los und konnten sich vor Lachen kaum mehr halten.
Mariannes Schwiegermutter fasste sich als erste und sagte, wieder ganz die Alte: „Du solltest dich jetzt langsam um den Stollen kümmern und hier Ordnung schaffen, oder gibt es heute keinen Kaffee?“ – „Du weißt ja ich kann nach 15.00 Uhr keinen mehr trinken!“ – „Felix! – Trag bitte meinen Koffer ins Gästezimmer und du Sabrina, nimm bitte die Reisetasche!“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und rauschte majestätisch aus der Küche. Felix und Sabrina verdrehten die Augen, grinsten Marianne an, um dann gehorsam ihrer Großmutter zu folgen. Hasso, warf seinen Kopf zunächst unschlüssig hin und her, entschied sich dann aber doch, sich den Kindern anzuschließen.
Marianne seufzte innerlich und versuchte mühsam aufzustehen. Peter der immer noch schmunzelte reichte ihr die Hand, zog sie hoch und sagte: "Ich habe dir doch gesagt, dass sie dich mag!", dann nahm er sie in die Arme und küsste sie – und das obwohl Marianne voller Puderzucker war …
© Anita Menger 2019
Was haben Karamellbonbons mit Weihnachten zu tun werdet ihr euch sicher fragen.
Eigentlich nichts – und doch erinnere ich mich gerade in der Vorweihnachtszeit, immer wieder an ein Erlebnis aus meiner Kindheit, in dem Karamellbonbons eine große Rolle spielten.
Ich weiß nicht mehr ob meine Großmutter damals geflucht hat, viele an ihrer Stelle hätten es sicher getan. Einen ärgerlichen Ausruf muss sie aber losgelassen haben, sonst wären meine Schwester und ich nicht, wie von der Tarantel gestochen, in die Küche gestürmt.
Wenn Oma einmal laut wurde musste schon etwas Schlimmes passiert sein.
In der Küche stand unsere Großmutter mit einem Backblech in den Händen, sie hatte einen verzweifelten Ausdruck im Gesicht. Ich konnte mir keinen Reim auf das Geschehen machen, wunderte mich aber über den süßen, mir wohlvertrauten Duft und die seltsame Masse auf dem Blech, die so gar nicht nach dem üblichen Plätzchenteig aussah. Auch fand ich es seltsam, dass der Backofen nicht eingeschaltet war.
Oma erzählte uns was passiert war: Sie hatte versucht Karamellbonbons selbst zu machen. Aber die Masse, die sie nach Rezept zubereitet und dann auf ein Backblech gestrichen hatte, weigerte sich eigensinnig, trotz vorgeschriebener Kühlzeit, schnittfest zu werden.
Ich erinnere mich, dass wir, beim Einkaufen immer mit begehrlichen Blicken nach den leckeren Karamellbonbons schielten und natürlich versuchten wir Oma zu überreden uns welche davon zu kaufen. Aber Süßigkeiten waren Luxus, den unsere Großeltern sich selten leisten konnten.
Um uns Kindern eine Freude zu machen versuchte unsere Großmutter immer wieder Alternativen zu finden, so auch diesmal. Obwohl sie in der Vorweihnachtszeit alle Hände voll zu tun hatte, scheute sie weder Zeit noch Mühe, um uns wieder einmal einen Wunsch zu erfüllen.
Es war verständlich, dass unsere Oma enttäuscht war, weil ihr Experiment danebengegangen war. Wir Kinder dagegen fanden ihren Versuch keineswegs missglückt, im Gegenteil, wir naschten mit Begeisterung die breiige, aber wundervoll süß schmeckende, Masse direkt vom Blech.
Auch Oma ließ sich schließlich dazu überreden das Karamell zu probieren. Der leckere Geschmack, oder vielleicht auch unsere, vor Freude strahlenden, Augen ließen sie ihren Ärger langsam vergessen. Letztendlich lachten wir gemeinsam über das Missgeschick und verbrachten einen schönen Adventssonntag.
Auch wenn es ihr nicht bewusst war, hat mir unsere Oma damals eines der kostbarsten Geschenke überhaupt gemacht: Eine, mir lieb gewordenen Erinnerung, an Stunden voller Liebe und Lachen und an den süßen Geschmack von Karamell.
© Anita Menger 2019
Anita Menger
Ein friedlicher Adventssonntag
Eleonore trat aus dem Haus und ging in Richtung des kleinen Weihers. Sie hoffte, dass sie dort, wie schon so oft, einen klaren Kopf bekommen würde. Das soeben Erlebte hatte sie doch ziemlich aufgewühlt, dabei hatte sie sich so auf einen friedlichen Adventssonntag gefreut.
Wie konnten sich zwei Brüder, die sich in der Regel gut verstanden, nur so in Rage reden?
Seit Monaten ging es um dasselbe Thema. Bei jedem Treffen kam es zu einer Diskussion über die Flüchtlingspolitik. Sie hatte gehofft, dass jetzt in der Vorweihnachtszeit damit Schluss wäre, aber im Gegenteil, mehr denn je erhitzten sich die Gemüter der beiden Männer bei ihrem Streitgespräch.
Eleonores Mann Hans, ein junger Ingenieur, sah die „Offene-Arme-Politik“ der jetzigen Regierung mit Vorbehalt und machte sich große Sorgen über die Zukunft.
Joachim sein jüngerer Bruder, der als Sozialarbeiter mit Jugendlichen arbeitete, stand dieser Politik vorbehaltlos positiv gegenüber und, wie es seine Art war, spielte er die Ängste des Bruders herunter.
Eleonore wusste, dass Hans, auch wenn es sich manchmal nicht so anhörte, durchaus bereit war Menschen in Not im Allgemeinen und natürlich auch Flüchtlingen zu helfen, doch er sah mit Besorgnis, dass unter den Flüchtlingen, die ankamen, auch Menschen waren, die nicht wirklich auf Hilfe angewiesen waren und, was ihm noch mehr Sorgen bereitete, auch solche, die Gewalt und Terror mit ins Land brachten.
Joachim dagegen sah erst einmal nur, dass Menschen Hilfe benötigten und war der Ansicht, dass Deutschland, als reiches Land, nicht zögern dürfte, diese Hilfe zu gewähren. Die Bedenken seines Bruders schob er achtlos beiseite, obwohl er im Innersten sicher wusste, dass sie nicht ganz unberechtigt waren.
Als sie den Weiher erreicht hatte hörte Eleonore plötzlich die Stimme ihres Schwiegervaters. „Was machst du denn hier draußen?“, fragte er und äußerte gleich darauf augenzwinkernd die Vermutung: „Bist wohl vor den beiden Streithähnen geflüchtet?“ Sie nickte nur und eine Weile sahen beide schweigend auf das Wasser.
„Wem von beiden gibst du Recht?“ fragte sie aus ihren Gedanken heraus ihren Schwiegervater.
„Beiden und doch keinem“ antwortete er rätselhaft. „Im Grunde haben beide gute Argumente!“ - "Es geht aber auch gar nicht darum, wer Recht hat, sondern, dass sie sich gegenseitig annähern!".
"Dies sollten auch die Regierungsparteien beherzigen und nicht stur auf dem eigenen Standpunkt beharren, sondern sich zusammensetzen und ohne Vorbehalte einen Weg suchen, mit dem sie die schwierige Situation in den Griff bekommen.
Vor allem dürfen sie die Ängste und Sorgen der Bevölkerung nicht außer Acht lassen und müssen darauf eingehen, damit sich die Menschen nicht alleingelassen fühlen. Es wird nicht leicht werden und sicher immer wieder zu Konflikten führen, aber die Lage kann sich nur entspannen, wenn die Regierung und auch wir selbst miteinander statt gegeneinander arbeiten!".
Eleonore, die ihren Schwiegervater sehr gern hatte, schätzte seine Meinung und sie wusste, dass er seine beiden Söhne, so unterschiedlich sie auch waren, gleichermaßen liebte. Er verstand es in der Regel zwischen ihnen zu vermitteln, aber er wusste auch, dass man die beiden manchmal eine Sache ausfechten lassen musste. Bisher hatten sie sich noch immer versöhnt und er war sicher, dass das auch diesmal so sein würde.
„Ich denke, wir sollten jetzt langsam zurückgehen und sehen, ob sich die beiden Hitzköpfe beruhigt haben!“ sagte er gerade. „Woher sie das nur haben?“ fragte Eleonore schmunzelnd. „Na, von ihrer Mutter natürlich!“ meinte er. Sie lachten beide und gingen einvernehmlich zum Haus zurück.
Dort hatte sich die Situation tatsächlich entspannt. Hans und Joachim saßen gemütlich am Tisch, der zum Adventskaffee eingedeckt war. Ihre Mutter brachte gerade einen Teller mit selbstgebackenen Plätzchen und wie verabredet langten beide gleichzeitig zu und wollten eines davon stibitzen. „Nichts da, es wird gewartet, bis alle da sind!“ sagte ihre Mutter und gab ihnen lachend einen zärtlichen Klaps auf die Finger.
Als Eleonore und ihr Schwiegervater eintraten, rief Hans ihnen zu: „Da seid ihr ja endlich!“ - „Wird aber auch Zeit!“ schloss sich Joachim an, „ich habe Kaffeedurst“.
Es wurde noch ein schöner, harmonischer Nachmittag. Die Familie saß beisammen, redete und lachte miteinander, es war genauso wie es sich Eleonore gewünscht hatte.
Für einen Moment gab sie dem Gedanken Raum: „Könnte es doch immer und überall so sein!“, aber dann schob sie ihn entschlossen zur Seite und genoss das friedliche Beisammensein.
© Anita Menger 2019
„Station Sternenhimmel!“ – „Endstation!“ – „Alles aussteigen!“ rief der Wolkenzugschaffner!“ Daraufhin schwebte eine Schar Engel mit Eimer und Bürsten bewaffnet aus dem ersten Abteil des Wolkenzugs und flog in den Sternenhimmel.
Im zweiten Abteil saßen Petrus und die vier Engelkinder Gabriel, Jonas, Leo und Michael, die am Vortag ihre Prüfung als Sternenputzer bestanden hatten.
Petrus stieg aus und die Engelkinder nahmen ihre Eimer und Bürsten und folgten ihm. Er führte sie zu einer Gruppe Sterne, für die derzeit niemand verantwortlich war, weil die Engel, die sie vorher gepflegt hatten, inzwischen auf der Erde ihren Dienst versahen.
Petrus erklärte den Engelkindern: „Jeder Engel, der Sternenputzer wird bekommt Sterne zugeteilt, für die er regelmäßig sorgt, indem er sie wäscht, bürstet und poliert, damit sie hell am Abendhimmel leuchten!“ - “Deshalb dürft ihr euch heute vier Sterne aus dieser Sternengruppe aussuchen, für die ihr ab sofort die Verantwortung übernehmt!“ „Die Sterne, die ihr nicht auswählt, werden unter den älteren Sternenputzern aufgeteilt!“
Die Engelkinder schwebten durch die Sternengruppe, um ihre Auswahl zu treffen.
Gabriel, Jonas und Michael hatten sich schnell entschieden, nur Leo zögerte noch. Er wollte schon auf Sterne zeigen, die er sich ausgesucht hatte, aber irgendetwas zog ihn zu vier, etwas abseitsstehenden, Sternen hin, die allerdings alles andere als strahlend aussahen. Er betrachtete sie eingehend. „Oh je, das wird ein schweres Stück Arbeit!“ dachte er bei sich. Doch er konnte sich nicht gegen ihre Anziehungskraft wehren und entschied sich schließlich für diese Sterne die Verantwortung zu übernehmen - oder hatten sich die Sterne für ihn entschieden?
Seit diesem Tag kamen die vier Engelkinder immer wieder im Sternenhimmel zusammen um sich um ihre Sterne zu kümmern. Sie waren mit Begeisterung bei der Sache. Schon nach kurzer Zeit glitzerten und blinkten fast alle ihre Sterne um die Wette. Es gab immer viel zu erzählen und zu lachen, so hatten sie viel Spaß bei ihrer Arbeit.
Nur Leo wollte das Lachen nicht mehr so recht gelingen, denn seine Sterne waren die Ausnahmen. Er konnte die vier Sterne, für die er sich entschieden hatte, einfach nicht richtig zum Strahlen bringen.
Verzweifelt bürstete er sie, rieb sie mit einem feuchten Tuch ab und polierte sie zum Schluss mit aller Kraft.
Trotzdem blieben die Sterne stumpf, nur an vereinzelten Stellen schien es so als ob ihr Licht ganz schwach durchschimmern wollte. Auch als ihm die anderen Engel zur Hand gingen wurde es nicht besser. Schließlich ging er traurig zu Petrus und klagte ihm sein Leid.
Nachdem er Petrus sein Herz ausgeschüttet hatte, begleitete ihn dieser in den Sternenhimmel. Dort angekommen sah er sich wohlwollend um, denn fast alle Sterne blitzten nur so vor Sauberkeit.
Leo führte ihn zu seinen Sternen und Petrus seufzte tief und sah den kleinen Engel mitleidig an. „Ja, mein Junge ich wusste schon, dass es so kommen würde – es ist immer wieder dasselbe, denn mit diesen Sternen hat es eine ganz eigene Bewandtnis!“ - „Du wirst es bald erfahren, vertrau mir und gib die Hoffnung nicht auf, eines Tages wird dich ihr Strahlen für deine Mühe belohnen!“.
Mit Feuereifer pflegte der kleine Leo seine Sterne weiter und hoffte jeden Tag darauf, ihnen etwas mehr Glanz zu verschaffen. Immer dann, wenn er wieder verzweifeln wollte, dachte er an Petrus Worte „Vertrau mir!“ - da fasste er wieder Mut.
Eines Tages, es war Ende November, traute er seinen Augen kaum als er seine Sterne aufsuchte, um sie zu putzen: Einer der Sterne schien plötzlich viel heller als sonst zu strahlen. Erfreut sah er den Stern von allen Seiten an. Tatsächlich der dunkle Belag war teilweise abgeblättert. Mit frischem Schwung machte er sich an die Arbeit und polierte die Sterne noch gründlicher als bisher.
Als eine Woche später der zweite der vier Sterne glänzte, führte Leo zum Vergnügen der anderen Engel einen Freudentanz auf. Noch eine Woche später leuchteten drei Sterne und schließlich in der vierten Woche strahlten seine Sterne um die Wette. Leo konnte sich vor Begeisterung kaum fassen.
Seine Freunde wunderten sich zwar, aber sie freuten sich ehrlich mit ihm und Petrus lobte ihn, dass er so ausdauernd bei seiner Arbeit geblieben war und lüftete endlich das Geheimnis der vier Sterne:
„Diese vier Sterne sind die Kinder des Weihnachtssterns, sie heißen Hoffnung, Liebe, Glauben und Frieden!“ Sie leuchten nur dann hell, wenn die Menschen voller Hoffnung zu Gott aufschauen, liebevoll miteinander umgehen und in Frieden leben.
Außerdem sind sie auf die Hilfe eines Engels angewiesen, der nicht resigniert und die Sterne unermüdlich pflegt, damit sie bereit sind zu leuchten, wenn sich die Menschen wieder auf das besinnen was wirklich wichtig ist. Bei diesen Worten sah er Leo wohlwollend an.
Dieser wunderte sich nun nicht mehr, dass seine Sterne gerade zur Weihnachtszeit wieder mit aller Kraft strahlten und war stolz darauf seinen Teil dazu beigetragen zu haben.
In der Heiligen Nacht übertraf der Glanz der vier Sterne alle anderen und Leo war so gerührt, dass er fasst geweint hätte. Ja, es war die Mühe wirklich wert gewesen und er wollte alles daransetzen, dass seinen Sternen ihre Leuchtkraft soweit wie möglich erhalten blieb.
© Anita Menger 2019
Anita Menger
Der Weihnachtsbote
„Vielen Dank Alexander!“, sagte seine Tante Marianne, während er das letzte Paket in den Kofferraum seines Kombi legte. „Ist doch selbstverständlich!“, antwortete Alexander. Nachdem er die Heckklappe geschlossen hatte umarmte er sie herzlich. „Bis gleich!", sagte er, drehte sich um und stieg schwungvoll ein. Er startete den Motor, winkte seiner Tante freundlich zu und fuhr los.
Sicher lenkte er seinen Wagen durch den schon einsetzenden Feierabendverkehr. Während der Fahrt dachte er daran wie er vor 10 Jahren als Jugendlicher zu seiner Tante Marianne gekommen war. Zu dieser Zeit war er alles andere als umgänglich gewesen. Im Gegenteil, er stand seinen Mitmenschen eher aggressiv gegenüber, und von Weihnachten und dem ganzen „Getöns“, wie er es nannte, wollte er schon gar nichts wissen.
Tante Mariannes freundliche Annäherungen wies er mehrmals schroff zurück. Er bewunderte sie noch heute für ihre Geduld. Sicher, sie wusste, dass sein Verhalten mit dem frühen Tod seiner Eltern zusammenhing, die bei einem Unfall ums Leben kamen. Er, damals gerade 16 Jahre, stand plötzlich als Waise da und musste von heute auf morgen seine Heimatstadt Berlin und seine Freunde verlassen.
Seitdem lebte er hier in dieser beschaulichen Kleinstadt in der Nähe von Nürnberg. Er lächelte, als er sich erinnerte, wie er die Nase über dieses „Provinznest“ gerümpft hatte. Inzwischen sah er die kleine Stadt mit anderen Augen.
Schon damals hatte Marianne in der Vorweihnachtszeit alle Hände voll zu tun. Sie sammelte mit einer Gruppe Gleichgesinnter Spenden und Geschenke für örtliche Kinder- und Altenheime und für bedürftige Familien der Gemeinde.
Alexander hatte ihr seine Meinung zu diesem „Zirkus“ um Weihnachten in seiner aggressiven Art zu verstehen gegeben und deutlich gemacht, dass er damit nichts zu tun haben wollte.
Zunächst ließ Marianne ihn gewähren, aber mit der Zeit fing sie an ihn hin und wieder um kleine Gefälligkeiten zu bitten. Da er ihr, wenn er es sich auch selbst nicht eingestehen wollte, im Grunde freundliche Gefühle, vor allem aber Respekt und Dankbarkeit, entgegenbrachte, brachte er es nicht fertig ihr seine Hilfe zu verweigern.
Bei aller Hochachtung gegenüber dem Helferkreis, der sich in regelmäßigen Abständen traf, um die Spenden zu sortieren und zu verteilen, konnte Alexander lange Zeit nicht umhin das Ganze mit Skepsis zu betrachten. „Das ist doch die reinste Heuchelei: Nur weil Weihnachten ist, sind die Menschen bereit in ihren Geldbeutel zu greifen, den Rest des Jahres ist nichts mehr von dieser Großzügigkeit zu spüren!“, machte er einmal seinem Herzen Luft.
„Du hast nicht ganz unrecht, Alexander!“, erwiderte Marianne freundlich. „Obwohl ich nicht der Meinung bin, dass die Menschen nur aus Heuchelei in der Vorweihnachtszeit spenden. Dafür gibt es verschiedene Gründe, unter anderem spielt sicherlich auch die Tatsache eine Rolle, dass es zum Jahresende Weihnachtsgeld gibt, also einfach mehr Geld auf dem Konto ist. In Einem hast du allerdings unbedingt Recht: Es wäre schön, wenn wir Menschen das ganze Jahr über an die Hilfsbedürftigen unter uns denken!“
„Aber willst du den Armen, die sich jedes Jahr über die weihnachtlichen Zuwendungen freuen, auch noch diese Freude verweigern?“ - Das gab Alexander zu denken.
Dies war nur eine von vielen Diskussionen zum Thema Glauben im Allgemeinen und Weihnachten im Besonderen. Alexander lernte Mariannes Art schätzen, die zwar gläubig war, aber niemanden ihren Glauben aufzwang. Sie nahm ihn ernst und versuchte für seine Ansichten, auch wenn sie diese nicht teilte, Verständnis aufzubringen.
Marianne band Alexander immer mehr in ihre weihnachtlichen Aktivitäten ein. Zunächst widerwillig, dann schicksalsergeben und schließlich gar nicht mehr so ungern ließ er es sich gefallen. Als er seinen Führerschein hatte und sich bald darauf ein Auto anschaffte, wurde er offiziell zum Weihnachtsboten ernannt. Auch nachdem er in eine eigene Wohnung gezogen war, hielt er den Kontakt zu Marianne aufrecht und stand ihr weiterhin hilfreich zur Seite.
Inzwischen war Alexander vor dem Altenheim, zu dem er die Pakete bringen sollte, angekommen. Er parkte ein und stieg aus seinem Wagen, der bis hin zum Beifahrersitz beladen war.
Kaum stand er auf dem Gehsteig, kamen auch schon Gertrud, die Leiterin des Altersheims, die Altenpflegerin Kerstin und Hausmeister Karl durch den Vorgarten auf ihn zu.
Zur gleichen Zeit hielt ein zweiter Kombi vor dem Seniorenheim, aus dem Tante Marianne und ihre Truppe stiegen. Die Helfergruppe bestand aus ihren beiden Freundinnen Monika und Inge und aus drei männlichen Helfern aus der Gemeinde.
Es gab ein herzliches Hallo zwischen allen Beteiligten, wobei die Begrüßung zwischen Alexander und Kerstin besonders zärtlich ausfiel, was von den anderen schmunzelnd übersehen wurde. Anschließend wurden die Pakete ausgeladen und in den großen Speisesaal des Altenheims gebracht.
Die Weihnachtsfeier sollte in gut einer Stunde beginnen. Bis dahin wollten die Helfer den Saal festlich schmücken, die Plätzchenteller füllen und, mit den mitgebrachten Servietten und Kerzen, auf den Tischen verteilen. Die Geschenke wurden unter den Christbaum gelegt und die Notenständer mussten neben dem Klavier aufgestellt werden, denn wie jedes Jahr würde die kleine Truppe vor der Bescherung mit den Heimbewohnern stimmungsvolle Weihnachtslieder singen.
Die Jahre zuvor hatte Alexander bei den Vorbereitungen mitgeholfen, sich dann aber unauffällig von seiner Tante und ihrem Team verabschiedet.
Seit zwei Jahren konnte er sich kaum losreißen, genaugenommen, seit er Kerstin als Weihnachtsengel verkleidet sah, und bei ihrem bezaubernden Anblick plötzlich entdeckte, dass sie ihm mehr bedeutete, als er sich bis dahin eingestehen wollte. Bald darauf wurden sie ein Paar.
Auch heute sah Kerstin wieder hinreißend aus. Alexander hatte diesmal nicht vor sich vor der Weihnachtsfeier zu drücken. Er musste unbedingt Kerstins Gesicht sehen, wenn sie das von ihm unter den Christbaum geschmuggelte Geschenk überreicht bekam. Vor allem konnte er ihre Reaktion auf den Inhalt des Päckchens kaum erwarten. Würde ihm sein zauberhafter Weihnachtsengel das Jawort geben?
Alexander zweifelte nicht daran, schließlich war Weihnachten die Zeit der Wunder, da musste sein Wunsch doch in Erfüllung gehen, oder etwa nicht?
© Anita Menger 2019
Anita Menger
Die Weihnachtseule
Ihr wisst sicher alle, wer zu Weihnachten den Kindern Geschenke bringt, oder?
„Das Christkind!“ sagt ihr – ja, das stimmt! Bei euch ist es der Weihnachtsmann? - auch das ist richtig. Die beiden verteilen gemeinsam die Geschenke unter den Kindern, denn für einen allein ist es schon lange nicht mehr zu bewältigen. Auch zu zweit würden sie es nicht schaffen, wären da nicht ihre fleißigen Helfer, wie Weihnachtsengel, die kleinen Wichtel und Weihnachtseulen.
Wie? - Ihr habt noch nie von den Weihnachtseulen gehört? Na, dann wird es aber höchste Zeit, dass ich euch ihre Geschichte erzähle:
Vor langer Zeit war der Weihnachtsmann, wie jedes Jahr in der Weihnachtsnacht, mit seinem Rentiergespann auf dem Weg in ein kleines, abgelegenes Dorf. Er hatte gerade in der nahegelegenen Stadt die Geschenke zu den Familien gebracht. Jetzt musste er nur noch über das große Waldgebiet, hinter dem das Dörfchen lag, fliegen und dort die letzten Päckchen verteilen.
Die neun Rentiere, die seinen Schlitten zogen, wurden langsam müde – ja, ihr habt richtig gehört, es sind tatsächlich neun Tiere und sie haben die lustigen Namen: Dasher, Dancer, Prancer, Vixen, Comet, Cupid, Donner, Blitz und Rudolph.
Dass die Rentiere müde wurden, war nach der langen, beschwerlichen Tour kein Wunder. Trotzdem rafften sie sich auf und gaben ihr Bestes. So kamen sie zügig voran, bis plötzlich, in der Mitte des Waldes, das Gefährt außer Kontrolle geriet. Es schlingerte und holperte wie verrückt.
Der Weihnachtsmann hielt sich erschrocken fest. Das hatte er noch nie erlebt. Er kam sich vor, als würde er auf einem wilden Stier reiten. Nach dem ersten Schreck fasste er sich aber schnell und griff beherzt in die Zügel.
„Brrr…“ rief er seinen Rentieren beruhigend zu. Es schien zu wirken, bis eines der Rentiere, es war Donner, unruhig wurde und seltsame Verrenkungen machte. Damit brachte er die anderen Tiere wieder aus dem Takt, wodurch das Gespann erneut außer Kontrolle geriet.
Es half nichts, sie mussten notlanden. Zum Glück sah der Weihnachtsmann in einiger Entfernung eine Waldlichtung. Mit viel Mühe und Geschick gelang es ihm sein Gespann dorthin zu lenken. Die Landung verlief zwar unsanft, aber ohne nennenswerten Schaden.
Besorgt und mit leicht zittrigen Knien stieg der Weihnachtsmann von seinem Schlitten und beeilte sich nach seinen Rentieren zu sehen. Gottlob, keines von ihnen hatte sich bei der Landung verletzt, aber Donner war ganz grün im Gesicht und krümmte sich vor Schmerzen. Blitz, der neben Donner stand, legte wie tröstend seinen Kopf an Donners Hals.
Der Weihnachtsmann, der für den Notfall immer Heilkräuter bei sich hatte, ging zu seinem Schlitten, um das Säckchen mit den Kräutern zu holen. Zu seinem Schreck musste er feststellen, dass es nicht mehr im Schlitten lag. Es musste wohl bei der turbulenten Fahrt hinausgefallen sein.
Jetzt war guter Rat teuer. Er überlegte wen er zu Hilfe rufen sollte. Das Christkind hatte bestimmt noch alle Hände voll zu tun und seine fleißigen Helferlein waren in dieser Zeit auch alle überlastet. Natürlich würden sie alle trotzdem seinem Hilferuf folgen, aber …
„Huhuu“ hörte der Weihnachtsmann plötzlich hinter sich. Er drehte sich um, konnte aber nichts entdecken. „Huhuu“ vernahm er wieder und sah plötzlich zwei Kreise in der Dunkelheit aufleuchten. Eine Eule, erkannte der Weihnachtsmann erfreut. Er schätzte dieses als weise bekannte Tier des Waldes sehr.
„Hallo liebe Eule!“ grüßte der Weihnachtsmann, "kannst du uns behilflich sein?" „Aber gerne!“ antwortete die Eule. Lautlos flog sie durch die Luft und landete bei der Gruppe.
Der Weihnachtsmann erzählte ihr, was passiert war, und die Eule sah Donner daraufhin von allen Seiten prüfend an. Nachdem sie einige Male in gewohnt abgeklärter Art „Huhuu“ gerufen hatte, drehte sie ihren Kopf in Richtung Weihnachtsmann und sagte: „Oh ja, ich kenne Heilkräuter, die in diesem Fall sicher und schnell helfen“.
„Ja, aber wo bekommen wir diese jetzt her?“ fragte der Weihnachtsmann.
„Kein Problem, ich schicke meine Freunde in den Wald, die finden sicher schnell die richtigen Pflänzchen, denn schließlich wissen wir Waldbewohner wo welche Kräuter wachsen und für was sie gut sind!“ antwortete die Eule.
Sie rief ihre Eulenfreunde zusammen und erklärte ihnen worum es ging. Diese zeigten sich sofort bereit zu helfen, besprachen sich kurz und schwärmten dann aus, um die Heilpflanzen zu suchen.
In der Zwischenzeit führten der Weihnachtsmann und die Eule ein angeregtes Gespräch. Die Eule erzählte ihm von den Sorgen und Nöten der Tierwelt und von ihren Wünschen und Träumen. Er erfuhr von ihrer Angst ihren Lebensraum zu verlieren, von den Hungersnöten in sehr strengen Wintern und von den Gefahren, die ihnen durch die Menschen drohten.
„Ich werde mich mit dem Christkind besprechen!“ versprach der Weihnachtsmann, nachdem die Eule ihm ihr Herz ausgeschüttet hatte. „Es muss doch einen Weg geben, wie wir euch beistehen können!“
Endlich kam die Eulenschar zurück und sie hatten tatsächlich die benötigten Heilkräuter dabei. Der Weihnachtmann nahm die Pflänzchen, ging zu Donner und hielt sie ihm mit der ausgestreckten Hand entgegen. Donner beäugte die Kräuter, machte aber keine Anstalten sie anzunehmen. Erst als der Weihnachtsmann ihm gut zusprach und Blitz ihn aufmunternd stupste, bequemte er sich dazu und aß die Kräuter schließlich bis auf das letzte auf.
Es dauerte nicht lange, bis die Wirkung einsetzte und es Donner besser ging.
Nachdem sich der Weihnachtsmann und seine Rentiere bei den hilfreichen Eulen bedankt hatten, versicherte der Weihnachtsmann, dass er sofort nach seinem Gespräch mit dem Christkind zurückzukommen würde. Nachdenklich setzte er seine Reise fort.
Bald darauf erreichten sie das kleine Dorf, aber sie hatten doch viel Zeit verloren, deshalb musste der Weihnachtsmann sich sputen, um seine Gaben noch rechtzeitig zu den Menschen zu bringen.
Als er endlich fertig war, flog er auf dem schnellsten Weg zum Christkind, denn er wollte ihm unbedingt erzählen, was er von der Eule erfahren hatte.
Das Christkind hörte ihm aufmerksam zu und anschließend besprachen sie, wie den Tieren der Welt zu helfen sei. Schließlich hatten sie eine Idee, die vielversprechend zu sein schien und beschlossen einen Versuch zu wagen.
Zufrieden mit ihrem gemeinsamen Plan, verabschiedete sich der Weihnachtsmann und war noch vor Morgengrauen wieder auf der Waldlichtung. Dort erklärte er der Eule in einem langen Gespräch, was er mit dem Christkind vereinbart hatte.
Was damals genau besprochen wurde, kann ich euch nicht sagen, aber seit diesem Tag sind die Eulen am Heiligen Abend als stellvertretende Weihnachtsmänner für alle Waldtiere unterwegs.
Unter anderem freuen sich seitdem Eichhörnchen über extra feine Nüsse, Wildtiere über gefüllte Futterkrippen und Vögel über Samen und Sonnenblumenkerne, die sie am Weihnachtstag vorfinden.
In der Adventszeit aber fliegen die Weihnachtseulen nachts in Dörfer und Städte und erzählen schlafenden Menschen von den Sorgen und Nöten der Tiere und bitten sie um ihre Hilfe.
Die Worte erreichen das Unterbewusstsein der Menschen, diese merken nicht, was vor sich geht, und wenn doch, dann glauben sie zu träumen.
Manchmal fruchten die Geschichten und Bitten der Eulen, deshalb gibt es gottlob immer wieder Menschen, wenn auch noch viel zu wenige, die sich um Tiere in Not kümmern und auch dafür eintreten, dass deren Lebensräume geschützt werden.
© Anita Menger 2019